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Leichenberg 02/2006

 

Der zweite Schöpfer Manche Bücher sind einfach verstörend merkwürdig. Michael Marshalls Der Zweite Schöpfer (Droemer) gehört deutlich in diese Kategorie. Einerseits ein völlig schwachsinniger Doppelplot, Serial-Killer plus Verschwörungsschlocker, nix, was wir nicht schon zigfach gehabt hätten. Auf der anderen Seite ein paar richtige nette Ideen wie zum Beispiel der Opfer-frei-Haus-Lieferservice für Massenmörder. Auf der einen Seite eine selbsternannte Elite, die sich die Welt untertan machen will, aber genauso gut aus Aliens bestehen könnte; auf der anderen Seite bösartige Kommentare zum American Way of Life, die man so flockig-biestig selten lesen konnte. Marshall war schon durch sehr intelligente Science Fiction aufgefallen, dieser Roman hier versucht allzu mühsam, sein irgendwo zwischen Ray Bradbury und Stephen King angesiedeltes Personal und die entsprechenden Milieus realistisch zu erden. Merkwürdig, gar letztlich mißlungen, aber seltsam faszinierend.

Für Liebhaber unfreiwilliger Komik und der Entschlossenheit, dafür Hardcover-Preise zu zahlen, empfehle ich Infamità von Claudio Michele Mancini (Ullstein). Infam, wie da die Mafia vom Vatikan zur Sau gemacht wird und wie man sich nach zu vielen schlechten Büchern und Filmen la mafia so vorstellt. Pappmaché-Figuren, so realitätstüchtig wie eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung, heissblütige Frauen, schmierige Pfaffen und falsches Hoch-Italienisch, das besonders gern auf Sizilien gesprochen wird. Kann aber kein Übersetzungsproblem sein, weil der Autor anscheinend deutsch schreibt. Naja, deutlicher Versuch, aus dem Handbuch Wie-schreibe-ich-einen-megageilen-Thriller einen Roman zu wringen. Nice try! Selten so gelacht.

Noch nicht perfekt, aber gerade in der Kleinteiligkeit wirklich ernstzunehmen: Verrat in Zürich West von Sabina Andermatt (Orte Verlag). Deutlich ein Anfänger-Buch, aber mit richtig guten Ansätzen. Ein absolut plausibler Plot - es geht darum, die Arbeit der liberalen Zürcher Polizeipräsidentin zu desavouieren; gute Figuren, gute Milieus. Eine Autorin, die wir uns merken wollen.

Tannöd Ausgereifter allerdings ist das Debut von Andrea Maria Schenkel: Tannöd (Nautilus) - sozusagen ein Dorf-noir, mit vielen Zwischentönen. Ein konzentriertes, spannendes Stückchen Prosa über ein Massaker auf einem Einödhof in der Oberpfalz, in den frühen 1950ern. Die deutsche Provinz bietet, schaut man nur genau genug hin, Erzählstoff in Hülle und Fülle, ohne dass dabei ein fremdenverkehrsamtlich induzierter Regionalkrimi herauskommen muss.

Obszön, vulgär, abstossend, gewaltgeil und spermatriefend inzeniert Joe R. Lansdale eine kleine Geschichte aus dem Jahr 1900, als Galveston, Texas von einem Hurrikan verwüstet wurde. Die rassistische Südstaatengesellschaft, die uns Lansdale in seiner Parabel Sturmwarnung (Shayol) vorführt, ist in der Tat obszöne, vulgär und abstossend. Galveston fiebert einem schmutzigen Boxkampf zwischen einem angeheuerten weissen Schläger und dem »Nigger« Li'l Arthur entgegen, der es gewagt hatte, den lokalen weissen Champ zu besiegen. Zum Duell kommt es nicht wirklich, weil der Hurrikan sowieso der mächtigere Gegner ist. Er tötet ohne Unterschied schwarz und weiss, gut und böse. Aus Li'l Arthur wird später Jack Johnson werden, eine Ikone für die Emanzipation der schwarzen Amerikaner (Miles Davis hat ihm ein grandioses Album gewidmet). Lansdales vielschichtige, kleine Erzählung ist ein wahrer off-off-Klassiker und nichts für empfindsame, politisch korrekte Gemüter. Und sehr hübsch und liebevoll präsentiert wird uns das Bändchen auch noch.

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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