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Leichenberg 09/1997

 

Wenn zwei Genies sich gegenseitig anschwärmen, kann das recht peinlich werden. Carissimo Simenon - Mon cher Fellini heißt die Sammlung des Briefwechsels der beiden großen Einzelgänger (Diogenes), über dessen Schwarmteile hinwegzulesen sich lohnt, weil unter dem Zuckerguß erstaunliche Dinge über das Machen von Kunst zu finden sind. Über Behinderungen, emotionale Kosten und die Absurditäten der "Kulturindustrie", unter denen auch hochgehandelte Big Shots zu leiden haben, wenn sie "ihr Ding" machen und nicht das, was man von ihnen verlangt. Empfehlenswerte Lektüre - und gerade die richtige Fallhöhe, um mal wieder den Kopf zu schütteln über irgendwelche Schlichtprodukte, derentwegen man ganze Wälder abholzt. So gibt es zum Beispiel keinen vernünftigen Grund, einen literarisch ungeschlachten Heftchenroman wie Das Ölfeldkomplott von Sarah Andrews (Piper) zu veröffentlichen. Es mag ja sein, daß die Autorin wirklich aus der Ölbranche kommt. Chandler war auch mal drin, aber deswegen hat selbst er noch lange nicht ein Bohrturm-Mystery schreiben müssen. Über-Flüssig.

Dito Die dunkle Seite der Lichterstadt von Mercedes Lambert (Ariadne). Eine wirre Geschichte, aufgepeppt mit den wirren Überlegungen der Heldin, ob sie jetzt lesbisch werden soll. Ach ja - und wie sie sich immer gruselt, weil das Objekt ihrer Begierde eine Hure ist. Tja, die größte Feindin der Huren ist die stramme "Frauenbewegung". Immerhin hat Mercedes Lambert ein paar nette wise cracks zu bieten. Aber das reicht nicht. Wise cracks reichen auch bei Kinky Friedman nicht, um wirklich gute Bücher zu schreiben. Er blödelt wunderbar. In seinem neuen Roman Gott segne John Wayne (Hoffmann & Campe) wettert er gegen Deutsche und Oberkellner - wir wettern gern mit - aber die Story ist so lustlos hingerotzt und verzopft, daß man dauernd vergißt, um was es eigentlich geht.

Bewußt zopfig ist der Plot von Walter Satterthwaits Eskapaden (Haffmans) - der klassische Landhauskrimi als reines Spiel, als literarische Äquilibristik, featuring den Großen Houdini.

Mit literarischer Äquilibristik kann man allerdings auch sehr realitätstüchtig umgehen. Das führt Kenneth Abel sehr schön vor. In seinem zweiten Roman, Die Mauer des Schweigens (rororo), gibt es jede Menge Shakespeare und Grand Guignol, aber auch jede Menge Betriebswirtschaft zum Thema "Wie bezahle ich ein Police Department". Nicht irgendeins übrigens, sondern gleich das von New York City. Da wundert es schon gar nicht mehr, daß einer der italienischen Geschäftsleute (mit Firmenhauptsitz Miami) in seiner Freizeit als Stand-Up-Comedian auftritt. Wenn Abel so weitermacht, wird er ein Großer.

Ein ganz Großer hat wieder zur alten Form zurückgefunden: John le Carré. Eric Ambler schweigt schon lange, Ross Thomas ist tot, es wird einsam um le Carré. Den Versuchen, Leute wie Forsyth, Guillou oder andere Format-Schreiber als Gegengewicht aufzubauen, hat er mit Der Schneider von Panama (KiWi) einen herben Schlag versetzt. Mit einem raffinierten literarischen Kniff (dem re-writing von Graham Greenes "Unser Mann in Havanna") erzählt ein vor produktiver Wut sprühender le Carré vom hochstaplerischen Schneiderlein, der mit einer Qualität von Miesigkeit konfrontiert wird, gegen die der ausgekochteste Gauner machtlos ist. Der Roman ist eine geschickte gegenseitige Spiegelung von Europa und der Karibik. Und - keine schöne Einschätzung der westlichen Zivilisation.

© Thomas Wörtche

 

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