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Wörtches Crime Watch 08/1997

Henning Boëtius, Michael Merschmeier und D.B. Blettenberg

 

Undines Tod Berlin hatte im 19. Jahrhundert einen Erzähler von Weltrang: E.T.A. Hoffmann. Schon damals ist man nicht nett mit ihm umgegangen. Der preußische Obrigkeitsstaat hat ihn nach allen Regeln der Kunst gemobbt, und nur sein früher Tod hat Schlimmeres verhütet. Auch heute überschlägt sich die Stadt nicht gerade vor Ehrungen und Gedenken an einen der komischsten, eigenartigsten und kreativsten Köpfe seiner Zeit. Schon gar keine angemesse Hommage ist Henning Boëtius' E.T.A. Hoffmann-Roman "Undines Tod". Noch nicht mal der Held des Buches ist explizit E.T.A.Hoffmann, sondern der Kammergerichtsrat, Schriftsteller und Komponist Kreißler. Boëtius' Kreißler jedoch ist Hoffmann. Ein Kunstgriff - aber warum?

Die anderen historischen Figuren aus dem Jahre 1817, die das Buch bevölkern, treten unter Klarnamen auf: Devrient als Devrient, Koreff als Koreff etc. Ahnt Boëtius, daß Hoffmann sich für den Plot geschämt hätte? Der ist ein hanebüchenes Ragout aus derzeit marktgängigen Formeln: historischer celebrity-thriller (à la George Baxt), Serialkillerschwarte und "Berlin-Krimi". Das ganze geist- und witzlose Gemetzel hat mit Hoffmann nichts zu tun. Und schon gar nicht mit dessen doppeldeutigen und vertrackten Prosa, die Unterhaltung bis heute zum intellektuellen Vergnügen macht. Damit hat´s die deutsche Literatur halt immer noch nicht so arg.

Berliner Blut Umso willkommener ist da "Berliner Blut" von Michael Merschmeier. Kriminalliteratur hat bekanntlich ihren Ursprung auch ganz unten in der Hierarchie der Texte, bei der Kolportage. Und Kolportage ist nur dann nicht öd und fad, wenn sie's krachen läßt. Der als Theater Heute-Redakteur mit seinem Thema inniglich vertraute Merschmeier inszeniert die Abwicklung des Schiller-Theaters (hier: "Das Große Schauspielhaus") als Schlammschlacht mit großem Feuerwerk am Ende, als Räuberpistole mit Mafia und korrupten Politikern, als fröhlich schwulen Thriller. Tratsch & Klatsch, feiner Trash ohne große Ambition. Also vermutlich erkennbar haarscharf daneben, wie die Chose damals gelaufen sein könnte. Oder so.

Das pp. Publikum kann sich nicht nur ans freudige Entschlüsseln all der kleinen Insider-Jokes machen, es kann sich, weit über Berlin hinaus, daran erfreuen, unserem beliebten (fiktiven) Regierenden beim Ausrutschen auf internationalem Parkett zuzugucken, einen großen Mimen von der eigenhändig verdrängten Vergangenheit eingeholt zu sehen und einem inzwischen eher in München wirkenden Paar ("ein wenig ausgetrocknet") beim Salonabhalten zu belauschen. Bosheit und Malice allüberall, ein zum Quiken lustiger Guckkasten in die Welt des "Guten, Schönen und Wahren". Auf die Contre-Ranküne der Gemeinten darf man gespannt sein.

Null Uhr Managua Auch nicht gerne lesen in gewissen Kreisen wird man den neuen Roman von D.B. Blettenberg: "Null Uhr Managua". Nicaragua hat Probleme: Man will an die Wirtschaftshilfe ran, die westliche Länder zu vergeben haben. Aber aus sandinistischen Zeiten hat man noch eine ganze Menge suspekter Leute im Land, die damals wertvolle Kampfgenossen waren. Jetzt (1993) regiert Frau Chamorro, aber einem Ortega-Bruder gehört die Armee. Abgemusterte Bürgerkriegskämpfer jeder Couleur streifen durchs Land. Und was ist eigentlich mit der Jugend, die mit und im Krieg groß geworden ist? Ein freischaffender deutscher "Evaluationsexperte" wird ins Land geschickt, der zusammen mit einer internationalen Polizeitruppe ein Verbrechen polizeilich "nachbereiten" soll, um die demokratischen Fortschritte des Landes zu untersuchen. Der Mann tritt in ein Minenfeld.

Blettenberg, der lange genug am Schauplatz des Geschehens gelebt hat, erzählt diese böse Geschichte aus der Realpolitik in seiner gewohnt präzisen Prosa, die von Roman zu Roman bösartiger und ätzender wird. Allein der Abschnitt über den Urinbeutel von Dikatator Somoza ist sein Geld wert, und der verkniffene Drittweltist, der seit den berühmten Kaffeepflück-Missionen der deutschen Linken dort hängengeblieben ist, hat hohen satirischen Wert. Kein Buch, das sich auf gemütliche Konsense einläßt, aber ein Polit-Thriller, wie ihn sonst angeblich nur die Angelsachsen hinkriegen. Und merke: Palmen sind Gräser.

 

© Thomas Wörtche, 1997

 

Henning Boëtius:
Undines Tod.

Roman.
München: BTB Hardcover 1997.
303 Seiten, DM 39,90

Michael Merschmeier:
Berliner Blut.

Roman.
Hamburg: Rotbuch 1997.
279 Seiten, DM 38.-

D.B. Blettenberg:
Null Uhr Managua.

Roman.
Berlin: Volk & Welt 1997.
370 Seiten, DM 42.-

 

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