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Pitaval der Plastikwelt

Pieke Biermann über den Roman »Der Reinfall« von Carl Hiaasen

 

Der Reinfall Rauschgift kann Leben retten! Zumindest wenn man eines Nachts von einem Luxuskreuzschiff in den Golfstrom vor der Küste von Florida geschubst wird und zufällig ein Ballen Gras vorbeigeschwommen kommt. Marihuana nämlich. "Sechzig Pfund Jamaika-Auslese", wie einem der Retter erklärt, nachdem man bewußtlos an einen gottverlassenen Strand gespült wurde.

So eröffnet Carl Hiaasen seine neueste maliziöse Florida-Screwball-Krimi-Komödie. Der Schubs vom Schiff ereilt die ausgesprochen blonde Joey Perrone just an ihrem zweiten Hochzeitstag. Der Schubser ist ihr Gatte Charles Regis Perrone, genannt Chaz. Nach Adam Riese, sagt der Autor selbst, ist so etwas ein perfekter Mord. Ist das Wetter schlecht genug, dass niemand freiwillig auf Deck ist, gibt's keine Augenzeugen. Das Opfer hat eigentlich nur drei Möglichkeiten zu enden: die Schiffsschraube, die kubanischen Gewässer, Verzehr durch Hai.

Dummerweise ist Joey trainierte Schwimmerin und im Kopf nicht halb so blond wie auf dem Kopf. Und dummerweise dümpelt just in jenen Gewässern jede Menge Schmuggelzeugs. Dumm für Chaz, das Ekelpaket. Denn ab jetzt wird Joey zu einer Art floridianischen Medea, eine Rächerin in eigener Sache.

Und so etwas heißt bei Carl Hiaasen immer: ein Parcours durch die korrupte, umweltvernichtende, durch und durch schäbige Gesellschaft des real-existierenden Sunshine State Florida. Ein Pitaval der Plastikwelt aus jämmerlichen Figuren, die allesamt prallvoll mit Authentizität sind, unglaublichen, Machenschaften und noch irrwitzigeren Widerstandsnestern.

Chaz Perrone ist erschummelter Experte für Feuchtbiotope - was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist: Er ist der Typ, der im College "mehr Zeit in Kondomen als in der Bibliothek" verbringt, weshalb aus der ordentlichen Karriere als Biologe nichts wird. Also fälscht er Wassergutachten für Red Hammernut, den Agro-Nabob, der gern weiter seinen Giftdünger in die Everglades pumpen möchte.

Auch Hammernut ist eine typische Figur aus dem Hiaasen-Kosmos, mit gnadenlos satirischem Blick seziert und gebührend unschönem Lebensende versehen. Für letzteres ist ein schier unerträglicher Typ zuständig, der einem paradoxerweise sofort ans Herz wächst - Tool, der haarige Riese, der für Hammerbut das Schikanieren erledigt und auf Krebsstationen Moribunden die schmerzstillenden Pflaster klaut, weil er selbst eine Kugel im Hintern stecken hat, die ihn zum Wahnsinn treibt.

Und schließlich ein alter Bekannter aus Hiaasens Roman Unter die Haut, Mick Stranahan, ein stillgelegter Cop, bei dem es Joey an Land gespült hat. Carl Hiaasen gehört - wie Bill Marshall, wie Jerome Charyn und einige wenige andere - zu den US-amerikanischen Schriftstellern, die grimmigen Witz und einen bis zur Halluzination scharfen, bösen Blick auf die Realität pflegen.

Dystopiker aus verlorener Utopie, könnte man sagen - in Anspielung auf die genrenotorischen Verbrecher aus verlorener Ehre. Und "Der Reinfall" gehört zum Feinsten, was Hiaasen bisher abgeliefert hat. Auch auf Deutsch, denn ist kongenial, wortgewandt und stilsicher.

 

Carl Hiaasen: Der Reinfall. Roman. Aus dem Amerikanischen von Marie-Luise Bezzenberger. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann Manhattan, 2006, Paperback, 470 S., 14.95 Euro (D)

 

© Pieke Biermann, 2006
(Deutschlandradio, 24.04.2006)

 

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