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Kriminalliteratur als Religionsersatz

Wenn Leben und Tod keinen »Sinn« haben, kommt homo sapiens anscheinend ins Schleudern. Religion gehört zu den großen Sinnstiftern, und wenn die etablierten, großen Religionen in Sinnkrisen geraten, springen andere Systeme ein, um spirituelle Dienstleistungen anzubieten. Die Säkularisierung, die - grob gesprochen - seit der Renaissance allmählich alle unsere Lebensbereiche durchdringt -, hat religiös-dogmatische Sinnangebote peu à peu ersetzt. Askese und Körperdisziplin z.B., so können wir wenigstens bei Peter Sloterdijk nachlesen, feiern im Fitness-Studie fröhlich Urständ. Und wenn es einen Ort gibt, an dem der Sinn von Leben und Tod pausenlos verhandelt wird, dann ist es der Kriminalroman.

Der Kriminalroman hat mit vielen Dinge zu tun, die ins Religiöse reichen: Mit Schuld und Sühne, mit Rache und Vergeltung, mit Beichte und Reue. Es gibt Krimis, die Seelsorger als Helden & Täter haben (seit Gilbert Keith Chestertons Father Brown), die in Klöstern (Umberto Eco) spielen und im Vatikan, oder in denen es um die wahre oder die falsche Religion geht (Dan Brown und die Folgen). Krimi & Religion hängen zumindest irgendwie zusammen. Deswegen musste vermutlich der arg säkulare Stieg Larsson hierzulande unter schwer religiösen Titeln (»Verblendung«, »Verdammnis«, »Vergebung« - im Original heißen seine Bücher pragmatisch »Männer, die Frauen hassen« etc.) seinen Erfolg er-transzendieren. Krimi & Religion, soviel ist auf jeden Fall klar, ist ein Marketing-Konzept, das momentan boomt. Alt- oder neutestamentarisch ist egal, Hauptsache das Christliche ist erkennbar. Denn von ähnlichen Krimis mit muslimischen Background hört man wenig - der Islam dient in schlechten Schockern als Kategorie des Bösen; muslimische Krimiautoren wie Yasmina Khadra haben Seltenheitswert. Auch mit anderen religiösen Konzepten tut sich der Kriminalroman eher schwer, Ausnahmen von der Regel wie die voodoo-haltigen Romane von Lena Blaudez und Nick Stone bestätigen aber den Eindruck, dass Religion und Religionen als Thema, als Erzählinhalt von Kriminalromanen so interessant oder uninteressant sind wie alle anderen Plotelemente.

Spannender ist da schon die Frage, ob Kriminalliteratur nicht allmählich ersatz-religiöse Züge annimmt, weil sie Trost und Gewißheit zu spenden vermag. Die Gewißheit, dass Schurken nie so übermenschlich groß und böse sind wie Serialkiller, den Trost, dass man das Böse in der Welt verfolgen, aufklären, individualisieren, bestrafen, aus dem Verkehr ziehen könne, wie es das Happy End des durchschnittlichen Kriminalromans verkündet. Am Ende soll zwar nicht die Welt wieder in Ordnung sein - das glaubt selbst der trivialste aller Trivialautoren nicht mehr -, aber alles soll seinen Sinn gehabt haben: Es wird gestorben, damit aufgeklärt werden kann; es wird gemordet, damit ein Weltbild sich bestätigt (und sei's das Weltbild, dass die Welt rasend schlecht sei, wie zur Zeit wieder virulenten romans noirs à la Alan Guthrie & Co.), es wird gekillt, damit sich eine Doktrin als richtig erweist: Eben zumindest die, dass das Publikum angeblich nach all diesen Tröstungen verlangt.

Man könnte sogar die These wagen, dass Kriminalliteratur, die solche religions-ersatzhaften Züge zu liefern bereit ist, zwar zeitgeistig erfolgreich ist, aber den wirklich trivialen Anteil am Genre ausmacht.

Denn gerade Kriminalromane aus der krimi-boom-Region Afrika - also die Bücher von Malla Nunn, Vamba Sherif, Roger Smith oder Andrew Browne sind mit solch positiven Schlußvolten geizig. An poetische, ideologische, gar himmlische Gewißheiten, an außerirdischen Trost, an die treuherzige Versicherung, alles werde gut, mögen sie nicht mehr glauben. Diese Skepsis formulieren sie allerdings in wesentlich besseren Büchern als die Gewißheit-Fraktion es tut. Die Abwesenheit von Religionsanalogien als Qualitätsmerkmal - immerhin könnte man darüber mal nachdenken.

© Thomas Wörtche, 2009
(Literaturnachrichten Nr. 103,
Dezember 2009
)

 

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