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Der Polit-Thriller im Wandel der Zeit - ein Schnelldurchgang

Seit gut hundert Jahren begleitet der Poltitthriller die Realpolitik auf diesem Planeten und folgt den Veränderungen der demokratischen Kulturen.
Ein Überblick für Eilige.

Von Thomas Wörtche

 

"Warum braucht man eigentlich noch Spione, wenn man alle Staatsgeheimnisse für 50 Cent in der Washington Post lesen kann", spottete irgendwann in den 1980er Jahren Ross Thomas, einer der wichtigsten und besten Autoren von Polit-Thrillern - ein Genre, das wie seine Untersortierungen Geheimdienst- und Spionageroman, seit einem guten Jahrhundert die Realpolitik auf diesem Planeten literarisch begleitet.

Natürlich gibt es finstere Staatsgeheimnisse schon immer - Tacitus berichtet ausführlich von den arcana imperii, also von den aus Gründen der Staatsräson von Augustus und anderen Cäsaren diskret, aber final weggeräumten Konkurrenten und anderen Störenfrieden imperialer Machtentfaltung. Und wer will kann anhand eines der berühmtesten und billigsten Verräters aller Zeiten, also Judas mit seinen 30 Silberlingen, Sie wissen schon, über eine Theorie des Verrats nachsinnen und wäre zum Beispiel mit der Philosophin Margret Boveri und Hans Magnus Enzensberger in bester Gesellschaft. Die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn hat das Offensichtliche auf eine handliche Formel gebracht: In demokratischen Kulturen ist "Geheimhaltung eine Pathologie des Politischen".

Und so folgt der Polit-Thriller den Veränderungen der demokratischen Kulturen, sozusagen als deren Pathogenese. Die Polit-Thriller aus nicht-demokratischen Gesellschaften können wir an dem Punkt vernachlässigen und uns merken, dass die aus Demokratien nicht unbedingt deren Geist atmen müssen.

Am Anfang war noch alles gut - bzw. die Welt war in Ordnung. Hier die Guten, dort die Bösen. Und weil die Briten den Polit-Thriller erfunden haben (man kann ja auch Rudyard Kiplings »Kim« schon dazu rechnen), sind die Bösen die Deutschen und die Guten halt die Brits. Neben William LeQueux und Erskine Chandler war sicher John Buchan einer der Ur-Väter des Genres. Sein bekanntester Roman, »Die neununddreißig Stufen« von 1915 spielt kurz vor dem Ersten Weltkrieg und feiert ungebrochen, neben dem robusten Anti-Semitismus der britischen-schottischen Oberklasse (Buchan sollte es noch bis zum Generalgouverneur von Kanada bringen) die Art von Patriotismus, die das Empire zu dem gemacht hatte, was es bis zum Ersten Weltkrieg noch war. Sir Richard Hannay, sein Serienheld, räsoniert in dem nicht minder strammen Roman »Mr. Standfast oder Im Westen was Neues» (der deutsche Titel signalisiert, nebenbei bemerkt, zurecht eine Gegenrede zu Remarques Anti-Kriegs-Roman »Im Westen Nichts Neues«): "Ich begriff, wie kostbar dieses kleine England war. Die Freiheit schon eines kleinen Stückchens seiner Erde war mit dem Blut der Besten von uns billig erkauft. Ich war bereit, denn mein ganzes Sein hatte einen neuen Sinn gefunden." Und so zieht Hannay in den Spionagekrieg gegen die Hunnen, woran ihn auch eine aufgebrezelten Lady nicht hindern kann, die mit "falsch angewandten Kosmetika einer ausländischen demimondaine ähnelte".

Da gibt es nichts zu diskutieren, dieser Patriotismus ist schussfest und nicht verhandelbar. Und die Prosa ist danach.

Zwar säten zwischen den beiden Weltkriegen schon Autoren wie Eric Ambler ziemliche Zweifel am absoluten Wert des britischen Chauvinismus, aber der neue Feind, der Faschismus machte wenigstens im Polit-Thriller eine Allianz zwischen den westlichen Demokratien und der Sowjetunion denkbar - zumindest lässt Ambler in seinem Roman »Anlaß zur Unruhe« von 1938 seinen guten Sowjetagenten Zaleshoff auf ein Zerwürfnis der Achse hoffen, die Geheimdienstsache ist: "Italiens Stärke im Süden ist der Achsenpartner im Norden. Sie müssen die Achse erhalten, denn sonst kommen sie in Osteuropa keinen Schritt weiter. Nur gegenseitiges Mißtrauen kann die Übereinstimmung der deutschen und italienischen Interessen untergraben."

Bekanntlich kam es dann nach dem Weltkrieg zum Kalten Krieg, dem gegenseitigen Misstrauen zwischen Ost und West par excellence.... Und glaubt man dem Klischee, auch zur Hoch-Zeit des Polit-Thrillers. Der literarische Prototyp ist natürlich Ian Fleming - den nicht nur die schlichte Prosa mit seinem grobschlächtigeren, kriminalliterarischen Pendant, Micky Spillane, verbindet, dessen Figur Mike Hammer, das tut, zu was Senator McCarthy aufgerufen hat: Kommunisten abknallen. Da kann Fleming nicht zurückstehen und sattelt noch drauf, denn nur der Kommunismus in Gestalt von SMERSCH, dem sowjetischen Militärgeheimdienst, kann sogar "Negerverbrecher" hervorbringen, wie Bond feststellt: "Ich glaube, ich habe noch nie von einem großen Negerverbrecher gehört. Die Chinesen, natürlich, und es gibt auch ein paar mächtige Japse. Und viele Neger sind in Diamanten und Goldgeschäfte verwickelt, aber immer nur im kleinen Stil. Ich hatte sie bisher immer für recht gesetzestreue Kerle gehalten, außer wenn sie zu viel getrunken hatten."

Mit John Le Carrés »Spion, der aus der Kälte kam« schlichen sich ab 1963 allmählich die Grautöne ein, die Frage nach dem Sinn geheimdienstlicher Manöver und nach der Integrität des eigenen Apparats. Brian Freemantle erfindet 1977 Charlie Muffin, den Agenten, an dem exerziert wird, dass dem MI6 der Klassenkampf vielleicht doch wichtiger ist als der Zustand der Welt: Proleten aus der Arbeiterklasse wie Muffin haben im Old Boy's Club der Dienste nichts zu suchen, findet ein MI6- Snob, auch wenn er ihn nach dem Krieg "angeworben hatte, als der Geheimdienst aus Männermangel gezwungen war, das Ausleseniveau zu senken und Absolventen staatlicher Schulen zuzulassen, die naturgemäss einer höchst suspekten Gesellschaftsklasse angehörten. Das alte Niveau der Dienststelle würde wieder hergestellt werden, was Charlie Muffin zu einem peinlichen und überflüssigen Störfaktor machte." Wie jedoch am Ende der peinliche Störfaktor triumphiert und alle Mitspieler aufs Kreuz legt, das ist die vergnüglichste Irrelevanz-Erklärung jeder Kalten-Kriegs-Rhetorik.

Und dann ist die Mauer weg, der Kalte Krieg vorbei - die Dienste erscheinen überflüssig bis lächerlich. Der schon erwähnte Ross Thomas lässt in seinem Roman »Am Rande der Welt« von 1986 seine privatwirtschaftlich agierenden, charmanten Ex-Geheimdienst-Schurken Artie Wu und Quincy Durant nebst Gang die CIA wie Volltrottel nach Hause schicken, die ihnen beim Geldverdienen auf den Philippinen nach Marcos in die Quere kommen: "Weaver P. Jordan wurde apoplektisch rot. Die Stimme drohte zu kippen. 'Uns? Ihr habt denen mich und ihn versprochen?' 'Ihr wart gerade zur Hand' sagte Georgia Blue. Durant musterte Cray mit den glasigen Augen und Jordan mit dem scharlachroten Gesicht. 'Wieviel würde Langley für Euch springen lassen?' fragte er. 'Grob geschätzt?' Cray antwortete, als habe er den Text auswendig gelernt. 'Nicht einen Cent. Die CIA verhandelt nicht mit Terroristen.' 'Es braucht doch keiner zu wissen', sagte Wu."
Ironie, so lautete schon immer ein Grundsatz von Ross Thomas, ist nur ein anderes Wort für Realismus.

Und 1997, vor 9/11, noch zu Zeiten der Plutokraten und Oligarchen in Russland ist Crystal Quest, Deputy Director of Operations bei der CIA frustriert: "Als DDO eines Geheimdienstes, der sich mittlerweile nur noch als risikoscheuer HighTech-Club versteht, hat man's nicht leicht. Es gibt Leute in Langley, die tun nichts anderes, als von morgens bis abends auf Satellitenfotos starren - als könnten Fotos verraten, was unsere Gegner planen. Den Etat haben sie uns gekürzt, der Präsident hat keine Zeit oder kein Interesse, unsere laufenden Berichte zu lesen, die liberale Presse fällt über uns her, wenn uns dann und wann mal ein Patzer unterläuft", klagt sie in Robert Littells vermutlich intelligentestem Spionageroman aller Zeiten, »Die kalte Legende« (2005).

Bei Olen Steinhauer, dem Fackel- und Hoffnungsträger des zeitgenössischen Polit-Thrillers hat die CIA hingegen schon längst ausgespielt, sie dient nur als Geisterbahngrusel für Leute, die angeblich "unter dem Einfluss der Falschinformationen stand, für deren Bekämpfung die CIA zu wenig getan hatte, der gescheiterten Operationen und gelegentlichen Untaten, die die CIA als Monster erscheinen ließ, als Teil einer gigantischen amerikanischen Verschwörung, die aller Herren Länder in businesskompatible Drohnen verwandeln wollte. Er schloss die Augen und drückte gegen seine Stirn. Ali Busiri sprach nicht von der CIA, er sprach von...",. wie es in der »Kairo Affäre« 2013 heißt. Steinhauers Bücher erzählen maliziös und süffisant von der Bedeutungslosigkeit der westlichen Geheimdienste, angesichts der neuen global player wie den Chinesen und den lokalen Kräften, vor allem im arabischen Raum.

Am Ende des Polit-Thrillers, in Daniel Suarez' Roman »Control« (2014) geht es um die totale High-Tech-Kontrolle über die Welt, gegen die die Snowden-Akten unerheblich sind:
"Das hier ist das Bureau of Technology Control - das BTC. Aufgabe unserer Bundesbehörde ist es, die Entwicklung vielversprechender Technologien im In- und Ausland zu beobachten und deren soziale, politische, ökologische und ökonomische Folgen abzuschätzen. Wir regulieren Innovation. Die Natur des Menschen ist im Mittelalter steckengeblieben. Die BTC ist eine Sicherungsvorkehrung gegen die schlimmsten Impulse der Menschheit. Ziel ist die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung."

Politthriller oder Geheimdienstroman sind in der Logik ihrer Entwicklung da angekommen, wo die klassischen Dystopien wie »1984« oder »Schöne Neue Welt« schon visionär waren. Visionen brauchte man als solche nicht ernst nehmen und konnte sie belächeln. Die logische Hochrechnung realer Tendenzen ist entschieden beunruhigender.

 

© Thomas Wörtche, 2015
(Gutenbergs Welt,
WDR 3,
01.02.2015
)

 

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