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Wörtches Crime Watch 03/2007

 

Peter Temple: Kalter August

 

Kalter August "Cashin dachte, dass es im Leben keinen festen Grund unter den Füßen gab. Nur verschieden dicke Krusten über dem Schlamm." Joe Cashin ist Polizist in Port Monro, einem Kaff an der Südwestküste Australiens, nicht weit von Melbourne entfernt. Dort war er früher einer der Stars der Mordkommission, bis er im Dienst schwer verwundet wurde. Jetzt versucht er in der Provinz, die auch seine Heimat ist, seelisch und körperlich zu genesen. Die Küste dort ist rau, schrundig, kaputt - "The Broken Shore" heißt der Roman von Peter Temple, von dem wir hier reden, im Original. Bei uns heißt er "Kalter August", was immerhin auf die entfernte Nachbarschaft der Antarktis hinweist, die das Klima und die Atmosphäre des Buchs vorgibt.

In seiner Funktion als Dorf-Polizist ist Cashin zunächst nur am Rande involviert, als ein reicher, alter Mann in seinem herrschaftlichen Anwesen ermordet wird. Ein klarer Fall von Raubmord, wie es auf den ersten Blick scheint. Und dieser erste Blick passt gewissen Kreisen gut ins politische Konzept, denn diesen Mord depravierten Aborigines anhängen zu können, würde viele Dinge schön unter der Decke halten. Cashin mischt sich ein, und bald schiessen sie aus dem Boden, die ganz normalen Schweinereien: Blanker Rassismus, Korruption in der Polizei, widerwärtiger Mißbrauch des Konzepts von privater Wohlfahrt und sozialem Engagement, politische Winkelzüge und schräge Geschäfte - ganz allgemein: Menschenverachtende Vorteilnahme allüberall.

Eine große Qualität des gebürtigen Südafrikaners Peter Temple, der "australischere" Prosa schreibt als viele Australier (was in der Übersetzung natürlich nicht sichtbar werden kann, betrüblicherweise) besteht nun darin, die genannten Schweinereien als normales menschliches Sozialverhalten zu behandeln, sie also ganz deutlich nicht als sensationelle Pointen zu stilisieren. So tickt die Welt. Wir wissen das, Temple weiß das, seine Figuren wissen das. Es kömmt aber darauf an, daraus Literatur zu machen. Die wird dann einfach ganz von selbst zu Kriminalliteratur. Und zwar auf der Höhe der Zeit - Gegenwartsliteratur, wie sie sein soll.

Temple beschreibt extrem präzise ein wenig schickes Alltagsleben. Da ist für den gehobenen, kultivierten Geschmack nichts zu holen. Es geht um Handwerk, um Hausbau, um Kühe, Zäune, ganz normale Menschen und Hunde, ums Geldverdienen, um Polizisten, die sich wie Polizisten verhalten und denken und fühlen. Ums Überleben, um Glück und Unglück, um lauter solche wichtigen, aber unspektakulären Dinge. Selbst die zwei Rache-Mörder mit guten Gründen und schlimmer Veranlagung, die am Ende der Handlung auftauchen, stammen nicht aus dem Gruselkabinett des Psychopathen-Thriller à la mode, sondern sind elende, versaute und verkorkste Wichte. Auch die elegante Lady im Hintergrund ist veritabel krank, aber eben auch nur "banal", wie Cashin beiläufig anmerkt. Täterin und Opfer gleichermassen. Aber dieser Diskurs interessiert Temple weniger. Sein Erzählton, seine Perspektive, seine Lakonie und sein sehr spezifischer Witz befassen sich überhaupt nicht mit "Diskursen" oder Themen oder Skandalen, sondern mit konkreten Umständen, mit deren Poesie, mit deren Schrecken, mit deren Uneindeutigkeiten, mit deren Offenheit und Kontingenz: "Cashin kam allmählich auf den Geschmack, was klassisches Piano betraf... Am allermeisten gefielen ihm die Pausen, die Lücken zwischen dem, was war, und dem, was noch kam."

Was noch kommen wird, im Roman, unterliegt Temples meisterhafter Dramaturgie - das Buch fängt ganz anders an als es endet, es ist an keiner Stelle voraussehbar. Es überrascht, ohne zu Überraschungseffekten greifen zu müssen. Und am Ende merkt man, dass alles von Anfang an in nuce angelegt und vorhanden war. Die Spannungsdramaturgie orientiert sich niemals an irgendwelchen angeblich funktionierenden Regeln für suspense, sondern an Faser und Textur menschlichen Verhaltens, an der Dynamik der sozialen Interaktion und dem Geschick des Autors, all dies literarisch zu simulieren und ästhetisch zu arrangieren.

Mit Peter Temple, von dem es weitere sieben Romane gibt, ist ein großer australischer Autor zu entdecken. Ein großer Kriminalautor.

Peter Temple: Kalter August. (The Broken Shore, 2005). Roman. Aus dem australischen Englisch von Hans M. Herzog. Deutsche Erstausgabe. München: Bertelsmann, 2007, 444 S., 19,95 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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