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Wörtches Crime Watch 9/1999

Margrit Sprecher: Leben und Sterben im Todestrakt

 

Es gibt Staaten, in denen zum Tode verurteilte Menschen gesteinigt werden. Der Iran, Mauretanien, der Sudan und der Jemen gehören zum Beispiel dazu. Staaten allesamt, denen gegenüber die USA jederzeit und lauthals die Verteidung der Freiheit und der Menschenrechte predigt und notfalls auch militärisch durchsetzen möchte.

In den USA werden zum Tode verurteilte Menschen jahrelang unter menschenunwürdigen Verhältnissen in käfigartigen Behältnissen gehalten, von pflichtbewußtem, willkürlichem und gleichgültigem Wachpersonal verwaltet und, nach grausam langen Fristen, dann endlich mit Stromstößen oder Giftinjektionen umgebracht.

Das Buch der Weltwoche-Reporterin Margrit Sprecher: "Leben und Sterben im Todestrakt", erzählt empört, aber nie krakeelend, warum die Handhabung der Todesstrafe in den USA dazu geeignet ist, jede moralisch argumentierende Außenpolitik der Supermacht empfindlich zu diskreditieren. Das Skandalon, daß einzelne Bundesstaaten aufs Völkerrecht pfeifen, wenn's ans erbarmungslose Hinrichten geht ("Soll uns Mexiko doch den Krieg erklären", grinste ein texanischer Staatsanwalt, nachdem Texas nach haarsträubender Verletzung internationaler Gepflogenheiten einen mexikanischen Staatsbürger flugs hingerichtet hatte), und selbst bedenkentragende außenpolitische Einwände aus Washington eher zu Trotzreaktionen ("jetzt erst recht") führen, ist symptomatisch für das Selbstverständnis der USA. Und man muß keine antiamerikanischen Ressentiments pflegen, um sagen zu dürfen: In manchen Aspekten haben große Teile dieses Volkes einen an der Waffel.

Margrit Sprechers in jeder Hinsicht notwendiges Buch ist ein grusliger Thesaurus amerikanischer Macken, Neurosen und Verschrobenheiten, die kein bißchen liebenswürdig sind. Allein die Statistik brüllt den ganzen Wahnsinn der Todesstraferei heraus: "Neun von zehn Männern, die wegen Vergewaltigung getötet werden, sind schwarz. Von den über 500 Menschen, die zwischen 1977 und 1998 in Amerika hingerichtet wurden, haben über 80 Prozent einen Weißen umgebracht, obwohl sich die schwarzen und weißen Opfer fast die Waage halten." Alle feingeistigen Diskussionen über den Rassismus in den USA erlöschen hier: Die USA sind ein rassistischer Staat.

Angesichts der Rechtsmittel, die den Angeklagten zur Verfügung stehen, pflegen die USA außerdem eine "Klassenjustiz" vom Krudesten. Wer auf einen Pflichtverteidiger angewiesen ist, hat es im günstigsten Fall mit einem inkompetenten Zyniker zu tun, wenn er nicht einen ständig besoffenen Schnarchsack erwischt oder einen Gutachter, der grundsätzlich (buchstäblich) ohne Ansehen der Person jedem Eierdieb die Eignung zum Serial Killer attestiert. Stapelweise, auf Formblatt. Man muß die Welle der Anwaltsromane von Turow bis Grisham vermutlich als rein utopische Literatur sehen - angesichts der verpfuschten, verrotteten Verhältnisse im "Todesstrafen"-Gürtel (Texas, Kalifornien, Arizona, New Mexico, Tennessee), die Sprecher analysiert.

Selbst der amerikanische Gesundsheitskoller zeigt sich vor der Hinrichtung in seiner ganzen Absurdität: Keine letzte Zigarette mehr für den Delinquenten, denn Rauchen schadet Ihrer Gesundheit. Und die Stichstellen auf den Venen für die Giftkatheder werden sorgfältig desinfiziert, denn man darf keine ungesunden Entzündungen riskieren. Margrit Sprecher muß noch nicht einmal den besonders bösen Blick mobilisieren, um solchen indolenten und benevolenten Sadismen auf die Schliche zu kommen. Ihre Parade der durchweg nicht gerade überqualifizierten WärterInnenschar - in der Regel übergewichtige, psychisch problematische Typen - sagt alles.

Man könnte noch vieles anführen: Die politischen Karrieren, die mit dem Minimal- und Monothema "Todesstrafe" gemacht werden, die erklecklichen, ganz und gar amerikanischen Profite, die die Hinrichtungs- und Hochsicherheitsgefängnisindustrie abwirft, auf Kosten der Menschenrechte; den religiösen Fidelwipp, der sich mit reuigen Sündern abziehen läßt, und anderer Wahnsinn mehr. Mir war nach der Lektüre des Buches schlecht - und das ist in diesem Fall ein Qualitätsurteil.

 

© Thomas Wörtche, 1999

 

Margrit Sprecher:
Leben und Sterben im Todestrakt.

Zürich: Haffmans Sachbuch 1999
221 Seiten, DM 36.00

Leben und Sterben im Todestrakt

 

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