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Links und französisch

 

Hans Schill über die Série Noire im DistelLiteraturVerlag.

 

Tödliche Luftschlösser Wir wissen es alle: Der Boom des Kriminalromans ist seit bald zwanzig Jahren ungebrochen. Was früher einmal als trivial und vulgär galt, ist zur Lieblingsliteraturform von breiten Kreisen avanciert. Das Angebot ist dementsprechend diversifiziert und kaum mehr überblickbar. Krimis aus der ganzen Welt sind inzwischen auf Deutsch erhältlich, und gerade Autoren und Autorinnen aus Lateinamerika oder Asien erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Daher erstaunt es umso mehr, dass die grosse Krimitradition Frankreichs im deutschsprachigen Raum lange nur vereinzelt wahrgenommen wurde. Der kleine Heilbronner DistelLiteraturVerlag versucht nun seit einigen Jahren diesem Missstand abzuhelfen, veröffentlicht erstmals systematisch französische Krimiliteratur auf Deutsch und ist mit seinem Programm prompt zum Lieblingsobjekt der Szene avanciert. Auf Grund guter Kontakte zum Pariser Verlagshaus Gallimard, ist es der Distel-Verlegerin Marion von Hagen gelungen, eine Vielzahl von Autoren aus dessen berühmter "Série Noire" zu verpflichten. "auf abwegen" nennt sich die eigene Reihe und sie glänzt mit aufwändigen Editionen und (zumeist) sorgfältigen Übersetzungen.

Der sicherlich bekannteste Autor der Reihe ist der 1995 verstorbene Jean-Patrick Manchette, in Frankreich eine Legende, dem der Verlag denn bislang auch die grösste Aufmerksamkeit widmet. Sieben Bände liegen von diesem Autor inzwischen vor, alle in der präzisen Neuübersetzung von Stefan Linster. Manchette gilt bekanntlich als Begründer des so genannten "néo-polar", des sozialkritischen französischen Kriminalromans, der sich explizit vom etwas behäbigen "roman policier" unterscheiden will. Manchette, 1942 in Marseille geboren, bewegt sich 1968 in linksradikalen Kreisen unterschiedlich marxistischer Couleur, ist zeitweise nahe an der Militanz, schreibt für die Zeitung "La voie communiste". Anfang der Siebzigerjahre beginnt Manchette, nachdem er das Scheitern der Revolution zur Kenntnis nehmen muss, Krimis zu schreiben. Manchette interessiert der Krimi als eigentliche Anti-Literatur, als Mittel realistische, kritische und unterhaltende Texte zu schreiben und sich dabei zugleich ausserhalb der in seiner Sicht korrumpierten "hohen" Literatur zu bewegen. In schneller Folge schreibt Manchette von 1971 bis 1981 zehn Romane, kalte, gewalttätige, grausame Bücher, die eine ebenso grausame Realität zu beschreiben versuchen.

Westküstenblues Für sein Anliegen, die tatsächliche Monstrosität der (kapitalistischen) Welt abzubilden, benutzt er einen radikal reduzierten, hyperrealistischen Erzählton, der den klassischen Romanen der hard boiled-Tradition eines Raymond Chandler oder Dashiell Hammett verpflichtet ist. Manchettes Bücher entstehen in einem Klima der verlorenen Utopie: Manchette formuliert seinen Hass auf das kapitalistische Bürgertum in seinen Krimis zwar in brutaler Unversöhnlichkeit - einen Ausweg, eine Perspektive aufzuzeigen, ist ihm aber nicht länger möglich. Oft sind seine Protagonisten zum Scheitern verurteilt, fast immer sind sie selbst zynische Gewalttäter. Sympathie mit seinen Figuren will Manchette verunmöglichen, er vermeidet ebenso jegliche Moral, reisst den Leser vielmehr in einen Atem beraubenden Strudel aus Brutalität und Gewalt. So etwa im Roman "Westküstenblues" von 1977, der im letzten Herbst bei Distel neu erschienen ist: Georges Gerfaut, ein ehemaliger Linker und inzwischen leitender Angestellter in Paris, führt mit seiner Familie ein behagliches Leben mit Mercedes und liberalen Einstellungen. So ist es für ihn (und auch für den Leser) völlig unverständlich, warum er im Urlaub plötzlich von zwei Killern attackiert wird. Dadurch seiner bürgerlichen Fassade beraubt, verwandelt sich Gerfaut in eine tatsächliche Bestie und macht sich mit roher Brutalität selbst auf die Suche nach seinen Verfolgern. Kaum hat er diese ermordet, gliedert er sich wieder mühelos in sein altes Leben ein. Eine leicht zu deutende, in ihrer Einfachheit fast brechtsche Parabel, gewiss, doch die formale Brillanz, mit der Manchette diese Geschichte erzählt, lässt einem das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

1981 hört Manchette auf zu schreiben, paradoxerweise desillusioniert gerade durch seinen enormen Erfolg, der für ihn einer Vereinnahmung gleichkommt: Fast alle seine Romane werden verfilmt (unter anderem von Claude Chabrol), Manchette avanciert zum Star. Der "néo-polar" ist etabliert und längst nicht mehr die subversive Anti-Literatur, die sich Manchette wünscht. "Als ich sah, dass ich nicht mehr fähig war, mit dem roman noir hinter den Linien des Feindes zu operieren, habe ich es aufgegeben", sagt Manchette 1993 rückblickend. Zur gleichen Zeit (und zum Teil explizit angeregt durch Manchette) beginnt eine ganze Reihe ehemaliger linker Aktivisten mit dem Schreiben von Krimis: So etwa der ehemalige Maoist Patrick Raynal (der nicht nur Autor und Filmemacher ist, sondern seit 1991 auch der Direktor der "Série Noire" bei Gallimard), sowie die Distel-Autoren Thierry Jonquet, Didier Daeninckx, Jean-Bernard Pouy und zahlreiche andere.

Bei Erinnerung Mord Didier Daeninckx, geboren 1949, gilt heute ebenfalls als einer der wichtigsten französischen Krimiautoren. Im bei Distel erschienenen Roman "Bei Erinnerung Mord" thematisiert er bereits 1987 die Affäre Maurice Papon, der 1961 verantwortlich war für die grausame Niederschlagung einer algerischen Demonstration, bei der wahrscheinlich bis zu 200 Menschen zu Tode kamen. Daeninckx, der noch heute in einem Pariser Banlieu wohnt und früher Drucker war, bewegt sich literarisch oft im Milieu der Arbeiter und beharrt auch heute noch auf deren Solidarität. Auch er ist einem objektivistischen Erzählstil verpflichtet, doch treten seine belehrend-politischen und moralischen Absichten viel klarer zu Tage als bei Manchette. Daeninckx war im Gegensatz zu vielen anderen Autoren des "néo-polar" nie in einer der zahlreichen "K-Gruppen", die - kommunistisch, trotzkistisch oder maoistisch - geeint waren in ihrem Glauben an die kommende sozialistische Gesellschaft. Als Anarchist hat er, wie er selbst sagt, nie an die Utopie einer vollständigen Umwälzung geglaubt und fällt daher in seinen Büchern auch nicht in die Desillusion und den Zynismus eines Manchette. Vielmehr ist es Daeninckx' Anliegen, aktuelle politische Themen aufzugreifen, auf heutige Missstände hinzuweisen und seine Leser aufzuklären. Oft sind seine Romane denn auch zu einem grossen Teil dokumentarisch.

Thierry Jonquet hingegen, Jahrgang 1954, schreibt in einem breiteren, wärmeren Erzählton als Manchette und Daeninckx, ist dadurch vielleicht formal gewöhnlicher, dafür aber zu weit differenzierten Charakterzeichnungen fähig. Auch Jonquet, von dem bei Distel bislang der Roman "Die Goldgräber" vorliegt, hat aber auf die enorme Bedeutung von Manchettes Romanen für seine eigenen Krimis hingewiesen, ja, er benennt die Lektüre von "Nada" und "Le petit bleu de la côte Ouest" als eigentliche Auslöser für sein Schreiben. Auch bei Jonquet sind die politische Herkunft und das sozialkritische Anliegen offensichtlich: "Die Goldgräber" ist eine engagierte Auseinandersetzung mit Faschismus und Holocaust und seinen Nachwirkungen bis ins Frankreich von heute. Formal erinnert der Roman mit seinen verschiedenen Ermittler-Figuren etwas an die Polizeiromane der Schweden Sjöwall/Wahlöö.

Larchmutz 5632 Was bei Manchette und auch bei Daeninckx und Jonquet in hehrem Ernst daherkommt, relativiert Jean-Bernard Pouy durch Ironie. Obwohl auch er sich in linken Traditionen bewegt, zeigt er die Aktivisten von 68 oft als etwas trottelige und naive Menschen. So etwa im Band "Larchmütz 5632", der im Original 1999 erschien. Mit der erheiternden Idee, als Erzählerin eine telepathische Kuh zu wählen, gelingt ihm eine Perspektive, die auch die Ungereimtheiten, den Selbstbetrug und die ideologische Verbohrtheit seiner Generation noch zu umfassen vermag - ohne sie dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. So ist der 57jährige Pouy meines Erachtens der außergewöhnlichste Autor der Reihe, ihm gelingen nicht nur liebevoll-verschrobene Plots, er versteht es auch, den Leser in äusserst eigentümliche Atmosphären zu entführen. (Pouy ist übrigens auch Erfinder und Herausgeber von "Le Poulpe", der Krimireihe um den Pariser Robin Hood Gabriel Lecouvreur. An dieser Kult-Serie aus der Éditions Baleine schreiben zahlreiche bekannte französische Autoren mit, so etwa auch Daeninckx und Raynal. Inzwischen sind bereits über 200 Bände erschienen!)

Weniger offensichtlich politische, aber überaus sprachwitzige und sensible Krimis schreibt Chantal Pelletier, neben Pascale Fontenau und Sylvie Granotier eine der drei Frauen im Distel-Programm. Ihre Romane um den melancholischen und verstörten Kommissar Maurice Laice ("more is less") sind momentan etwas vom Vergnüglichsten im Genre. Bisher sind die Bände "Eros und Thalasso" und "Bocksgesang" erschienen, der dritte "More Is Less" ist für Mai 2003 angekündigt. Mit Pelletier geht es einem seltsam, zunächst ist man versucht auszurufen: Nein, bitte nicht noch ein mittelalterlicher, dickbäuchiger Trauerkloss als Kommissar! Nicht noch eine Serie um einen beziehungsunfähigen Altlinken, der die postmoderne Welt aus Pop, Individualismus und Handy nicht mehr versteht und sich in Chianti und Weltschmerz ertränken muss! Doch je länger man liest, desto überzeugender ist das Erzähltalent von Pelletier. Beispielhaft "Bocksgesang": Was als einigermassen konventioneller Krimi mit viel Pariser Lokalkolorit beginnt, entpuppt sich als abgründiger, ja philosophischer Roman über Männer, die ihr Leben verpassen, und Frauen, die sie trösten müssen. Ohne aufgesetzte Feministinnen-Moral (aber mit ziemlich bösen Beobachtungen zur Penis-Fixiertheit der Männer!), genauen Figuren-Porträts und dichtem Sprachduktus gelingt es Pelletier, den vermeintlichen Versatzstücken doch noch einmal Neues abzugewinnen.

 

© Hans Schill, 2003

 

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