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Vignetten aus dem Low-Life

Der junge dänische Autor Jonas T. Bengtsson liefert mit seinem zweiten Roman »Submarino« tristen Stoff, den Kult-Regisseur Thomas Vinterberg (»Das Fest«) für das Kino umgesetzt hat. Bentsson protokolliert das Leben zweier Verlierer mit furchtbarem familiärem Hintergrund, die selbst wieder neue Opfer schaffen. Der Roman ist kalt und deprimierend, ein tröstlicher literarischer Rahmen fehlt.

Von Thomas Wörtche

 

Submarino

Gerhart Hauptmanns Tragödien aus dem wilhelminischen Arbeitermilieu, Upton Sinclairs Sozialschocker aus den Schlachthöfen Chicagos, George Orwells Reportagen aus der Welt der Unsichtbaren und Ausgebeuteten, Hubert Selbys Sex- , Gewalt- und Drogentrips, Richard Price' Dealer-Romane und die urbanen Höllenlandschaften, die Paulo Lins' Cidade de Deus beschwören - sie (u.a.) gehören alle in die literarische Tradition eines sozialen Verismus, der aus dem Leben der Verlierer unserer Gesellschaften berichtet.

Der junge dänische Autor Jonas T. Bengtsson, Jahrgang 1976, möchte sich, so hat man den Eindruck, hier einreihen: Sein Roman »Submarino« zeichnet ein Doppelporträt zweier Brüder, die Opfer ihrer schlimmen Kindheit sind, ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen und ihrerseits Opfer schaffen. Der eine hält sich mit Gelegenheitsdiebstählen und Raubüberfällen über Wasser, selbst wenn dabei hin und wieder Menschen umkommen. Der andere ist heroinabhängig; er hat einen kleinen Sohn, um den er sich liebevoll kümmern will, und wird darüber zum Dealer. In Rückblenden erfahren wir, was für eine hilf- und haltlose, vom Balkankrieg traumatisierte Frau wohl die Mutter der beiden war; wie ein dritter Bruder als Säugling eher versehentlich ums Leben kam, und warum beide Brüder mit Frauen große Probleme haben. Wir erfahren dazu viel über miese Unterkünfte, Elendsprostitution, Kleinkriminalität, Alltagsgewalt, Heroinhandel und viel über miesen Sex. Wir sehen das anscheinend ordentliche Dänemark als versifftes, stinkendes und ekelhaftes Gebilde, herzlos und kalt.

In kurzen Abschnitten und in dramaturgisch karg strukturierten, eher nur aneinandergefügten Vignetten führt Bengtsson den Alltag der beiden Brüder vor. Dass beide Schicksale in der Katastrophe enden, ist von Anfang an klar. Klar auch, dass die Figuren nicht nur lebensweltlich, sondern auch literarisch gesehen, keine andere Chance haben.

Denn der Verzicht auf einen Plot, auf eine Geschichte, auf eine konventionelle Handlung ist nicht nur der Absicht geschuldet, ja nicht mit vermeintlich trivialen Formen wie etwa "Kriminalliteratur" verwechselt zu werden, sondern ist schon beinahe deterministisches Programm: Wer in dieser Gesellschaft "unten" ist, bleibt "unten" - da helfen keine Tröstungen der Form. Da hilft kein aufklärerisches Pathos, das etwa den Einbrecherbruder vor dem Gefängnis bewahrt hätte, in dem er für einen Mord, den er nicht begangen hat, gelandet ist; da hilft keine Pointe, kein überraschender Dreh dem Dealer-Bruder, der von der verärgerten Konkurrenz eben mal im Toilettenspülkasten ersäuft wird. Das signifikante Nicht-Vorhandensein einer literarischen Form gestaltet das Buch zu einer Art ästhetischen Schraubzwinge, die kein Entkommen aus dem sozialen Schicksal zulässt. Deswegen ist das Buch auch deprimierend und somit eine plausible Filmvorlage für einen Dogma-Regisseur wie Thomas Vinterberg.

In dem Sozialdeterminismus des Romans steckt aber auch die These, dass es keinen Ausweg aus der sozialen Hölle gibt. Eine solche These geht weit über eine Beschreibung von Elend hinaus. Deswegen ist das Buch auch noch massiv fatalistisch. Und weicht so von der oben aufgeführten Reihe sozialkritischer Literatur dann doch deutlich ab.

 

Jonas T. Bengtsson: Submarino. (Submarino, 2007). Roman. Aus dem Dänischen von Günther Frauenlob. Deutsche Erstausgabe. Stuttgart: Tropen bei Klett-Cotta, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 383 S., 19.90 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2010
(Deutschlandradio Kultur,
11.02.2010
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Jonas T. Bengtssons Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/987163/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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