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Leichenberg 01/2018

 

Schleierwolken

Sieht ganz so aus, dass dieser Januar der Monat meines Missvergnügens ist. Oder einfach nur Pech bei der Auswahl gehabt?
Da ist zunächst Bios von Daniel Suarez (rororo) - ein Buch aus der Kategorie "Das glaub ich nicht". Ein ultraböser Bösewicht verwandelt mittels Gen-Editing einen braven, aufrechten Interpol-Menschen. Aus dem guten Kenneth Durand wird der Schurke Marcus Demang Wyckes, inklusive DNA. Und jetzt sind alle hinter dem Guten her, während der Böse in tausend anderen Gestalten ungestraft weiter herumschurkt und Milliarden mit illegalem Gen-Editing scheffelt. Aber auch wenn Durand im Körper von Wyckes steckt, seine Seele ist immer noch er selbst, und los geht die fröhliche Jagd über Stadt, Land und Meer. Und weil wir im Jahr 2045 sind, ist halt alles von Big Data übersät und von sämtlichen technischen Gadgets, die man sich so hochrechnen kann (Drohnen, "autonome" Vehikel, Algorithmen aller Art, Netzhautprojektionen, you name it ...). Gleichzeitig gibt es aber noch nette Mönche in netten Klöstern, tapfere Rebellen in kuscheligen Dschungelbergen - die Shan, zum Beispiel, Stephen Becker lässt grüßen -, und der unfassbar gute Cop, der früher mal bei den Marines war, ist dauerempört und mimimi-schockiert, wenn er mitkriegt, was Menschen sich so gegenseitig antuen (töten, zum Beispiel). Abgesehen davon, dass Gen-Editing schon im James-Bond-Kracher "Stirb an einem anderen Tag" kein ganz taufrisches Thema mehr war - bei Suarez gibt es nichts, was es in der einschlägigen Literatur und anderen Narrativen seit Philip K. Dick, John Brunner, William Gibson, Blade Runner, Matrix und Co. nicht schon längst und längst besser und kreativer gegeben hat. Der Extrapolationsaufwand ist, sagen wir mal, übersichtlich. Aber das ginge ja gerade noch, wenn das Buch nicht wie eine gähnlangweilige Räuberpistole erzählt wäre. Mit Und-dann-Dramaturgie, steifen Erklär-Dialogen, naiven Figuren, blassen Bösewichtern, langweiligem Geballere, aber alles gut und böse, O und 1. Mit family values, natürlich auch, den Durand muss nur an seine Familie denken und kann dann doch plötzlich ganz schlimme Dinge tun. Die Zukunft in der Schlichtsprache von Heute (oder noch damaliger), da ist ja fast Karl May schon komplex dagegen. Ach ja, wen wundert es noch: Durch den ganzen Roman toben "Kaukasier", ich glaub's ja wirklich nicht.

Die Klasse

Immerhin ein bisschen intelligenter hat der polnische Autor Dominik W. Rettinger seinen Roman Die Klasse (Zsolnay) an die Wand gefahren. Eigentlich ist die Geschichte aus einem als durch und durch korrupt gedachten Polen ziemlich interessant. Es geht um die Verflechtung von Politik und big money, um die Funktionalisierbarkeit von konkurrierenden Geheimdiensten und Polizei-Einheiten und um die durchweg miese Stimmung im Lande, um die Enttäuschung nach dem Aufbruch von 1989. So weit, so okay, zumal wir sowieso gern mehr spannende Bücher aus Polen hätten. Aber der Plot ist schon sehr künstlich: Ein Radio Journalist bekommt von einem alten Klassenkameraden ein U-Bahn-Ticket zugesteckt, auf dem irgendwo ein Code versteckt ist. Eine Kontoverbindung, um an eine Riesensumme heranzukommen, die der Klassenkamerad als Geschäftsführer der polnischen Niederlassung einer US-amerikanischen Investmentgesellschaft auf die Seite geschafft hat. Diese Investmentgesellschaft plant einen Biowaffenschlag auf ein Naturschutzgebiet, um an Bodenschätze zu kommen. Mit im Boot viele Hierarchen der polnischen Nomenklatura, die sabbernd gierig sind. Und ein alter Professor hatte die Schulklasse, in der Journalist und der diebische Manager waren, mit einem eher bescheuerten Psycho-Programm konditioniert, weswegen sie alle heute so ticken, wie sie ticken, was aber nur ein Nebenstrang ohne große Explikationskraft ist und vage bleibt. Und weil das Rettinger noch nicht reicht, müssen auch noch dumpfe Leute, die kleine Mädchen in Zimmer sperren (immerhin mal kein Keller, aber könnte das jetzt endlich mal aufhören?), die Tochter des eigentlichen "Helden", ein aufrechter Geheimdienstler, entführen. Ganz und gar die Übersicht verliert man, weil im ganzen Roman Leute pausenlos entführt werden und wieder entweichen und wieder entführt werden, weil alle in Autos und Hubschraubern durch die Gegend kariolen und sich gegenseitig verfolgen, mal die einen die anderen und dann wieder umgekehrt, und halb Polen schröten und geballert wird auch nonstop, Leichenberge, wohin man sieht. Maulwürfe werfen maul und jeder hört jeden ab, nur manchmal nicht, gerade dann, wenn es sinnvoll wäre, sich gegenseitig abzuhören. Was für eine Wirrnis. Und dolle geschrieben ist das auch nicht. Hölzern wäre vielleicht das richtige Wort, ohne Rhythmus, ohne Tonfall und vor allem in einem sehr eintönigen Gestus. Leider die übliche Lücke zwischen gut gemeint und gut gemacht. Too much ado.

Cold Kill - Nichts ist je vergessen

Auf einen neuen Monkeywrench-Roman des Mutter/Tochter Duos P.J. Tracy hatte ich mich gefreut, aber Cold Kill - Nichts ist je vergessen (rororo) strahlt eine beklagenswerte Lustlosigkeit aus. Die Monkeywrenchs, eine fröhlich-paranoide Hacker-WG, die den beiden Minnesota Cops Leo Magozzi und Gino Rolseth bei heiklen illegalen Aktivitäten zur Hand gehen, bekommen es diesmal mit einer Mordserie zu tun, die Überlebende und sämtliche Angehörige oder sonstwie Verbandelte des Wasserstoffbombenprogramms der USA aus den 1950er Jahren abräumt. Da sind doch wohl irgendwelche dunklen Mächte am Werk? Ja, sind sie. Und wenn eine Nebenfigur erstmal nett aufgebaut ist, ist sie bald tot, weil das ihr einziger Daseinszweck ist. Das Ganze hat was von einem Setzkasten, überraschungsfrei, routiniert kombiniert, mechanisch. Vermutlich auch computerlesbar.

Casablance im Fieber

Und ob eine neu überarbeitet Fassung von Tito Topins Casablance im Fieber (Distel) jetzt hätte unbedingt sein müssen (statt eventuell andere, noch unbekannte Noir-Autor*innen aus Frankreich zu holen) erschließt sich mir nicht so ganz. Zumal eben dieses Buch nicht Topins stärkstes Stück ist. Das Original stammt aus dem 1983, als der französische Noir noch mit Verve die damals oft verdrängte und ignorierte, böse Kolonialgeschichte Frankreichs thematisiert hatte, durchaus mit großem Erkenntnisgewinn. In diesen Kontext gehört diese Geschichte um die letzten Zuckungen der Kolonialmacht kurz vor dem Rückzug 1956. Ein reicher weißer Strolch vergewaltigt eine junge Spanierin, die Tat soll den Arabern in die Schuhe geschoben werden, Unruhen brechen aus, die Stadt brennt. Natürlich steht Topin auf der richtigen, der nicht-französischen Seite, alles andere wäre ja auch gegen den Geist des polar. Und natürlich will er nicht schwarz/weiß malen, das ist ehrenhaft. Aber irgendwie werde ich das Unbehagen nicht los, dass an manchen Stellen sich doch eine Art benevolenter Rassismus durchdrückt, wenn er zum Beispiel Riten und Rituale der marokkanischen Bevölkerung beschreibt ("eher lächerlich"), die man nur notfalls und mühsam als "fremde Rede" in der Erzählstimme interpretieren könnte. Das liegt wiederum daran, dass Passagen, die karikierend oder satirisch gemeint sein könnten, und solche die "realistisch" daherkommen, schwierig unterscheidbar sind. Das wäre wiederum nicht per se schlimm, aber dann gibt es für beide Seiten zu wenige Textsignale. Und auch die noir-typische Geringschätzung des Plots (auch an sich völlig okay und besonders durch das titelgebende Fieber gedeckt), trägt nicht unbedingt zur Konsistenz des Romans bei. Und das ist bei einem so explizit politischen Thema dann doch so nicht günstig. Nicht, weil das Buch keine "Aussage" hätte, sondern weil nicht einmal die "Nicht-Aussage" und deren Semantik greifbar sind. Was denn nun? Irgendwie daneben.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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