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Zwischen Trash und Flash

Über die Romane »Ein kalter Strom« von Val McDermid und »Die Geiselnahme« von V.L. McDermid

 

Ein kalter Strom Unter den Verwertungsgesetzen der Kulturindustrie muss man nicht unbedingt schizophren werden - es erleichtert die Sache nur ungemein. Die schottische Krimi-Autorin Val McDermid zum Beispiel lebt seit einiger Zeit zwei literarische Existenzen: Einerseits schreibt sie schmale, aber höchst alltagstaugliche Krimis um linke und meist lesbische Heldinnen der Off-Szene, andererseits breite und opulente Schinken fürs Massenpublikum, die McDermid selbst ganz aufgeräumt als "mainstream novels" bezeichnet. Putzigerweise wird die Aufspaltung ihrer literarischen Persönlichkeit nun äußerlich sichtbar: Auf manchen Buchrücken heißt die toughe Schottin nun Val McDermid, auf anderen hingegen V.L. McDermid. Eben kein flüchtiger Fehler der Herstellung, wie wir zunächst selbst gemutmaßt haben, sondern Marketing-Programm: Auf Wunsch ihres US-Verlegers sollen die Produktlinien besser zu unterscheiden sein.

Trivialer Trash ist Val McDermids Roman »Ein kalter Strom«, der dritte aus der Reihe um die englische Polizisitin Carol Jordan und den Psychologen Tony Hill. Das Buch spielt weitenteils in Deutschland - in Berlin und im eigenwilligen Milieu der Binnenschiffer -, und erzählt von zwei Fällen, die tatsächlich nichts miteinander zu tun haben und nur durch die Figuren verbunden sind.

Carol Jordan hat in der Bundeshauptstadt einen Undercover-Auftrag: Weil sie der verstorbenen Geliebten des Gangsters Tadeusz Radecki frappierend ähnlich sieht, versucht Europol, die Ermittlerin mit falscher Identität in der Nähe des Drogen- und Menschenhändlers zu platzieren. Dr. Hill soll ihr helfen, sich auf die lebensgefährliche Rolle vorzubereiten. Nebenbei nagt der Spezialist für Serienkiller an mehreren Mordfällen, bei denen es ein Täter auf Psychologen abgesehen hat, die in die abscheulichen Menschenversuche der Nazi-Herrschaft verstrickt waren.

Soweit nicht uninteressant. Doch McDermid pustet so viele Seifenblasen über ihren Text, spinnt so viele zarte und zärtliche Bande der Liebe, dass Plausibilität und Intensität in die Niederungen der Heftchenromane abrutschen. Die Psychologie des Serienmörders ist eindimensional und bleibt hinter dem Niveau der voherigen Bücher der Reihe zurück. Auch sind manche Wendungen so konstruiert, dass es vernehmlich quietscht: Dr. Hill bekommt einen Hinweis aus einem Internet-Forum und folgt blind nur noch dieser Spur, ohne die Information aus unbekannter Quelle zu überprüfen. Später zieht er in die Wohnung gleich über Undercover-Agentin Jordan und lässt so ihre Tarnung auffliegen. Als die Ermittlerin von den Gangstern schwer misshandelt wird, lehnt sie eine medizinische Versorung ab, um flugs dem Seelenmann ins Rheinländische zu folgen. Was sind schon die Blessuren des Leibes gegen den schmachtenden Ruf des Herzens? Offensichtlich hat selbst das deutsche Lektorat den Brocken entnervt in die Ecke gepfeffert und sich den Verlagstext lieber aus den Fingern gesaugt: Wo bitte schön gerät der Profiler Tony Hill ins Visier des Serienkillers, wie auf dem Cover zu lesen ist?

Die Geiselnahme Dass McDermid das Schreiben nicht verlernt hat, belegt sie mit ihrem Krimi »Die Geiselnahme«, der auf Deutsch kurz vor dem Hill-Jordan-Roman erschien. Auf dem Cover heißt es schlicht McDermid, auf dem Buchrücken lesen wir V.L. McDermid. Wie auch immer - nach sieben Jahren Pause überrascht sie ihre Leserschaft mit einem neuen Auftritt ihrer Serienfigur Lindsay "Flash" Gordon, lesbische Journalistin aus Glasgow, und gibt dem eher schlanken Band schon in der Exposition mehr Tiefe als den gut sechshundert Seiten ihrer Mainstream-Schwarte.

Beziehungsstress plagt Lindsay Gordon, denn Lebenspartnerin Sophie sehnt sich brennend nach einem eigenen Kind. Lindsay selbst verschwendet keinen Gedanken an elterliche Freuden, doch ihre Liebste ist fest entschlossen - notfalls eben allein. In nicht gerade bester Verfassung prallt Lindsay auf die junge Reporterin Rory (wortwörtlich), und schlingert mit der Nachwuchsjournalistin weiter in einen Kidnapping-Fall: Der adoptierte Sohn eines Gebrauchtwagenhändlers aus Glasgow wird entführt, schwer verdächtig scheint der leibliche Vater. Die Jagd nach der Story und dem verlorenen Jungen führen "Flash" Gordon und ihre Jungkollegin bis nach Sankt Petersburg - und am bitteren Ende zu der Erkenntnis, dass sie sich zu sehr auf den Vater und zu wenig auf die Mutter mit brisanter politischer Vergangenheit konzentriert haben.

Im Gegensatz zu Val verzichtet V.L. McDermid auf kitschige Kunstfiguren und wird im Leben selbst fündig - vielleicht sogar im eigenen. »Ein kalter Strom« ist ein mit Blick auf Verkaufszahlen produziertes Buch, »Die Geiselnahme« ein mit Herz und Verstand geschriebener Roman. Eine gewisse Betulichkeit, die man der »Geiselnahme« attestieren muss, macht McDermid mit erfrischendem Humor wieder wett - etwa in einer äußerst amüsanten Befruchtungsszene. Als Faustregel für die Zukunft muss man sich wohl merken: Wo V.L. McDermid draufsteht, ist die lebendigere und spannendere Val McDermid drin. Ob das die Marketing-Strategen ihres US-Verlegers sichtbar machen wollten?

 

Val McDermid: Ein kalter Strom. (The Last Temptation, 2002). Roman. Aus dem Englischen von Doris Styron. Deutsche Erstausgabe. München: Droemer Knaur, 2003, 619 S., 9.90 Euro (D).

V.L. McDermid: Die Geiselnahme. (Hostage for Murder). Der 6. Lindsay-Gordon-Krimi. Aus dem Englischen von Sonja Finck. Deutsche Erstausgabe. Hamburg: Argument Verlag, 2003 (Ariadne Krimi 1143), 249 S., 9.90 Euro (D).

 

© j.c.schmidt, 2004

 

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