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Leichenberg 12/2016

 

Die Strasse ins Dunkel

Gute Kriminalromane reagieren sehr sensibel auf politische und soziale Verwerfungen. Vermutlich deshalb kommen aus der Republik Südafrika seit den Zeiten des großen James McClure so viele exzellente Versuche, die dort herrschende, sehr unbehagliche Situation erzählerisch zu reflektieren. Zu Autoren wie Mike Nicol oder Andrew Brown hat sich jüngst Paul Mendelson gesellt. Der McClure'schen Blaupause schon fast zitathaft folgend, lässt auch Mendelson zwei sehr unterschiedliche Polizistentypen agieren: Don February, Warrant Officer beim SAPS Kapstadt und Colonel Vaughn de Vries, sein Vorgesetzter. Der Colonel ist weiß, stammt noch aus dem alten Apartheid-Apparat, ist ein knorriger Rassist, Sturkopf, Säufer, sozial leicht debil. February mag seinen Chef nicht, er steht für das "neue" Südafrika, aber auch ihm passt die Richtung nicht, in die sich das Land bewegt. Die Strasse ins Dunkel (Rowohlt Polaris) ist der zweite Roman, in dem sich die beiden in die Fallstricke südafrikanischer Realpolitik verstricken. Die Fronten sind aber bei weitem nicht mehr so einfach, selbst im Negativen nicht. Zwar besteht der schwarz/weiß-Antagonismus weiterhin, zwar ragt die Vergangenheit, in der sich de Vries unverzeihlich schuldig gemacht hat, und dies auch weiß, immer noch in die Gegenwart, aber Mendelson treibt die neue Unübersichtlichkeit auf die Spitze. Die Weißen sind so uneins untereinander wie die Machthaber des ANC - die verschiedenen Fraktionierungen, die jeweils eine höhere Moralität behaupten, prügeln sich um Macht, Einfluss und Profit, die jeweils sehr pragmatischen Koalitionen kennen Hautfarben höchstens noch aus rhetorischen Gründen. Auf der Strecke bleiben dabei die, die man als Kollateralschaden begreifen kann: In diesem Roman sind es die Frauen - die weiße Erbin eines Industriegiganten wird ermordet, eine schwarze Künstlerin wird für ihre aus eigener leidvoller Erfahrung geborenen radikal-feministischen Bilder von der Kirche und besorgten Bürger attackiert. Den notorischen "höchsten Kreisen", in die die Ermittlungen der beiden Hauptfiguren führen, sind solche lebensweltlichen Realitäten allerdings höchst egal, sie sind lediglich willkommene Konstellationen für ganz andere Schachzüge. Ein erfreulich unbequemer Roman, der die "bösen Fragen" stellt, die wirklich wehtun.

Scharfschuss

Etwas schlichter gestrickt ist Scharfschuss von Michael Connelly (Droemer) - der neue Roman mit Harry Bosch. Der steht inzwischen ein Jahr vor der endgültigen Pensionierung vom LAPD, wo er tapfer in der Cold Case Unit für Gerechtigkeit und Recht sorgt. Ein knorziger Cop, very old school, mit einem Hang zu Schusswaffen, der zwar auch mit politischen Opportunisten im Department und fiesen Politicos zu kämpfen hat, aber letztendlich doch polizeifromm rüberkommt. Zudem wird Connelly nicht müde, akribisch polizeiliche Verfahren, Institutionen und Zuständigkeiten zu referieren, als ob sein Roman ein Infoblatt des LAPD wäre. Aber nichtsdestotrotz: Die Geschichte von anscheinend sinnlosen Attentat auf einen Mariachi-Musiker, der vor zehn Jahren angeschossen wurde und in der Jetztzeit den Spätfolgen der Schusswunde erliegt und zwischenzeitlich als Politikum missbraucht wurde, liefert eine Menge Stoff für eine Stadtgeschichte von Los Angeles, die wunderbar gelungen ist. Bosch und seine neue Untergebene, Lucia Soto, sind ein Ermitttlerduo mit hohen Identifikations- und Sympathiewerten für ein Publikum, das sowas zu schätzen weiß. Ein bisschen kritisch, ein bisschen eigen, ein bisschen robust. Wohlfühllektüre, ganz auf der sicheren Seite. Is' schon okay.

Miss Terry

Sehr wohlig um's Herz wird es einem bei Liza Codys Miss Terry (Ariadne). Jemand musste Nita Tehri verleumdet haben, denn ohne etwas Böses getan zu haben, wurde sie eines Tages von der Polizei verdächtigt. Dabei ist Nita nur eine harmlose Lehrerin mit indischem Background, die im Dissens mit ihren Eltern, vor allem ihrem Vater, versucht, ihr eigenes Leben zu leben. Aber dann taucht im Müllcontainer vor ihrem Haus eine Babyleiche auf - und hatte Nita nicht jüngst deutlich an Gewicht verloren? Die sozialen Sanktionen in der völlig durchschnittlichen englischen Wohnstraße werden grimmig, Unheil droht von ihrer eigenen Familie. Was so kafkaesk beginnt, dreht sich zunehmend ins Herzige: Denn die Außenseiter der Nachbarschaft beginnen sich peu à peu mit der armen Nita zu solidarisieren, Hilfe kommt aus Ecken, aus denen Nita nie welche erwartet hätte. Liza Cody fährt wunderbare Szenen aus dem alltäglichen Wahnsinn auf, skizziert mit satirischem Blick Bürokraten, Spießer, Schurken und Polizisten, die einem freundlichen Wesen das Leben zur Hölle machen können. Und formuliert ein trotziges "Dennoch!". Früher hätte man so etwas einen "Verständigungstext" genannt - ein rührendes Plädoyer für Menschenliebe, Solidarität und gegenseitigen Respekt.

Protokoll einer Entführung

Die gegenteilige Temperaturskala bedient wie immer Ross Thomas. Mit Protokoll einer Entführung schreitet die Werkaushabe im Alexander Verlag wacker voran. Philip St. Ives, was uns sagt, dass der Roman früher unter Thomas' Pseudonym Oliver Bleeck erschienen ist, wird auf den Balkan geschickt, um im damaligen Jugoslawien die fingierte Entführung des US-amerikanischen Botschafters zu handeln, die eine größere Geheimdienstoperation im Kalten Krieg übertünchen soll. Spaß macht das nicht gerade, aber St. Ives wird von einem sehr dubiosen Mitarbeiter des Außenministeriums wenig subtil unter Druck gesetzt. Also muss er eher subtil versuchen, aus der Nummer herauszukommen. Der Roman ist möglicherweise nicht der allerstärkste Ross-Thomas-Roman, aber das heißt bei der grundsätzlichen Qualität des Gesamtwerkes relativ wenig. Und vor allem ist »Protokoll einer Entführung« die deutlichste Hommage von Ross Thomas an den von ihm so bewunderten Eric Ambler ("Ambler, immer wieder Ambler", pflegte er auf seine literarischen Inspiratoren angesprochen, zu sagen). Ambler'sch ist der Schauplatz, die Szenerien, die zwielichtigen Figuren, das gesamte Setting. Plus die Ross Thomas'schen coolen Zynismen, seine einzigartige Poetik der Äußerlichkeiten - das reicht für einen ziemlich sehr guten Roman bei weitem.

Bogmail

Von 1978 bis heute dauerte es, bis wir uns endlich an einem Juwel der irischen Kriminalliteratur erfreuen dürfen: Bogmail von Patrick McGinley (Steidl). Der clevere Untertitel Roman mit Mörder bewahrt vor falschen "Erwartungen" - by the way sind "Erwartungen", erfüllte oder nicht erfüllte, anscheinend neuerdings ein Qualitätskriterium für Literatur, mon dieu. Der Mörder ist der Wirt eines Pubs in einem irischen Dörfchen, der heiter und wohlgemut beschließt, das, was er für soziale Hygiene hält, durchsetzen. Also haut er seinem Barkeeper, dem er wollüstige Ambitionen auf seine Tochter unterstellt, den 5ten Band seiner Encyclopædia Britannica (Jahrgang 1911) über den Schädel und versenkt den Strolch im Moor. Und dann taucht die Bogmail auf - ein aparter Neologismus aus "blackmail" und "Moor, Schlamm". Das Dörfchen ist vom Verschwinden des Barkeepers wenig beeindruckt, der ermittelnde Dorfpolizist (wenn er wirklich mal ermittelt) nicht die hellste aller Leuchten. Und so geht das Leben im Pub seinen Gang. Es wird gesoffen (der Dorfarzt mahnt, mehr als eine Flasche Jameson pro Tag sei möglicherweise nicht so gut), gestritten, gepöbelt, gefeilscht, schwer über das Gute und das Böse philosophiert, das Sexualleben der Dorfbewohner durchgehechelt, sich aufgeregt über den Lauf der Welt, und über wirklich wichtige Dinge räsoniert: Über die Nützlichkeit von Regenwürmern, natürlich über Gedichte und Religion (wir sind ja in Irland), über die Wirkung von Rotalgen auf die männliche Potenz oder über das Trommeln der Schnepfenmännchen. Das alles ist von morbid-komischem Hintersinn, fein ziseliert erzählt (und von Hans-Christian Oeser genauso übersetzt). Und es ist alles hochgiftig. Weltalltag in einem kleinen Dorf, auf der Kippe von Tradition zur Moderne, und deswegen auch skrupellos gewalttätig. Kriminalliteratur vom Feinsten.

Protokoll einer Entführung

Nachdem sich Australien mehr und mehr als Thriller-Boomland herausstellt, kann es nicht ausbleiben, dass allmählich auch Bücher der dritten oder vierten Garnitur zu uns rüberschwappen. The Dry von Jane Harper (Rowohlt Polaris), zum Beispiel. Ein kreuzbiederer und langatmiger Whodunit, bei dem wie üblich alle Verdächtigen penibel durchdekliniert werden, bis es dann doch einer war. In dem Fall der Mörder einer ganzen Familie. Dazu noch ein bisschen coming-of-age und small town Australia. Der Zusammenhang mit einer langen Dürreperiode ist eher behauptet als konstitutiv, und wird vom Mord-Aufklärungsschema plattgemacht. Gute Nachrichten für manche hiesigen Autorinnen und Autoren: Belanglose Krimis gibt es auch in Australien.

Für Menschen, die meinen, die Welt werde immer schlechter, empfiehlt sich hin und wieder ein Blick in die Geschichte. Vor allem das alte Rom hat eine Menge zu bieten an Grausamkeiten, fiesem Denken, Gewalt, Intrigen, Macht- und Profitstreben und Scheußlichkeiten aller Art. Wenn Giancarlo de Cataldo und Carlo Bonini in ihrem großartigen Roman »Suburra« vom finsteren Herzen Roms erzählen, und dass sich dieses seit der Antike gehalten hat, dann haben sie allzu recht: In Tom Hollands brillantem Sachbuch Dynastie. Glanz und Elend der römischen Kaiser von Augustus bis Nero (Klett-Cotta) finden sich sehr anschauliche Passagen über jenes Viertel, genannt Suburra, das schon damals ganz demokratisch Laster und Verbrechen für jedermann, ob Plebs oder Adel, im Angebot hatte. Holland montiert zeitgenössische Quellen (durchaus quellenkritisch) und heutige Erzähltechniken zu einem extrem unterhaltsamen, klugen und lehrreichen nicht-fiktionalen Polit-Thriller, der an ausgefuchsten Machinationen, hinterhältigen Ränken, barbarischen Gräueln, überraschenden Toden und einer Atmosphäre allgegenwärtiger Gewalt leicht "Game of Thrones" toppt. Das Buch demonstriert intelligent die Relationen zwischen Realpolitik und deren Umsetzung in verklärende Erzählungen. Dabei belässt Holland das antike Rom in seinen eigenen Parametern, das heißt, er verzichtet trotz moderner Begrifflichkeiten auf a-historische Analogien, lässt also die Alterität der geschilderten Ereignisse und Persönlichkeiten bestehen. Das macht die Angelegenheit umso spannender, weil man so Fremdes in seiner Fremdheit verstehen kann. Und das haben wir sowieso bitter nötig.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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