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Gert Anhalt: Tote mögen keine Sushi

Eine Leseprobe mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Droemer Knaur.

 

Tote mögen keine Sushi Ich träumte: Ich bin daheim in meiner schicken Zweizimmerwohnung im Haziendastil nicht weit vom Bahnhof Kugayama im Suginami-Distrikt. Es ist früh am Morgen,und die erste Bahn nach Shibuya rattert vorbei. Das Geräusch wird lauter und hört sich schließlich gar nicht mehr wie eine Bahn an. Es ist das Klappern meiner Zähne. Ich zitterte wie noch nie in meinem Leben. Jeder einzelne Knochen bebte, jeder Muskel zuckte. Ich schepperte wie eine Schreibmaschine, auf die eine wild gewordene Sekretärin einhämmerte.
      Bevor ich versuchte, meinen Kopf zu bewegen, hatte ich keine Ahnung, was Schmerz bedeutet. Schmerz war ein Lichtblitz und ein Donnerschlag in ein und derselben Millisekunde. Schmerz war eine aufgeklappte Schädeldecke und ein Kochlöffel, der in der Gehirnmasse rührt. Ich schlug die Lider auf und bemerkte etwas Großes, Grünes. Ich rieb mir die Augen. Rechts war das für nichts gut, die Kontaktlinse war ja weg. Das linke Auge sah riesige Grashalme. Die Hand erwachte und fand sich in einer Schlammpfütze. Langsam, unendlich langsam und vorsichtig den Kopfschmerz besänftigend wie einen scharfen Hund setzte ich mich auf. Ich befand mich am Rand eines Waldes auf einer Grasfläche. Mücken tanzten, der Wald roch frisch wie Luftreiniger mit Kiefernaroma, die Sonne schien, aber das Gras war ungemütlich nass vom Morgentau. Meine Klamotten waren feucht und kalt. Mori-san lag direkt neben mir. Er trug noch immer den dunklen Anzug, den er am Abend getragen hatte. Sein Kopf lag einen halben Meter neben dem Körper. Seine weit aufgerissenen Augen starrten mich vorwurfsvoll an. Ich hielt mir mein rechtes Auge zu, das nur verschwommene Bilder lieferte, und erhob mich stöhnend. Im Gras neben mir lag ein japanisches Schwert, blutverschmiert. Irgendetwas musste bei der Übergabe des Lösegelds total daneben gegangen sein. Der Schrei bohrte sich in mein Ohr wie ein glühender Spieß. Eine dicke aijin -Frau mit einem kleinen braunen Hund an der Leine stand keine fünf Schritte von mir auf einem Schotterweg und brüllte aus vollem Halse. Als ich einen Schritt auf sie zu tat, um sie zu beruhigen, schrie sie noch lauter, drehte sich um und rannte davon.
      Ich begriff sofort, dass es keinen Zweck hatte, ihr zu folgen, um ihr meine Situation zu erklären. Allein schon wegen meines Sprachproblems. Die Fakten sprachen hier ihre eigene Sprache, und sie sprachen eindeutig und massiv gegen mich. Die dicke Frau rannte, noch immer schreiend und den nach Luft japsenden Dackel hinter sich herzerrend, den leicht abschüssigen Feldweg hinunter auf eine Siedlung zu. Wenn sie ihr Tempo beibehielt, würde sie das erste Haus in vier bis fünf Minuten erreicht haben. So schnell es mein hämmernder Schädel zuließ, analysierte ich die Lage: Takahanas Lösegeldkoffer war verschwunden. Mori war tot, und eine dicke, schreiende Frau hielt mich für den Mörder, und es würde der Polizei sicher nicht schwer fallen, ihr das auch zu glauben. Meine Kleidung war verdreckt, durchnässt, mit Grasflecken, Kotze und Blut besudelt. Mir fiel nur eines ein: Nichts wie weg hier! Raus aus diesem Land. Zurück nach Japan, in meine gemütliche Wohnung in Kugayama. Tür zu und nie wieder einen Auftrag annehmen.
      Ich wusste irgendwie schon, was ich finden würde, bevor ich noch meine Jackentaschen abklopfte: nichts nämlich. Mein Pass war weg, ebenso mein Flugticket, die Kreditkarte. In meiner Hosentasche fand ich ein Bündel deutscher Banknoten, die ich gestern am Flughafen eingewechselt hatte. Ungefähr dreihundert Euro.
      Wie viel war das in richtigem Geld? Keine Ahnung, ob ich dafür ein Auto oder eine Zeitung kaufen konnte. Ich steckte sie wieder weg. Mori-san sah mir verständnislos zu.
      »Gomennassai!«, entschuldigte ich mich bei ihm, als ich seinen ausgebluteten, kalten Torso bewegte, um an die Innentasche seines Sakko zu gelangen. Ich fand eine Brieftasche mit noch mal fünfhundert Euro.
      »Gomennassai, Mori-san.« Ich konnte nicht anders, ich verbeugte mich vor dem Kopf, der da im Morast lag. Zum ersten Mal hörte ich eine deutsche Polizeisirene und fand, dass sie ein wenig kindisch klang. Trotzdem jagte sie mir eine Höllenangst ein. So schnell es mein bei jedem Pulsschlag berstender Kopf zuließ, torkelte, rannte, stolperte, sprang, kroch ich tiefer in den Wald hinein. Es ging endlos bergauf, und als ich schon glaubte, mir würden die Lungen platzen, endlich wieder bergab. Einmal blieb ich an einem Beerenstrauch hängen und zerkratzte mir das Gesicht. Wenig später stolperte ich in vollem Lauf über einen herumliegenden Ast und prallte mit Höchstgeschwindigkeit gegen einen herumstehenden Baum. Verdammte ungepflegte deutsche Wälder! Als ich wieder zu mir kam, erhob ich mich wie ein ferngesteuerter Fluchtroboter, dem langsam die Batterie ausging, und schritt vorsichtig weiter, bis ich schließlich an eine Straße kam, die mitten durch den Wald führte. Ich ließ mich ins Gebüsch am Straßenrand fallen und beobachtete die Straße, auf der im Zwei-Minuten-Takt Autos vorbeirauschten. Den Wagen bemerkte ich zuerst nicht, weil er dunkelgrün und in einem schattigen Seitenweg unter Bäumen geparkt war. Es war ein alter Honda Accord. Ich dachte zuerst, es liege an meiner Gehirnerschütterung, aber als ich näher heranschlich, bemerkte ich, dass der Honda tatsächlich wackelte. Und als ich endlich durch das Fenster hineinspähen konnte, sah ich zwei junge aijin, einen Mann und eine Frau, die bumsten. Ich erschrak, als ich mein Spiegelbild erblickte.
      Ich sah aus wie ein Leichnam, den jemand aus dem Sumpf gezogen hatte: ein grausiger Fund auf Beinen. Mein Gesicht war genauso dreckverschmiert wie meine Kleidung, die rechte Seite blutete nach der Begegnung mit dem Beerenbusch. In meinen Haaren hingen Zweige und Laub. Auf der Stirn war mir eine leuchtend rote Beule gewachsen wie ein bösartiger Tumor. Ein Andenken von einer deutschen Kiefer. Die aijin -Frau, die unten lag, bemerkte mich plötzlich. Ihre Augen weiteten sich, und sie schrie.[...]
      Ich bin kein unromantischer Mensch, aber ich brauchte diesen Wagen wirklich dringender als diese beiden Liebesvögel. Wie,verdammt, sagte man doch gleich »Auto« auf Deutsch??
      Ich riss die Tür auf.
      »Ichi bulauche Honda!«, keuchte ich.

 

© Verlagsgruppe Droemer Knaur, 2002
Alle Rechte vorbehalten!

 

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