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Nette Kleinstadt Stellenbosch

Stellenbosch, Südafrika: Im ausgehenden 17. Jahrhundert führt der holländische Gouverneur Simon van der Stel, Namensgeber des Städtchens, den Weinanbau ein, der zumeist mit der Arbeit der Sklaven realisiert wurde. Stellenbosch heute - eine kleine, normale Kleinstadt, möchte man meinen. Aber eine Kleinstadt, die mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen hat.
Der Südafrikaner Andrew Brown verbindet in seinem Roman »Schlaf ein, mein Kind« zwei Handlungsstränge aus zwei Epochen, die erst am Ende miteinander zu tun haben. Und davon wissen Browns Figuren nichts.

Von Thomas Wörtche

 

Schlaf ein, mein Kind

Südafrika, heute. Stellenbosch, eine ganz normale Kleinstadt. Eine wunderschöne, aber tote Frau treibt im Fluss. Sie ist ermordet worden. Die Tote ist die über alles geliebte Tochter eines Universitätsprofessors, der zur Selbstjustiz am vermeintlichen Täter greift. Der zuständige Polizist scheint überfordert.

Ein paar hundert Jahre früher, im späten 17. Jahrhundert zur Zeit des berühmten holländischen Gouverneurs Simon van der Stel, Namensgeber von Stellenbosch, "Mischling" und Initiator des Weinanbaus am Kap: Eine junge Sklavin wird von einem für die Kolonie unersetzbaren Weinanbauspezialisten vergewaltigt und gedemütigt. Sie wehrt sich.

Zwei Handlungsstränge, die Brown parallel laufen lässt, ohne auf eine der beliebten "Verknüpfungen" von "damals" und "heute" zu setzen. Zwei Stränge, die erst ganz am Ende des Buches miteinander zu tun haben - aber das weiß nur der Erzähler und damit der Leser; die Figuren wissen es nicht. Daraus entsteht eine grausame Pointe. So etwas ist ungewöhnlich, weil explizit literarisch, nicht genre-üblich.

Eigentlich ist gar nichts vordergründig genre-üblich an diesem Roman, obwohl er nur aus bekannten Elementen zu bestehen scheint: Dem heruntergekommenen Detective, der aufstrebenden Jungpolizistin, dem zwielichtigen Nachtklubbesitzer und anderen, einschlägig bekannten Figuren. Aber warum Brown z.B. die einzelnen Kapitel mit zunehmend ungemütlich und bösartiger werdenden Schlafliedern beginnt - am Ende hat man eine ganze Schlaflied-Anthologie von süß bis garstig -, oder wie er einzelne Figuren während der Handlung durch verschiedene Brennweiten seiner komplexen literarischen Linse betrachtet und wie sich dadurch diese Figuren ändern, das ist grandios. Auch deswegen, weil Brown Klischees verzwirbelt - so gilt keineswegs als ausgemacht, dass der abgehalfterte Cop am Ende zum Helden wird, oder dass ein Vaterherz nur schwer betrübt sein muss, wenn das Kind stirbt.

Und dann sind da noch die vielen kleinen Vignetten, die Andrew Brown in die Haupthandlungen webt - nämlich die vielen unschönen Details aus der Capkolonie von 1690 und aus der netten Stadt Stellenbosch am Anfang unseres Jahrtausends. Barbarische Sitten der Sklavenhalter damals, ekelhafte Gelüste der Oberschicht heute. Auch der Rassismus hat sich verändert von damals zu heute, aber schöner ist er nicht geworden. Aber das Doppelporträt der beiden Frauen zeigt auch, dass es immer und überall Widerstand gibt. Auch gegen jede Chance.

Brown nimmt in der südafrikanischen Kriminalliteratur sicherlich deswegen einen speziellen Platz ein, weil er nicht das Genre "bedient", sondern weil er einen Roman geschrieben hat, der sich wie von selbst wegen seiner Themen zum Genre fügt. Ungeheuerliches und neues Grauen hat er nicht zu erzählen, das alte Grauen, das fortlebt, beschäftigt die Menschen noch genug. Auch wenn sie, wie bei Brown, gar nicht wissen, wie ihnen genau geschieht.

 

Andrew Brown: Schlaf ein, mein Kind. (Coldsleep Lullaby, 2005). Roman. Aus dem Englischen von Mechthild Barth. Deutsche Erstausgabe. München: btb bei Goldmann, 2009, btb Taschenbuch Nr. 73951, 383 S., 9.00 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Deutschlandradio Kultur,
24.08.2009
)

 

Ein Gespräch mit Thomas Wörtche über Andrew Browns Roman finden Sie auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/987163/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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