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Leichenberg 05/2011

 

Schmutzige Hände

Was ist los mit Italien? Wie konnte Berlusconi passieren? Was heißt das für Europa? Nach der Lektüre von Giancarlo de Cataldos furiosen Polit-Thriller Schmutzige Hände (Folio) hat man zumindest eine Ahnung, was es bedeutet, wenn sich die politischen Institutionen, die Privatwirtschaft und das Organisierte Verbrechen die Beute teilen - einen ganzen Staat. De Cataldo schreibt da weiter, wo sein nicht minder grandioser Roman »Romanzo Criminale« aufgehört hatte. Er wechselt nur von den lokalen römischen Gegebenheiten eine Stufe höher. In den 1990ern, nach dem Ende der Blöcke müssen sich auch in Italien die Machtverhältnisse neu sortieren. Post-Kommunisten, die Lega, die Sozialisten und die abgehalfterten Reste der Christdemokraten müssen ein neues Gleichgewicht der convenienza (der Kosten-Nutzen-Balance) mit den immer ruppiger werdenden Mafia/Camorra/N'Drangheta-Gruppierungen treffen. Darum herum baut de Cataldo ein ganzes Panorama von Polizisten, Politikern, Geheimdienstlern, Gangstern, Journalisten, Großindustriellen und Medienleuten, von Huren, Callgirls und Gattinnen, Killern und Junkies, bei denen allesamt unklar bleibt, wer gut ist und wer böse. Auf solche Naivitäten lässt sich de Cataldo nicht ein, verweigert alles, was seinen Roman zur "leichten" Lektüre machen würde und erzählt mit allen Mitteln der Ironie, des Sarkasmus, der analytischen Schärfe und des klaren Blicks auf die realen Verhältnisse extrem kurzweilig und brillant. Wenn die Welt schon nicht schön ist, Anlass für große Literatur ist sie schon.

Lass die Toten ruhen

Das gilt, cum grano salis, auch für den zweiten Roman der in Swasiland geborenen Südafrikanerin Malla Nunn: Lass die Toten ruhen (Rütten & Loening). Die rassistische Willkür und der Terror der National Party wird 1953 in Südafrika immer deutlicher. Die stärkste verbrecherische Organisation ist die Polizei selbst. Gleichzeitig spielt sich der Kalte Krieg auch am Kap ab, denn Südafrika ist ein treuer Verbündeter des Westens gegen den Kommunismus. Und so schlittert Nunns Hauptfigur Detektive Sergeant Emmanuel Cooper in eine extrem komplizierte Gemengelange, in der sich indische Gangster, stalinistische Überläufer, mehrere Geheimdienste und sich bekriegende Polizei-Fraktionen ziemlich robust tummeln. Das hört sich kompliziert an, ist kompliziert, aber hervorragend erzählt. Durban in den 1950ern ist ein spannender Schauplatz, das historische Moment ist nicht Kulisse, sondern wesentlich für die Handlung, die Konflikte von Loyalität, Professionalität und Emotionen sind sowieso immer spannend zu lesen. Und es geht in Nunns Romanen um etwas: Um Rassismus, um Politik, um handfeste Bedingungen, unter denen Menschen handeln und nicht um irgendwelche Phantasieunholde und öde Albernheiten, die dem Genre zurzeit reputationsmäßig zusetzen.

Der schnelle Tod

Irische bzw. IRA-Geschichte ist der Hintergrund von Adrian McKinty: Der schnelle Tod (Suhrkamp), der zweite Teil der Trilogie über den Gangster Michael Forsythe. McKintys schnelle, elegante und intelligente Schreibe verdeckt ein wenig die Unplausibilitäten der Figur Forsyth, der einfach für sein Alter und seinen Background viel zu gebildet ist. Trotzdem - das Katz-und-Maus-Spiel, in das er vom britischen Geheimdienst getrieben wird, um eine ultraradikale IRA-Splittergruppe zu infiltrieren, ist atemberaubend gut gemacht. Ein weiteres Beispiel für die These Joseph Wambaughs, dass man die meisten Spionage-Romane auch als Undercover-Cop-Romane lesen kann. Und umgekehrt.

Eher unklar ist, als was man Sick City von Tony O'Neill (Walde & Graf) lesen soll. Man hat ein wenig den Eindruck, als hätten William Burroughs, Hubert Selby und Charles Bukowski einerseits viel Crack, andererseits aber auch Erzählökonomie in großen Mengen eingenommen. Denn die Geschichten von zwei bis zu den Kiemen zugedröhnten Freaks, die mit einem Pornofilm, in dem u.a. Jack Nicholson Sharon Tate vögelt, drei Millionen Dollar verdienen wollen, ist erfreulich geschmacklos, schön eklig, sehr drastisch, gewalttätig und manchmal sogar richtig unangenehm. Und clever erzählt. Mit anderen Worten: Klasse! Nur die beigegebenen Illustrationen von Michel Casarramona (an sich nette Blätter) sind viel zu statisch und bieder, um in diesem Feuerwerk des Irrsinns bestehen zu können.

Deswegen noch der dringende Hinweise auf zwei Bände mit gezeichneter Kriminalliteratur vom Feinsten: Jessica Blandy Bd. 1 und Bd. 2, von Jean Dufaux (Szenario) und Renaud (Bilder), die gerade bei Schreiber & Leser/Alles Gute erschienen sind. Sechs von 24 Geschichten des Comics von 1987, die in atemberaubenden Bildern und coolen Plots von Sex und Gewalt, Licht und Raum, Schönheit und Tod erzählen. Jessica Blandy ist nur noch eine entfernte Verwandte von Modesty Blaise und noch keine Lisbeth Salander, aber eine derart starke Frauenfigur, dass man sich wundert, warum sie nicht viel populärer geworden ist. Aber vielleicht ändert sich das ja.

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

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