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Rachefeldzug durchs Wirtschaftswunderland

Ein Jahr vor seinem Welterfolg »Der Pate« veröffentlichte Mario Puzo unter dem Pseudonym Mario Cleri einen kleinen, trashigen Roman über einen ehemaligen amerikanischen Agenten, der von den Nazis bestialisch gefoltert wurde, und Jahre später nach Europa zurückkehrt, um sich an seinen Peinigern zu rächen. Obgleich sprachlich eher aus grobem Holz geschnitzt, überzeugt das Buch mit diversen Miniaturen aus dem deutschen Nachkriegs-Alltagsleben, die die feiste Selbstgefälligkeit einer vom Wirtschaftswunder berauschten Wohlstandsgesellschaft dokumentieren.

Von Thomas Wörtche

 

Sechs Gräber bis München

»Fünf Gräber nach Kairo« hieß ein berühmter Kriegsfilm von Billy Wilder. 1968, ein Jahr vor seinem Megaseller »Der Pate«, legte der damals nicht sehr bekannte Mario Puzo unter dem noch unbekannteren Pseudonym Mario Cleri noch ein Grab drauf, spekulierte mit der Bekanntheit des Filmtitels und knallte einen kleinen, fiesen B-Thriller aufs Papier.

Es geht um den Rachefeldzug des ehemaligen OSS-Agenten Michael Rogan, der seine Nazi-Peiniger im Nachkriegseuropa Mann für Mann erledigt. Sechs schlimme Nazis - vier Deutsche, ein Italiener, ein Ungar - hatten ihn noch in den letzten Tagen des Dritten Reichs gefoltert und dann mit Genickschuss entsorgt. Aber Rogan war nicht tot, konnte entkommen, wurde in Amerika reich und kehrt jetzt ins Wirtschaftswunderland zurück, verbündet sich mit einer netten Hure und räumt auf.

Das ist so trashig wie es sich anhört. Das Buch ist teilweise grandios schlecht ("Die drallen Brüste, die fast aus der tief ausgeschnittenen Bluse herausquollen, bebten im Rhythmus ihres raschen Atems ...") und überrascht mit wunderbaren Miniaturen aus dem deutschen Alltagsleben. Vor allem aus Berlin, dem "Labyrinth mit den abscheulichsten Lasterhöhlen, die man im Nachkriegseuropa überhaupt finden konnte" und wo man "Champagner (mit) kleine(n) dicke(n) Würsten von riesigen Tellern mit den Fingern" verzehrt, die man "am Tischtuch abwischt". In München frisst man gar so viele Weißwürste und kneift dazu "feiste Kellnerinnen" in den Hintern, bis man sich in "riesige weiße Kotzbecken" erbrechen muss.

Das immerhin ist schon eine bemerkenswert übellaunige Einschätzung eines fett gewordenen Westdeutschlands. Auch die politischen Allianzen und Ranküne sind unappetitlich geworden, der Kalte Krieg hat jede Moralvorstellung über Bord gespült, die sich versehentlich noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat halten können. Die alten Nazis kooperieren im Kalten Krieg fröhlich mit den Alliierten. Deswegen wird auch dem guten Rogan der Rachefeldzug immer problematischer, but a man has to do, what a man has to do. Und das macht er dann auch - robust und gespickt mit allerlei grüblerischen Gedanken über Grausamkeit, Menschlichkeit, Unmenschlichkeit, Klischee und Realitäten.

Trotz aller Ungeschlachtheit, aller Absurdität und Bizarrie der beschriebenen Umstände (man darf bezweifeln, dass sich Puzo mit längeren Recherchen aufgehalten hat), trifft der kleine Roman ein paar empfindliche Punkte. Die Kontinuität der deutschen "Eliten" vom Dritten Reich bis ins Wirtschaftswunder und in den real existierenden Sozialismus; die bräsige, selbstzufriedende Atmosphäre jener Jahre, die Wut, die ein Opfer der Nazis angesichts all dessen packen kann, die Glattzüngigkeit der Täter, die Brutalität von Heuchelei und Verrat. Man spürt die Pranke des »Godfather«-Autors, der diese Fingerübungen für sein Epos gut brauchen konnte.

Sehen kann man auch, dass aus Mario Cleri auch als Mario Puzo kein Feinmotoriker der Erzählkunst werden würde. Aber das hat ja dann Francis Ford Coppola für ihn übernommen.

 

Mario Puzo alias Mario Cleri: Sechs Gräber bis München. (Six Graves to Munich, 1967). Roman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber. Deutsche Erstausgabe. Bellheim: Edition Phantasia / kuk, 2011, gebunden, 195 S., 19.00 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2011
(Deutschlandradio Kultur,
28.09.2011
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Mario Puzo alias Mario Cleris Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1564714/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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