legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 04/1998

 

Kaum noch ein Schauplatz oder eine historische Periode sind vor "Krimis" sicher. Aber ein britisches Linienschiff aus dem 18. Jahrhundert hat meines Wissens bis jetzt noch niemand zur scene of the crime  gemacht. David Donachie aus Edinburgh wagt diese an sich logische Kreuzung zweier urbritischer Genres: Der historical naval fiction  (= historischer Seekriegsroman) mit dem klassischen Whodunit. Klar Schiff zur Höllenfahrt  (Ullstein) heißt das merkwürdige Werk, das fast ausschließlich auf einem 74er (für Fans des Jargons) spielt und wunderbarerweise formal voll gelungen ist. Daß Donachie allerdings mit der homophoben Doppelmoral des 18. Jahrhunderts sprachlich sympathisieren muß, ist weniger erfreulich.

Wenig erfreulich ist auch, daß italienische Kriminalromane pausenlos daran werkeln, Kleinstadt-Honoratioren "die Maske vom Gesicht zu reißen". Massimo Carlotto nimmt solcherart Padua durch. Die Wahrheit des Alligators  (Lichtenberg) bringt es, Überraschung, Überraschung, ans Licht: Ganz Padua ist ein Sumpf von Perversion und Korruption. Dabei ist die Figur "Alligator" nicht uninteressant. Ein Typ, der unschuldig im Knast gesessen hat und von dieser Erfahrung als Privatdetektiv profitiert. Aber eine Figur kann nicht alle dramaturgischen Kipper und unentschlossenen Handlungsführungen alleine retten.

Kein bißchen unentschlossen und dramaturgisch glasklar geht der Erstling von John Wessel zu Werke: Bis hierher und nicht weiter  (Zsolnay) hat in den USA Lob und Preis abgeräumt. Was man dabei großzügig übersehen wollte, war, daß Wessels Privatdetektiv ohne Lizenz Harding ein artiger Klon von Larry Blocks Matt Scudder ist und das ganze Sado-Maso-Perverso-Design des Romans inklusive der Vorliebe des "Helden" für Horrorfilme tief in den 80ern wurzelt. Ein technisch brillanter Roman, der leider nichts zu erzählen hat, was nicht schon tausendmal erzählt worden ist.

Dito gilt cum grano salis auch für Ken Bruens Rilke on black  (rororo). Eine schwachsinnige Entführungsstory aus einem London, für das Derek Raymond Pate gestanden hat. Das Ergebnis ist allerdings Raymond light, weil Bruen nichts zu sagen hat. Immerhin, und das macht den schmalen Text doch sehr bemerkenswert, inszeniert er das große Nichts mit erheblicher sprachlicher Virtuosität, die auch in der Übersetzung gut rüberkommt.

Virtuos gemacht ist auch Montenegro  von Starling Lawrence (Droemer) - im eher neoklassizistischen Sinn. Lawrence nimmt sich in einer kühnen stilistischen Melange aus Conrad, Greene und Ambler des damals schon explosiven Kosovo an, den im Jahr 1908 ein als Botaniker getarnter englischer Spion bereist. Heraus kommt ein Roman ohne Conradsche Metaphysik, ohne Greenesche Psychologie und ohne Amblersche Prägnanz, dafür jedoch mit einer eigen- und sogartigen Faszination. Rätsel-, aber meisterhaft.

Klassiker des Monats: Neu übersetzt und überhaupt wieder lieferbar - die Harlem-Romane von Chester Himes. Als ersten Band bringt der Union Verlag aus Zürich gerade Der Traum vom grossen Geld , als zweiten Lauf, Mann, lauf . Weitere sollen folgen. Zu Himes nur soviel: Er war nicht nur einer der entscheidenden Innovatoren der Kriminalliteratur, sondern ein zentraler Schriftsteller des Jahrhunderts, dessen Stellenwert erst jetzt allmählich verstanden wird. In Frankreich ahnte man es schon immer, auf den Inseln hat es sich langsam rumgesprochen, die USA kommen allmählich auf den Trichter, und den Deutschen wird jetzt wieder die Gelegenheit geboten, es endlich zu kapieren.

© Thomas Wörtche

 

« Leichenberg 03/1998 zurück zum Index Leichenberg 05/1998 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen