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Wörtches Crime Watch 07/2008

 

Rex Miller: Fettsack

 

Fettsack

Es ist von fast bezaubernder Ironie: Lange bevor der zeitgeistige Blutstrom der Serialkiller-Romane zu fließen begann, waren die besten schon geschrieben. Die besten Serialkiller-Romane waren bezeichnenderweise Meta-Serialkiller-Romane. Viele davon gab es nicht. Derek Raymonds »I was Dora Suarez« (1990), Pieke Biermanns »Violetta« (1990), Andreu Martíns »El hombre de la navaja« (1993) etwa operierten schon weit komplexer als die damals aufkommenden Heroen des sich gerade formierenden Subgenres. Raymond bastelte anhand des Sujets an seinem gesellschaftskritischen Konzept der »Literatur der Trauer«, Biermann drehte die übliche geschlechtermäßige Täter/Oper-Sortierung um, und Martín spottete über mediale Vermittlungen des Serialkillers. Alle drei verfuhren dabei ästhetisch innovativ, vornehmlich polyphon. Was dann an Serialkiller-Romanen als Formel erfolgreich und verkäuflich wurde, war von Thea Dorn bis Jean-Christophe Grangé nur noch intellektuelle und künstlerische Langeweile. Übersehen hatte man damals immer einen vierten Autor, der ungefähr zeitgleich, 1987, »Fettsack« vorlegte, ein Roman to end all serial-killer-novels: Rex Miller. Vermutlich ist »Fettsack« hierzulande unbemerkt geblieben, weil er unter »Splatterpunk« lief, eine im Weltbild des Feuilletons damals gar nicht existente Kategorie.

Die Edition Phantasia macht jetzt auf diesen irren Text aufmerksam. Ganz sicher mit dem trashigsten Cover seit langem, das eine blutbesudelte kolossale Buddha-Pervertierung mit deviantem Grinsen inmitten verwesender Kadaver zeigt. Die krasse Geschmacklosigkeit der Graphik ist Programm: »Fettsack« ist ein krasser Roman, der über Geschmacksgrenzen hinwegmetzelt.

Nicht weil er Tabus brechen will, sondern weil die Story ein solches Verfahren nachgerade verlangt. Daniel Bunkowski, zweihundertfünfzig Kilo reine Vernichtungspower, ist eine Züchtung der US-Army, der im Vietnamkrieg das Abschlachten von Menschen zwecks Erhalt der Demokratie zur rohen Kunst erhoben hat. In den 1980ern macht er einfach in Chicago weiter, weil zwischen Krieg und Reagonomics für ihn kein allzu großer Unterschied besteht. Und weil es immer noch Spaß macht. Bunkowski, genannt Chaingang, ist schließlich nicht metaphysisch böse, sondern nur konsequent. Seine Intelligenz und seine präkognitiven Fähigkeiten, gefördert und gehätschelt im Staatsdienst, sind jetzt besonders nützlich, im Duell mit dem Cop Jack Eichord. Der ist ziemlich runtergekommen, kein Profiler, kein HighTech-Spezialist, sondern ein kluger Mordbulle mit einem nicht mal dramatischen Alkohol- und Beziehungsproblem.

Rex Miller Spangberg (1939-2004) war Radiomann aus Sikeston, Missouri. Er war aficonado von popular culture und garantiert kein »Feingeist« mit theoretischen Ambitionen. Insofern ist es schon bemerkenswert, dass er inmitten der Lust an Drastik, Blut und Gekröse schon vor zwanzig Jahren sämtliche Serialkiller-Diskurse durchdekliniert hat: Die Rolle der Medien, die Bestie als Resultat staatlicher Bedenkenlosigkeit, die Verwahrlosung und Ökonomisierung menschlicher Beziehungen, die Vorzüge des Killers als einem politischen Instrument der moral panic, die geldwerten Vorteile der Serialkiller-Industrie. All das eben, was die Kunstfigur des Serialkillers von jeder Wirklichkeit befreit später in einen »Diskurs«-Typ überführt hat.

Miller thematisiert und ironisiert maliziös all diese Punkte, während er, nicht immer linear, kein bisschen narrativ konventionell und gleichzeitig hochelegant die Geschichte der Jagd auf Chaingang erzählt. Und uns verrät, warum greinende Sentimentalität letztlich ein böses Ende nimmt.

Die als wollüstige Orgie extrem überzeichnete Gewalt steht für einen antinaturalistischen Darstellungsmodus: Da schreddert und fetzt es, es stinkt, strömt, schwallt und ergießt sich, spritzt und penetriert - Sie sehen, wo diese wenig subtile, offen lüsternen Metaphern ihren puritanischen Ursprung haben. Deswegen ist dieser Modus weit radikaler als die angeblich nur deskriptive Gewaltdarstellung in heutigen Produkten, die aus Verkaufskalkül »realistisch« zu sein behauptet.

»Fettsack« ist ein ekelhaftes Buch, ein sehr gelungenes, radikales und aggressives auch.

Rex Miller: Fettsack. (Slob, 1987) Roman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber. Ungekürtze Neuübersetzung. Phantasia Paperback, Crime Bd.4002 (1. Aufl. - Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1991 unter dem Titel »Im Namen des Todes«), kartoniert, 269 S., 15,90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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