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Höllentrip mit einem Funken Hoffnung

Der in Deutschland noch recht unbekannte französische Autor Antonin Varenne hat mit »Die sieben Leben des Arthur Bowman« einen Roman vorgelegt, der an die Wurzeln der Gründungsnarrative der kapitalistischen Gesellschaften geht. An Geist und Köper gemartert, folgt die titelgebende Figur einem Serienkiller von den Londoner Docks quer durch die vom Bürgerkrieg geschüttelten Vereinigten Staaten.

Von Thomas Wörtche

 

Die sieben Leben des Arthur Bowman

Arthur Bowman ist der härteste aller harten Sergeants der Ostindischen Kompanie, der privaten Armee, die die imperialistischen Handelsinteressen des Empire seit dem 17. Jahrhundert mit nackter Gewalt durchsetzte. Auf einer Geheimmission in Burma wird er von lokalen Kriegern gefangengenommen und furchtbar gefoltert. Nach seiner Freilassung fristet er sein Dasein als Wachschutzmann der Kompanie im Londoner Hafen, an Seele und Körper verwüstet. Aus dem empathielosen Killer ist endgültig ein Wrack geworden, das sich nur noch im Suff und im Opiumrausch erträgt, total indolent und stumpf gegenüber der Welt. Erst als ein Serialkiller sein Unwesen treibt, dessen Opfer die gleichen Foltermerkmale trägt, wie der Körper von Bowman, und er selbst in Verdacht gerät, wird er aktiv. Er folgt dem Killer in die mittlerweile vom Bürgerkrieg geschüttelten USA. Ein Höllentrip quer durch den von Naturgewalten, Rassismus und Brutalität bestimmten Halbkontinent konfrontiert ihn immer mehr mit sich selbst. Und am Ende schimmert gar ein Funken von Hoffnung.

Wie seine amerikanischen Kollegen James Carlos Blake oder Bruce Holbert legt der bei uns noch weithin unbekannte französische Kriminalschriftsteller Antonin Varenne mit «Die sieben Leben des Arthur Bowman» Hand an die Wurzeln der Gründungsnarrative der westlichen Gesellschaften. Zu diesem Zweck kombiniert er Handlungselemente des Abenteuerromans, des historischen Romans, des Western und des Serialkiller-Romans und dekonstruiert sie, in dem er sie auf die hässlichen Realitäten des sich formierenden globalen Kapitalismus prallen lässt. Die Wahl eines Anti-Helden, denn Bowman ist zu keiner Zeit eine irgendwie sympathische Figur, untersagt jede Art identifikatorischer Lektüre, dessen krasser Egoismus ihn deutlich als von den gesellschaftlichen Strömungen der Zeit geprägt, zeichnet. Der Vorschein des kleinen, privaten Glücks verzichtet bewusst auf eine politische Option. Der Loner, der einsame Reiter in finsterster Nacht, macht für sich das Beste aus dem großen Drama, dessen Teil er nun einmal ist. Und dafür geht er über Leichen, wie früher als Söldner im Interesse der Kompanie, beziehungsweise dessen Investoren.

Varenne kann eindrückliche Tableaux entwerfen, seine Schilderungen des "Big Stink" von 1858 - als eine Dürre in London das Leben unerträglich machte, weil die direkt in die Themse eingeleiteten Fäkalien nicht weggeschwemmt werden konnten - oder der grausamen, vernichtenden Kälte im Westen der USA sind Meisterstücke intensiver und wuchtiger Prosa. Ein paar Redundanzen und zähe, um sich selbst kreisende reflektierende Passagen dienen immerhin als Rezeptionsbarrieren gegen allzu gefällige Konsum-Lektüre. Die kritische Kombination verschiedener populärer Erzählmuster respektive Genres verweist dabei sehr deutlich auf deren gemeinsames Groß-Thema: Auf die Gewalt, auf denen die "westlichen Werte" auch basieren, die aber in der "Normalausprägung" dieser Muster unhinterfragter Teil einer Heldensaga wird. Dass dabei auch die Entmystifikation des "Bösen", das vor allem in den meisten Serialkiller-Narrativen als kontextlos und insofern auch als innerhalb des Systems bekämpfbar dargestellt wird, sozusagen beiläufig passiert, gehört zu den großen Vorzügen eines originellen Romans.

 

Antonin Varenne: Die sieben Leben des Arthur Bowman. (Trois mille chevaux vapeur, 2014). Roman. Aus dem Französischen von Anne Spielmann. Deutsche Erstausgabe. München: Bertelsmann, 2015, gebunden mit Schutzumschlag, 558 S., 22.99 Euro (D), eBook 18.99 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2015
(Deutschlandradio Kultur,
24.07.2015
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche zu Antonin Varennes Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.deutschlandradiokultur.de/historischer-thriller-als-das-boese-in-die-welt-kam.1270.de.html?dram:article_id=326297 oder gleich hier zum Reinhören.

 

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