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Zufall als dramaturgisches Schnurrwerk

In Helsinki fallen jede Menge Leichen an - und mitten im Gemetzel befindet sich Ariel Kafka, der einzige jüdische Ermitter der finnischen Kriminalpolizei. Kafka bekommt es mit ziemlich wirren Schauermär zu tun - in den Hauptrollen zufällig viele Juden. In seinem neuen Roman »Ariel. Mord vor Jom Kippur« hat der finnische Autorn Harry Nykänen den Zufall als Handlungselement arg strapaziert.

Von Thomas Wörtche

 

Ariel

In Helsinki ist die Hölle los. Eine Menge Leichen fallen an. Totgeschossene, gefolterte, verstümmelte, verbrannte und sonstwie unschön ums Leben gekommene Araber, Israelis und Finnen beiderlei Geschlechts lassen die gemächliche Nord-Kapitale anmuten wie Beirut zu Zeiten des Bürgerkriegs. Und mitten drin Ariel Kafka, Kommissar bei der Mordkommission. Wie der Name schon zart andeutet: Kafka ist Jude. Was nun eigentlich nichts Ungewöhnliches wäre, hätte der finnische Erfolgsautor Harri Nykänen ihn nicht zum Helden einer neuen Serie von Kriminalromanen gemacht. Seine frühere Erfolgsfigur, der nette Gangster mit Herz, Raid, hatte uns ein paar stocksolide, aber nicht umwerfende Krimis beschert, in Finnland weit erfolgreicher (auch als TV-Serie) als bei uns. Jetzt also Kafka.

Natürlich ist in der Literatur auch der Zufall immer Setzung. Es passiert, was der Autor will, dass es passiert. Deswegen sind klügere Autoren im Umgang mit dem Zufall als Handlungselement vorsichtig. Beziehungsweise sie setzen Zufall als Zufall ein, at random, sozusagen, als Verneigung vor der Kontingenz des Daseins. Bei Nykänen ist der Zufall nur dramaturgisches Schnurrwerk. Weil Kafka Jude ist, bekommt er es mit einer ziemlich wirren Schauermär zu tun - in den Hauptrollen zufällig viele Juden: Die jüdische Gemeinde in Helsinki, sein Bruder, sein Onkel, Verwandte und Bekannte, die russische Mafia (ohne die geht's nicht, wenn irgendwas im Balticum und auch noch irgendwie in Israel spielt), alle fokussieren sich zufällig auf den einzigen jüdischen Polizisten in der finnischen Kriminalpolizei. Das tut weh.

Die Story ist arg konstruiert, ein Reißbrett-Plot: Irgendwelche cleveren arabischen Drogendealer haben sich eine irre Intrige ausgedacht, um den blöden Mossad mit einer fingierten Terror-Show aufs Kreuz zu legen und auszuplündern. Und weil der Mossad zwar ungemein tüchtig ist, aber deswegen auch Durchgeknallte und Irre in den eigenen Reihen hat, und der finnische Geheimdienst total ultrageheim und karrieregeil ist, ergibt diese ganz hyperkomplizierte und - naja, bescheuerte - Konstellation eine Orgie in Kollateralschäden, was einem richtig guten Autor sogar die Möglichkeit gegeben hätte, einen richtig komischen Roman über Geheimdienstpfusch oder so zu schreiben. Weil aber Nykänen kreuzbrav und total komikfrei ist, schichtet er Judaica auf Judaica - Synagoge und Israel und Jom Kippur -, um klar zu machen, was wir alle schon wissen: Ariel Kafka ist Jude. Hey!

Und weil das Buch ist, wie es ist, ist weder ein anständiger Polit-Thriller dabei herausgekommen, noch ein anständiger Polizeiroman noch irgendwas anderes von Belang. Nur der Schluss, der - soviel sei doch verraten -, der will eine Tragödie sein, von Aischylos'schem Ausmaß mindestens. Und deswegen plumpst der Roman am Ende noch mal runter, allerdings von seinem selbsterrichteten Podestlein, aber das ist dann auch schon egal.

Vielleicht bin ich auch ungerecht, und der ganze schlecht zusammengenagelte Biedersinn rührt recht eigentlich von der grausamen Übersetzung (oder dem nicht oder inkompetent stattgefundenen Lektorat) her: Da sprechen alte, versoffene Männer in ganzen, korrekten Aufsatzdeutsch-Sätzen, überhaupt dialogisiert man meistens im Imperfekt. Wenn der Autor sich Mühe gibt, zu erzählen, dass ein Ohr sachgerecht abgetrennt wurde, greift die deutsche Fassung zum Synonymelexikon und findet dort bei "abtrennen", "abschneiden" letztendlich auch "abhacken". Jo. Und so ist dann das ganze Buch...

Harri Nykänen: Ariel. Mord vor Jom Kippur. . (Ariel. Jännitysromaani, 2004). Roman. Aus dem Finnischen von Regine Pirschel. Deutsche Erstausgabe. Dortmund: Grafit, 2009, gebunden mit Schutzumschlag, 282 S., 17,90 Euro (D).

© Thomas Wörtche, 2009
(Jüdische Allgemeine,
12. November 2009
)

 

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