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Wörtches Crime Watch 04/2009

 

Maren Lorenz: Vandalismus als Alltagsphänomen

 

Vandalismus als Alltagsphänomen

Würden zu viele Kriminalromane sich nicht zwischen Blutrausch, Verschwörungen und Heimatgedöns verläppern und so allmählich die intellektuelle und künstlerische Reputation des Genres verdaddeln, dann könnten sie sich wunderbar an die Gelenkstellen bestimmter Diskurse setzen. Diskurse, die manche Themen brauchen, um breitenwirksam öffentlich zu werden, um festgefahrene Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster aufzubrechen und neu zu sortieren. In dem schlanken, elegant argumentierenden Bändchen "Vandalismus als Alltagsphänomen" hat die Berliner Historikerin Maren Lorenz ein Phänomen untersucht, dass es schon immer gab und das schon immer den unterschiedlichsten Interpretationen unterworfen war: Die Zerstörung von öffentlichem oder fremdem Eigentum, das anscheinend "sinnlos" und mutwillig geschieht, für die man keine andere Erklärung als "groben Unfug" finden mag, und die ins Mark der jeweiligen Gesellschaften zielt. Gewalt gegen Sachen, unterhalb einer gewissen "Kriminalitätsschwelle, in manchen politischen Zusammenhängen gar mit der Todesstrafe belegt, und mittels der Parameter "Verrohung der Jugend" und "Werteverfall" direkt an Amok-Schützen und dergleichen kulturpessimistisch anschließbar.

Lorenz skizziert die Historie des Vandalismus seit der Antike, beschreibt die Entstehung des Begriffs im Kontext der französischen Revolution, zeichnet seine verschiedenen Tönungen nach, je nachdem von welcher Gruppe die Zerstörung welcher Gegenstände gemeint sind: Kulturgüter oder Alltagsgüter. Besonders genau zeigt sie, wie sich die Topoi herausbilden, die wir heute in jeder Diskussion über gewalttätige Jugendliche um die Ohren geschlagen bekommen. Der Konsens, dass es sich um männliche Gewalttäter und um bestimmte Arten der Verwüstungen handelt, basiert jedoch nicht immer auf Fakten. Im Gegenteil, er verdankt sich immer auch dem Ausblenden anderer Tatsachen. So werden Erwachsene oder Mädchen als Täter verdrängt, die gezielte Zerstörung von Symbolen darf als Indiz für politischen Dissens einfach nicht sein etc. Nur die kulturpessimistischen Mantras bleiben: Die Jugend ist verroht, die Familien funktionieren nicht mehr, das Abendland ist bedroht. Die Anstifter, ob zu Sachbeschädigung oder Schulmassaker, sind die üblichen Verdächtigen: Schmutz und Schund - aktuell Krimis und Computerspiele, wie man in seriösen Blättern lesen kann -, strukturanalog zu Gottlosigkeit, Homosexualität und "falschen Vorbildern" früherer Zeiten.

In der Studie stecken so ziemlich alle Muster, mit denen versucht wird, normabweichendes Verhalten in überschaubare, für den jeweiligen politischen Mainstream opportune Raster zu stecken. Bis die nächste Gewalteskalation zwar zur Modulation des Diskurses zwingt, aber nicht zu neuen Ansätzen. Die, so Lorenz, passieren eher dann, wenn populärmediale Verarbeitungen neue Richtungen des Denkens eröffnen. So wie die Filme "Clockwork Orange" von Stanley Kubrick oder "Over the Edge" von Jonathan Kaplan, nach denen man "Vandalismus" mit anderen Augen zu sehen begonnen hat. Wenn nun aktuell Amokschützen in den Vandalismusdiskurs-erprobten Parametern ("Werteverfall" etc.) diskutiert werden, müsste man eigentlich auf den popkulturellen Befreiungsschlag warten, der den Diskurs drehen kann.

Ob der von der Kriminalliteratur kommen könnte, steht in den Sternen. Allein für das Herauspräparien dieses diskursiven Mechanismus aber kann man Maren Lorenz´ knappes Bändchen nicht genug loben.

Maren Lorenz: Vandalismus als Alltagsphänomen. Originalausgabe. Hamburg: Hamburger Edition, 2009, 158 S., 12.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2009

 

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