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Leichenberg 02/2015

 

Suburra. Schwarzes Herz von Rom

Gute Zeiten für richtig gute Kriminalliteratur. Das hat sicher auch mit dem Trend zu tun, dass Kriminalliteratur mit politischem Akzent für kreative Köpfe interessanter zu sein scheint als das ganze Format- und Tüddelzeug. Die Schere zwischen belanglosem Wegknabberkram und Texten, die sich nicht mit einem Satz pitchen lassen, geht immer weiter auf. Das ist okay, weil es mittlerweile wieder genug Leser gibt, die sich nicht einfach von formula fiction zu dröhnen lassen wollen. Zu den spannendsten politischen Kriminalromanen aus Europa gehören die von Giancarlo De Cataldo, der mit »Romanzo Criminale« ein Meilenstein dieses Subgenres geschrieben hat. Ging es dort hauptsächlich um die Verquickung des Organisierten Verbrechens mit der antikommunistischen italienischen Politik im Kalten Krieg, begeben sich De Cataldo und sein Ko-Autor, der Journalist und Drehbuchautor Carlo Bonini jetzt in die Gegenwart: Suburra. Schwarzes Herz von Rom (Folio) heißt der neue Hammer-Roman. "Die Suburra, das antike Viertel der Bordelle und der Halbwelt, wie es von Petronius besungen wurde, ... das Zuhause eines vergewaltigten und verzweifelten Pöbels, der sich zum Bürgertum gewandelt hatte, im Herzen der Stadt, der Ursprung einer tausendjährigen Ansteckung, einer nicht rückgängig zu machenden genetischen Mutation..."- hier ist die Schnittstelle, an der sich Leute treffen, die denken, dass Rom ihnen gehört. Die lokalen Banden, die Kirchen, die 'Ndrangheta, die Mafia, Staatsanwälte, Mörder, Räuber, Kinderschänder, Politiker, die Camorra, Menschenhändler, Wüstlinge, Anwälte, Richter, Polizisten, Dealer, Steuerhinterzieher und Medienleute. Hier werden die dicken, fetten Bauprojekte ausgedealt, die Roms seaside (Ostia & Co) unter dem Vorwand des sozialen Wohnungsbaus, aber natürlich nur zu Nutz und Frommen der Investoren, in eine Betonwüste verwandeln sollen. Und all das im Sommer, Herbst und Winters 2011, als absehbar ist, dass mit dem Abgang Berlusconis die Anteile an Staat und Stadt neu verteilt werden. Ein Riesenpanorama aus Gewalt, Niedertracht, Gier, mit Einsprengseln von Mut, Hoffnung und Anstand. Ein souverän geführtes riesiges Figurenensemble, komplizierte, aber glasklare Plots- und Subplots, komplexe Figuren und eine die Realität und Fiktion eng verzahnende Inszenierung ergeben ein grandioses Stück Literatur.

Bad Cop

Ähnlich gewichtig Mike Nicol: Bad Cop (btb). Nach seiner zu Recht vielgepriesenen "Rachetrilogie" über die sozial- und psychopolitischen Spätfolgen der Apartheid in Südafrika, nimmt Nicol auch hier die Verwicklungen der offiziellen und klandestinen Politik des Landes mit allen möglichen Formen des Organisierten Verbrechens als Hintergrund der bösen Geschichte eines Ex-Polizeipräsidenten, der sich als Krimineller omnipotent wähnt, bis er auf eine Macht stößt, die noch skrupelloser ist, noch radikaler, noch gewalttätiger. Der nette dope-dealende und surfende Privatdetektiv Bartolomeu "Fish"-Pescado (ein kleines Hallo an den Kollegen Winslow?) macht das, was anständige Privatdetektive der Chandler-Schule so tun: Sie legen sich mit den falschen Leuten an. Mike Nicol bindet seine Handlung zwar stärker an eine kriminalliterarische Tradition an als das De Cataldo/Bonini tun, aber das ist in diesem Fall auch okay: Gespenstische Bilder aus dem Süden Afrikas, wie eine Miss-Wahl unter Minenopfern ("Miss Ohne Beine, Miss Ohne Fuß") und ein zweihundertmillionendollarwertes Reservoir an abgesägten Rhinozeros-Hörnern in Angola, werden in die Handlung eingebunden und entgehen somit dem Betroffenheitskitsch. Und unter dem kühlen und hard-boiligen Erzählgestus ist die kalte Wut Nicols über den aktuellen Weg Südafrikas deutlich zu spüren. Für Nicol-Fans: Ein paar Handlungsfäden führen zu seinem zusammen mit Joanne Hichens verfassten Roman »Out to score« (2000) zurück, dass die beiden 2009 unter dem gemeinsamen Pseudonym Sam Cole als »Cape Greed« überarbeitet haben. Und den ultracoolen, nicht sehr netten Trouble-Shooter Mart Velaze kennen Nicol-Leser auch schon. Was wir nicht kennen, ist der seltsame Umgang mit der Zeitenfolge (wo Perfekt oder Plusquamperfekt stehen müsste, steht oft Imperfekt), den wir nicht von der etatmäßigen Übersetzerin Mechthild Barth gewöhnt sind.

Control

Politisch, wenn auch eher vermittelt, ist Daniel Suarez' Control (rororo). Auf dem Buch klebt ein Zettelchen, auf dem Frank Schirrmacher Suarez als den "Jules Verne des digitalen Zeitalters" bezeichnet. Da ist was dran: Mit Verne teilt Suarez nicht nur die Neigung zu quälenden Exkurse in erstaunliche Bereiche der (Natur-)Wissenschaften, denen ein Nicht-Spezialist nie und nimmer folgen kann, und die nur für eher ästhetische Grobmotoriker erträgliche Prosa. Romane sind keine Sachbücher mit ein wenig Handlung, aber das stört Suarez nicht. Macht auch nix. Wie Verne rechnet Suarez Trends und Tendenzen der Gegenwart in eine nicht allzu ferne Zukunft hoch. Hier geht es um den Kontrollwahn eines Supergeheimdienstes namens "Bureau of Technology Control", das fortschrittliche Technologie nebst ihren Erfindern unter Verschluss hält, aus dem angeblich benevolenten Grund, der eigentlich noch mittelalterlich tickende homo sapiens sei für wirkliche HighTech noch nicht reif und müsse fürsorglich bevormundet werden. Das BTC, das natürlich mit allen "abgeernteten" Techniken arbeitet, ist mächtiger als jeder Staat und völlig außerhalb jeder demokratischen (oder sonstigen) Kontrolle. Die Bevölkerung wird belogen und betrogen, die Genies des Planeten entweder zur Kooperation gezwungen oder korrumpiert oder in hermetischer Gefangenschaft gehalten und gequält. Wir müssen jetzt nicht betonen, warum futuristische Romane immer Romane über das Hier und Heute sind. Control ist die logische Weiterentwicklung des Paranoia-Thrillers à la "Die sechs Tage des Kondors", weshalb die Hauptfigur auch sinnvollerweise nach dessen Schöpfer Grady heißt. Nettes Spektakel auf sehr politischer Folie.

Das Bilderbuch des Monats: Anton Corbijn: Looking at the most wanted man (Schirmer/Mosel) - eine beeindruckende Fotodokumentation der Dreharbeiten zu Corbijns Verfilmung von John Le Carrés gleichnamigem Roman (bei uns als »Marionetten«, 2008), die wesentlich stärker als das Buch ist. Und natürlich ist Corbijns Bildband eine Hommage an den großen Philip Seymour Hoffman und schon deswegen dringend zu empfehlen.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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