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Leichenberg 09/2011

 

Moonlight Mile

Arbeitslosigkeit, das Prekariat der ehemaligen Mittelschicht, die Immobilienblase, der Bankencrash, überhaupt die ganze wirtschaftliche Katastrophe, die die Bush-Jahre in den USA angerichtet hat, bildet den Untergrund für Moonlight Mile von Dennis Lehane (Ullstein). Patrick Kenzie und Angela Gennaro, die beiden Bostoner private eyes hat es auch erwischt. Ihnen geht allmählich das Geld aus, ihre Tochter will großgezogen werden, Jobs gibt es nur gegen demütigendes Wohlverhalten und allgemeine Konformität. Das können die beiden nicht sehr gut, und als auch noch ein zwölf Jahre alter Fall beinahe noch einmal passiert, gegen alle friedfertigen Vorsätze über Bord. Es geht um eine sehr eigenwillige junge Frau, die damals möglicherweise nicht gegen ihren Willen entführt worden war, und die jetzt wieder verschwunden ist. Nur sind heutzutage die Sitten noch rauer geworden, was bei den nicht gerade auf den herrschaftsfreien Diskurs vertrauenden Kenzie & Gennaro schon etwas heißen will. Und vor allem, wenn "die Russenmafia" noch nicht einmal der durchgeknallteste Gegner ist. Ein klassisches PI-Spektakel, das Lehane grandios in den heruntergekommenen Stadtlandschaften inszeniert, die einmal das Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft waren. Keine Kulisse, sondern wichtiger Teil der Handlung.

Das Geständnis

Sehr engagiert ist auch der neuen Roman von John Grisham: Das Geständnis (Heyne). Eine im Grunde einfache Geschichte über den Irrwitz der Todesstrafe en general und über ihre selbstgerechte, bigotte und heuchlerische Anwendung in Texas, die Grisham bis ins Detail ihrer Implikationen auseinanderlegt - von der großen Politik bis zum human factor. Ein junger schwarzer Mann soll wegen des Mordes an einem weißen Mädchen hingerichtet werden, wider jede Evidenz, wider jede Logik und wider jeden Verstand. Plötzlich taucht ein geständiger Täter auf, aber vielleicht ist das nur ein grenzdebiler Wichtigtuer. Der Wettlauf gegen die Zeit, erst Tage, dann Stunden, dann Minuten beginnt, aber das ist nur ein twist point der Geschichte. Grisham schreibt keine brillante Prosa, seine Figuren sind eher Funktionen, aber den epischen Atem für eine wütende Geschichte hat er immer. Ein Volksschriftsteller im besten Sinne.

Leider nur zum Westentaschen-Grisham reicht es bei Ferdinand von Schirachs Roman-Debut Der Fall Collini (Piper). Junganwalt muss bei seiner ersten Pflichtverteidigung feststellen, dass das Opfer seines Mandanten ein guter väterlicher Freund war. Ferner lernt er - wir denken es uns schon bei Lektüre des Klappentextes -, dass greise deutsche Industrielle eine vielleicht nicht ganz so reinliche Vergangenheit haben können, und dass die bundesrepublikanische Justiz in den 1950er und 1960er Jahren heftig mit Weißwaschaktionen der Täter des III. Reiches, die aus ihren Reihen kamen, beschäftigt war. Das ist alles ein bisschen arg dünn und dürftig. Nicht richtig schlecht, aber auch nicht sehr gut. Bleibt das Rätsel, wo - nach zwei Storybändchen und diesem Roman - der Hype und die Bestsellerplatzierungen für von Schirach herkommen. An der Qualität der eher unauffälligen Prosa kann es nicht liegen.

Splitter im Auge

Ein ganz anderes Kaliber ist Norbert Horst. Der hatte nach vier Romanen um den Kommissar Kirchenberg eine ganz eigene Erzählsprache gefunden, eine Art inneren Monologisierens, notfalls in Anakoluthen und schwer jargonisiert. Das war spannend und wagemutig. Sein neues Buch, Splitter im Auge (Goldmann), allerdings zelebriert konventionelles Erzählen an einem konventionellen Plot, mit einem konventionellen, weil heruntergekommenen Polizisten in der Hauptrolle. Und siehe: Horsts Variationen einer Dauerkonstellation der Kriminalliteratur funktioniert. Die Albernheit des Plottes (Serialkiller, didaktisch vorbildlich mit Jugendtrauma ausgestattet, auf dass auch alles brav motiviert sei) liegt in der Natur des Serientäter-Themas. Aber wie Horst sein Personenensemble dirigiert, wie er die Erzählung ins Werk setzt, wie er Polizeialltag in die Handlung integriert, was er seine Figuren sagen und denken lässt - das ist sehr gelungen. Jetzt braucht er nur noch ein ganz eigenes Thema...

So wie Fantômas, der dieses Jahr einhundert Jahre geworden ist. Solange narrt das Phantom der tausend Masken und tausend Identitäten die Welt - multimedial, burlesque, wahnwitzig. Die Surrealisten haben ihn kultisch verehrt, er gehört zu den großen Mythen des 20. Jahrhunderts, seine Erfinder Pierre Souvestre und Marcel Allain sind weit hinter ihre Figur zurückgetreten. Die Edition Epoca beginnt endlich mit einer deutschen Gesamtausgabe in Glimmer und Glitter. Ein Zug verschwindet heißt der erste Band, der zeigt, dass man auch mit schlampigen Plots, Redundanzen und massiver Zeilenschinderei zur Weltliteratur werden kann. Zur Nachahmung nicht empfohlen, denn auch so was muss man genial hinkriegen können.

 

© Thomas Wörtche, 2011

 

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