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Mickey Spillane und der Geist der McCarthy-Ära

Von Lisa Kuppler

 

"[Spillane], der homophobe right wing hackwriter [ist] von seinen
literarischen Ahnen ungefähr so weit entfernt, wie der
dumpfe Russenfresser Konsalik von Erich Maria Remarque."
Günter Franzen, in der tageszeitung vom 7. Mai 1997

 

Regen in der Nacht Mit diesen und ähnlich harschen Urteilen kommentieren manche RezensentInnen die Neuauflage des Hauptwerks von Mickey Spillane im RotbuchVerlag. Andere Kritiken verweisen aber auch auf die Faszination, die von der paranoiden Welt des Mike Hammer ausgeht. Spillanes Bedeutung für die "harte Schule" der amerikanischen Detektivliteratur, seine poetischen Beschreibungen der Großstadt, und nicht zuletzt das abgebildete Geschlechterverhältnis waren die Gesichtspunkte, die die Herausgeberin zur Neuedition und zur Neuübersetzung von Spillanes Hauptwerken bewogen hat, die in Deutschland oft nur zensiert, in veralteter Übersetzung oder gar nicht mehr erhältlich waren.

In den ersten vier, bisher beim RotbuchVerlag erschienen Krimis sind es noch nicht die Kommunisten, gegen die Spillane sein Alter-Ego Mike Hammer zum Kampf antreten ließ. Eine machthungrige Psychologin in »Ich der Richter« (»I the Jury«), ein Prostitutionsring in »Die Töchter der Nacht« (»My gun is quick«), eine Transvestitin in der Modebranche und eine erpresserische Schauspielerin in »Die Rache ist mein« (»Vengeance is mine«) und ein illegaler Glücksspielring in »Jackpot« (»The Big Kill«) sind die GegenspielerInnen des Helden. Wenn es also eine Gruppe geben sollte, auf die sich Spillane besonders eingeschossen hat, dann sind es verführerische, kaltblütig mordende Frauen.

Mit »Regen in der Nacht« veröffentlicht der RotbuchVerlag jetzt den Krimi, der Spillane den Ruf als Kommunistenfresser eingebracht hat. Zu recht, muß jede Leserin und jeder Leser atemringend - selbst nach fast fünfzig Jahren - sagen, wenn sie oder er das Buch aus den Händen legt. »Regen in der Nacht« gehört ohne Zweifel zu den Werken der Populärliteratur, die das gesellschaftliche Klima der US-amerikanischen McCarthy-Ära mit vorbereitet haben.

Was die Plausibilität der komplizierten Verwechslungsgeschichte betrifft, ist »Regen in der Nacht« sicher einer der schwächeren Mike-Hammer Krimis. Dazu tragen nicht wenig die politischen Klimmzüge bei, zu denen sich Mickey Spillane bei seiner Fiktionalisierung von weltbewegenden historischen Ereignisse genötigt sah. Doch der Krimi ist aus unterschiedlichen Gründen selbst für die LeserInnen der 90er Jahre fesselnd: Die Eingangsszene bei Nacht auf der George Washington Bridge setzt den Ton, Mike Hammer erschießt einen vermeintlichen Vergewaltiger, doch das Opfer stürzt sich aus Entsetzen über die Brutalität seiner Rettungstat in den Fluß. Die Schlußszene führt wieder auf die Brücke, wo Mike den Urheber alles Bösen mit bloßen Händen erdrosselt. Dazwischen liegt eine Mischung aus Spionagethriller, aus Sex and Crime mit sadistischen Peitschenszenen und orgiastischem Massenmord und eine fiktionale Verarbeitung der umwälzenden politischen Ereignisse des Jahres 1951.

»Regen in der Nacht« ist einer der wenigen Mike-Hammer Krimis, die direkt auf die historischen Ereignisse der Entstehungszeit Bezug nehmen. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Krimis wird New York mehrmals als Ort des Geschehens benannt und zum Teil verwendet Spillane Namen, die an Personen aus dem Zeitgeschehen erinnern.

Das trifft besonders auf die Tochter aus guten Hause zu, Ethel Brighton, die reiche Kommunistin im Pelzmantel. Ethels Vorname nimmt deutlich Bezug auf Ethel Rosenberg, die gemeinsam mit ihrem Mann Julius im Frühjahr 1951 wegen Landesverrat und Spionage für die Sowjetunion zum Tode verurteilt wurden. Der Prozeß gegen die Rosenbergs, ebenso wie der Prozeß aus dem Jahre 1948 gegen den einflußreichen Mitarbeiter des State Department Alger Hiss, markierte den Beginn der McCarthy-Ära, die zur der Verabschiedung der Kommunistengesetze, dem Verbot bzw. der staatlichen Registrierung von sogenannten "communist-front" Organisationen, und der Verfolgung und endgültigen Zerschlagung der amerikanischen Linken führte.

Julius Rosenberg wurde am 17. Juli 1950 unter der Anklage von kommunistischer Verschwörung und "atomarer" Spionage verhaftet. Seine Frau Ethel Rosenberg wurde mit denselben Anklagepunkten kurz danach, am 11. August, verhaftet. Der Prozeß begann im Februar 1951. Die Verhandlungen dauerten etwas über drei Wochen, dann wurde das Todesurteil verkündet und die Hinrichtung auf den 5. April angesetzt. Danach warteten die Rosenbergs zwei Jahre im Gefängnis, während eine internationale, linke Öffentlichkeit und ihre Anwälte vergeblich versuchten, den Prozeß noch einmal aufzurollen und vor den Supreme Court zu bringen. Ethel und Julius Rosenberg wurden am 19. Juni 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

Der Hauptzeuge gegen die Rosenbergs war der Bruder Ethels, David Greenglass, und dessen Frau, Ruth Greenglass, ebenso ein geständiger Spion namens Harry Gold, der schon im Dezember verurteilt worden war. Alle drei Hauptzeugen waren ebenfalls der Spionage angeklagt und dienten als Kronzeugen. Greenglass hatte während des 2. Weltkrieges in Los Alamos gedient, wo an den Bomben gearbeitet wurden, die schließlich über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden. Der Tatvorwurf, der schließlich vom Gericht etabliert wurde, lautete, daß Julius und Ethel Rosenberg David Greenglass im Jahre 1944 dazu angestiftet hätten, Diagramme über die Funktionsweise der Atombombe an den Kurier Harry Gold zu übergeben, der sie über den bekannten Spion Klaus Fuchs an die Russen weitergegeben hätte. In der Presse war Julius Rosenberg direkt nach seiner Festnahme als Mitglied des vermeintlichen Spionagerings um Klaus Fuchs bezeichnet worden. Die Festnahme Ethel Rosenbergs, die bis zum Ende lediglich angeklagt war, die gestohlenen Dokumente abgetippt zu haben, diente nach internen FBI-Berichten vor allem dazu, Julius dazu zu bringen, andere Mitglieder des vermeintlichen Spionagerings zu verraten.

Die Elemente dieser Geschichte hat Mickey Spillane in die Handlung von »Regen in der Nacht« verwoben: die gestohlenen Dokumente, die das "große Geheimnis" beinhalten, an dem das Schicksal der Nation hängt, die dunkle Welt der Spione, der Kuriere und der Codewörter und die Existenz kommunistischer Zellen mitten im Herzen Amerikas.

Die Enthüllungen eines Sonderkommittees unter Senator Kefauver im Sommer 1951 über die Verbindungen zwischen hohen Politikern und dem organisierten Verbrecher lieferten weiteren Stoff für »Regen in der Nacht«. Zum ersten Mal wurden die Anhörungen des Komitees von Fernsehkameras übertragen und gewährten der Öffentlichkeit direkten Einblick in die Seilschaften von Politik und Kriminalität. In New York richtete sich die empörte öffentliche Meinung auf demokratische Politiker, allen voran auf den früheren Bürgermeister von New York, O'Dwyer. Gleichzeitig wurden Joseph McCarthy, dem aufsteigenden Wortführer des demagogischen Antikommunismus, bei Anhörungen vor dem Kongreß ähnliche Anschuldigungen gemacht, die er aber abwehren konnte.

»Regen in der Nacht« ist kein direkter Schlüsselroman, aber in der Figur des Lee Deamer vereinen sich offensichtlich Züge O'Dwyers und McCarthys. Hier liegt auch die widersprüchliche Aussage von »Regen in der Nacht«: Einerseits spiegelt die Kommunistenhatz des fiktiven Mike Hammers die populäre antikommunistische Stimmung der McCarthy-Ära wider, die schon 1951 zu ersten "Säuberungswellen" in politischen und kulturellen Bereichen führte. Dabei verbreitet der Krimi gängige anti-intellektuelle, homophobe, frauenfeindliche und antisemitische Stereotypen über Kommunisten: der arrogante Student, die Paare, in denen die Frau das Sagen hat und der Mann nur kichert, der verweichlichte Kriegsdeserteur, die prüde, hirnlastige Frau, bei der es nur eine Nacht mit Mike Hammer braucht, damit sie sich von den Kommunisten lossagt, der geldgierige Machtmensch, der die demokratischen Institutionen mißbraucht und gutgläubige Bürger mit cleverer Propaganda in den kommunistischen Bann zieht usw..

Andererseits warnt der Krimi davor, irgend einem Politiker Vertrauen zu schenken, selbst wenn er als antikommunistischer Hard-Liner, der Deamer ja ist, auftritt. Mike Hammers beiden engsten Vertrauten, seine Sekretärin und große Liebe Velda, und sein Bullenkumpel Pat Chambers wollen Mike davon überzeugen, daß Lee Deamer ein aufrechter Politiker ist, dem sie vertrauen. Vertrauen ist - wie in allen Mike-Hammer-Krimis - ein zentrales Motiv, das die zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmt. Mikes Mißtrauen gegenüber allem und jedem (außer vielleicht Velda), seine paranoide Sicht einer Welt, in der überall nur Verschwörungen am Werke sind, ermöglicht es ihm, Deamer als geistesgestörten Anführer der amerikanischen Kommunisten zu enttarnen. Wenn Mike Hammer im Alleingang das Problem der Kommunisten erledigt, unterminiert auch er demokratische Institutionen, schürt Mißtrauen gegen Politiker jeder Couleur und stellt die Effektivität von Polizei und Gesetz grundsätzlich in Frage.

Auf der Handlungsebene wird der mörderischer Exzeß Hammers am Ende des Krimis damit begründet, daß Mike die Folter an seiner Geliebten rächen will. In dieser Szene gelingt ihm, was er in der Eingangsszene nicht erreicht: Er wird zum Retter der verfolgten, weiblichen Unschuld und erhält die Absolution der geliebten Frau. Auf der symbolischen Ebene dient die exzessive Brutalität dazu, Mike Hammer von der breiten Massen abzuheben, die zwar seinen Haß auf die Kommunisten teilen, aber "weich" geworden sind und deshalb unfähig zu handeln. Velda versteht - ebenso wie Mike selbst - endlich den tieferen Sinn für seine Grausamkeit, die sich an der Gewalt des Gegenübers messen muß. Der Atombombe in russischen Händen wird ein Massenmord an einer Gruppe Kommunisten gegenübergestellt. Weil Mike Hammer seinem Gegenüber gleicht und er genauso skrupellos und hart wie die Kommunisten ist, kann er sie besiegen. Mike Hammer peitscht Ethel Brighton aus, ebenso wie nachher sein direkter Gegenspieler, der MWD-Agent, Velda nackt auspeitscht. Der weißhaarige Richter mit den stechenden Augen aus »Regen in der Nacht« verweist auf Richter Irving Kaufman, der im Rosenberg-Prozeß das Urteil fällte. In der Urteilsbegründung der Todesstrafe für Ethel und Julius Rosenberg faßte Kaufman wortgewaltig die Kernaussagen des Kalten Krieges zusammen. Er machte die Rosenbergs persönlich verantwortlich für die US-amerikanischen Gefallenen des Koreakrieges und für die Millionen Toten, die ein Einsatz der Atombombe durch die Sowjetunion mit sich bringen würde. In einer vielzitierten Passage der Urteilsbegründung sagte Kaufman, "Ich erachte Ihr Verbrechen schlimmer als Mord," ein Vorwurf, den auch der Richter aus »Regen in der Nacht« gegen Mike Hammer erhebt.

Solche Widersprüchlichkeiten sind ein Erbe der hard-boiled Tradition, die in »Regen in der Nacht« massiv mit der politischen Realität der Rosenberg-Prozesse und des Kalten Krieges kollidierte. Gerade wegen seiner stereotypen, antikommunistischen Polemik ist »Regen in der Nacht« ein einzigartiges Zeitdokument des Kalten Krieges und gleichzeitig ein packender Krimi auch - oder gerade wieder - für die 90er Jahre, der Geschichte, Demagogie und einige der poetischsten Großstadtszenen der Krimiliteratur zusammenbringt.

 

© Lisa Kuppler, 1998
(Der Text erschien als Nachwort in der Neuausgabe des
Spillane-Romans »Regen in der Nacht« 1998 im Rotbuch Verlag)

 

Eine Bibliographie und ein kleines Spillane-Porträt finden Sie auf unserer Mickey-Spillane-Seite in den Autoren-Infos. Außerdem finden Sie bei uns unter dem Titel Geistig-moralisch gewendet einen Beitrag von Thomas Wörtche, der 1996 die Neuausgabe der Spillane-Romane im Rotbuch Verlag nicht wirklich als editorische Meisterleistungen beklatschen mochte.

 

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