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Walter Mosley: Fische fangen

Ein Vorabdruck, mit freundlicher Genehmigung des Knaus Verlags.

 

Kapitel 1

Fische fangen Mouse hatte sich verändert.
    Bevor er seine Verlobung mit EttaMae bekannt gab, war er ein glücklicher Mensch, erfüllt von sich selbst. Es stimmt zwar, dass er sich besonders freute, wenn einem anderen ein Missgeschick passierte, aber immerhin brachte er uns zum Lachen. Das Leben war damals schwer, und ein herzhaftes Lachen war so viel wert wie alle Tage Sonntag.
    Aber ausgerechnet dann, als er einen Grund hatte, froh zu sein, wurde Mouse bitter und launisch. Er ließ sich gehen (sonst kleidete er sich immer adrett), und niemand wollte in seiner Nähe sein, denn wenn ein kleiner Mann wie Mouse mit dem Gesicht eines Nagetiers sich außerdem noch vernachlässigte, war er auch für die abgehärtetsten Zeitgenossen keine angenehme Gesellschaft mehr. Er hörte ganz auf, zu Partys zu gehen. Wenn man ihm zufällig an einer Kreuzung oder in einer Seitenstraße über den Weg lief und fragte, wie es ihm gehe, sagte er: »Was zum Teufel glaubste? Hier bin ich, werd in zwei Monaten heiraten, und EttaMae und ich ham zusamm nich mal genug Geld für Cracker mit ner Soße.«
    Mouse begann nicht, sich eine Arbeit zu suchen. Er wurde bloß wütend, wenn er sich von ein paar Münzen trennen musste.
    Ich fand, dass es sogar anstrengend wurde, Mouse nur zu besuchen, weil er fast jeden Monat die Wohnung wechselte ­ dem Vermieter immer einen Schritt voraus, wie wir sagten.
    Ich wollte ihn nicht besuchen. Vor allem, weil ich eifersüchtig war. Verstehen Sie, EttaMae war die Art von Frau, die man im Kopf hat, wenn man morgens aufwacht. Sie war üppig und freundlich und wusste stets das Richtige zu sagen. Aber sie log nie; Etta sprach aus, was sie dachte, und wenn sie lachte, kam es von Herzen. Alle liebten EttaMae, und sie liebte den einzigen Mann ganz ohne Herz, den ich je gekannt habe.

Während ich also eifersüchtig und Mouse schweigsam war, schreckte mich an einem Dienstag spätnachts ein irrer Lärm an meiner Wohnungstür auf. Es klang mehr wie eine Schlägerei als wie Klopfen. Ich rappelte mich aus dem Tiefschlaf und versuchte zu überlegen, wer hinter mir her sein mochte. Ich wusste, dass es nicht die Polizei sein konnte, denn die schlugen in meiner Gegend die Türen einfach ein, und ich hatte mich seit über einem halben Jahr mit keiner ernsthaft verheirateten Frau getroffen.
    »Moment!«, schrie ich und dachte an das Hinterfenster. Ich griff nach dem Fleischermesser auf dem Nachttisch, als er rief: »Easy! Easy! Mach die Tür auf, Mann, muss mit dir reden!«
    »Mouse?«
    »Yeah, Mann! Lass mich rein!«
    Ich riss fluchend die Tür auf, aber als ich ihn sah, wusste ich, dass er sich wieder verändert hatte. Er hatte einen todschicken karierten Anzug an, mit Broadway-Hosenträgern und Gamaschen über den schwarzen Zuhälterschuhen. Er trug einen Hut aus Seide, und wenn er lächelte, konnte man den neuen Goldrand und den blauen Edelstein an seinem Schneidezahn sehen. Für jemanden, der nie arbeitete, verstand sich Mouse darauf, Stil zu wahren.
    »Mann, was machste hier mitten in der Nacht? Ich muss morgen früh arbeiten!«
    Er schob sich an mir vorbei und sagte: »Geht in Ordnung, Easy, ich kauf mir diese Woche was von deiner Zeit.«
    Über seiner Schulter hing ein hellbrauner Rucksack. Ich konnte das Klirren von Flaschen hören, als der Rucksack gegen seine Rippen stieß.
    »Wir müssen reden, Mann«, sagte er.
    Er trat in meine Wohnung. Sie war bloß ein großes Zimmer mit einem Feldbett. Er setzte sich auf den heilen Sessel, und ich setzte mich ihm gegenüber auf das Bett.
    »Mouse, was...«
    Er hob die Hand, milde lächelnd wie ein Heiliger in einer illustrierten Bibel. «Easy, ich hab's raus.«
    Er zog eine Flasche Johnnie Walker aus dem Rucksack.
    »Ich hab's gelöst«, sagte er. »Haste Gläser? Weil, das hier is Black Label, da gehört's sich nicht, aus der Flasche zu trinken.«
    »Mann, was willste?«
    »Ich will Gläser, Easy, damit wir mein Glück feiern könn. Bist der Erste, wo's weiß.«
    »Was weiß? Ich weiß bloß, dass ich Schlaf brauch.«
    »Dann hol mir was, wo ich draus trinken kann, und du kriegst von mir nen Schlummertrunk.«
    Es hatte keinen Sinn, Mouse zu widersprechen, wenn er in Predigerstimmung war. In dem Schrank, der am Ende des Zimmers stand, waren Gläser. Ich spülte sie in einer Wanne aus, die dort stand.
    »Marmeladengläser?« Mouse rümpfte beim Einschenken die Nase.
    Er lehnte sich in meinem Polstersessel zurück und legte die Füße auf meine Bettlaken. Er bleckte den neuen Goldzahn und trank Whiskey, als wäre es Wasser.
    »Weißte, ich komm von drunten, aus Pariah, Easy. Yes, Sir! Bloß n Junge vom Land.«
    Er goss sich noch ein Glas voll. »Bin da unten zu Hause.«
    Ich goss mir drei Finger breit ein und wartete. Mouse brauchte genug Spielraum, um seine Geschichte zu erzählen. Er befürchtete, der Sinn verwirre sich, wenn man nicht alle Tatsachen erfahre. Wenn er einem von einem Nagel in einem Pferdehuf erzählen wollte, fing er damit an, Kohle und Eisen zu erklären und die Herstellung von Stahl.
    »...und weißte, wir Jungs vom Land sind nich die Schnellsten, wenn's drum geht, was zu kapiern, aber wenn wir's mal gerafft ham, lassen wir nich mehr locker... Haste ne Zigarette?«
    »Hab Papier und Tabak.«
    »Mhm, nee, danke. Weißte, ich kann die Brösel im Mund nich leiden.« Er verzog die Lippen und kippte sein zweites Glas Scotch herunter. »Ich denke, du weißt, dass ich mir Sorgen gemacht hab wegen der Hochzeit und dass Etta und ich nich viel Knete ham.«
    »Yeah, ich weiß.«
    »Ja, und jetzt hab ich's geklärt.« Mouse lächelte so befriedigt, dass auch ich mich gut fühlte.
    Aber ich sagte: »Mach halblang, Mann, es is Mitternacht...«
    »Mein Stiefdaddy.«
    »Was?«
    Daraufhin sah er mich ganz genau an, wie ein Hund, der was Interessantes wittert. Als frage er sich, ob ich was zum Fressen sei, ein Feind oder was zum Verlieben.
    Er sagte: »Du magst Etta, oder, Easy?«
    »Yeah, klar mag ich sie.« Die Frage gefiel mir aber nicht. »Etta hängt doch schon seit Jahren mit uns rum.«
    »Yeah, stimmt«, sagte Mouse und starrte in sein Marmeladenglas. Dann schaute er zu mir auf. »Aber du magst se lieber als bloß irgendne Freundin. Ich mein, sie is ne gut aussehende Frau, oder?«
    »Sie sieht toll aus. Und was is jetzt mit deinem Stiefdaddy?«
    Aber er ließ nicht locker. »Sie sieht gut aus, aber sie is nich deswegen so toll. Etta is keine, die kuscht, die setzt sich ein für das, was se will. Und es is besser, wenn ihr keiner dumm kommt, den se nich mag, weil, Etta langt auch hin, wenn's sein muss.«
    Ich lachte und sagte Yeah, aber jetzt behielt ich Mouse im Auge. Trotz meiner Größe machte mir dieser kleine Mann Angst.
    Mouse lachte auch, aber seine Augen ließen nicht von mir ab.
    »Das is die Wahrheit«, sagte er. »Und wer sich nich fragt, was so ne kräftige Frau wohl kann, is kein richtiger Mann nich. Weil, weißte, als ich zum ersten Mal gesehen hab, wie sich Etta vor nen Teller setzt, da hab ich gewusst, sie is ne hungrige Frau.« Er griff sich mit der Hand an den Schoß. »Yeah, diese Etta frisst dich!«
    Ich goss mir noch etwas Scotch ein und fragte mich, ob das mein letzter Drink sein würde.
    Er hielt meinen Blick fest: während er sich Whiskey einschenkte, während er trank. Ich konnte hören, wie das Haus zur Ruhe kam, so still war es.
    »Warum drehste mir keine, Easy? Hast n Händchen dafür.«
    Der Beutel mit dem Tabak lag auf dem Nachttisch, neben dem Messer. Ich griff langsam danach, damit Mouse sehen konnte, was ich machte.
    Ich musste an meiner Zunge saugen, damit ich genug Speichel hatte, um das Papier anzufeuchten.
    »Yeah. Weißte, Etta wringt mich aus, und am Morgen sagt se dann zu mir, wenn ich son Leckerbissen wie sie für mich behalten will, soll ich lieber anständig bleim.« Er lachte. »Und sie weiß, dass mir schon ne Menge Weiber Kleider gekauft ham. Und ich weiß, dass se auch keine Jungfrau nich is... Aber ich kann den Mann verstehn, Easy...«
    Mouse lehnte sich ruckartig nach hinten und steckte eine Hand in die Tasche.
    Ich zuckte zusammen, und der Tabak und das Papier fielen zu Boden.
    »...den Mann«, fuhr er fort, als er ein rotes Taschentuch herausgezogen hatte, um sich die Nase zu putzen, »der wo so ner Frau hinterherrennt, mit geblähten Nasenlöchern und mit raushängender Zunge.« Ich war einmal im Süden in Galveston gewesen, als EttaMae dort gelebt hatte. Ich hatte die Nacht mit ihr verbracht, obwohl ich wusste, dass sie Mouses Mädchen war. Er hatte es anscheinend herausgefunden, aber er konnte nicht wissen, wie schlecht ich mich gefühlt hab.
    Am nächsten Morgen konnte Etta nur darüber reden, was für ein großartiger Mann Mouse sei und was für ein Glück es für mich sei, ihn zum Freund zu haben.
    Da saß ich nun einem eifersüchtigen Verlobten gegenüber, obwohl Ettas Blick über mich hinweggegangen war wie über ein beliebiges Stück Fleisch.
    Mouse lächelte, und ich glaube, er wusste, was ich dachte. Ich gab es auf, die Zigarette zu drehen; ich konnte ihn nur anschauen und versuchen, nicht zu besorgt dreinzusehen.

Man könnte sich fragen, warum ein Riese wie ich Angst vor einem so kleinen Mann hatte, nur halb so groß wie er selbst. Aber Größe zählt nicht viel auf dieser Welt. Ich habe einmal gesehen, wie Mouse einem anderen Riesen ein Messer in den Leib rammte. Ich war betrunken, und dieser Mann, er hieß Junior Fornay, war hinter mir her, weil er glaubte, das Mädchen, mit dem ich zusammen war, gehöre ihm. Er riss sich das Hemd vom Leib und ging mit bloßen Fäusten und entblößter Brust auf mich los. Die anderen verließen die Bar, und wir begannen. Aber ich war betrunken, und Junior war einer von den Landarbeitern, bei denen man schwören will, dass sie einen Stein zur Mutter haben. Er verprügelte mich, bis ich zu Boden ging, und dann fing er an, mich zu treten. Ich rollte mich zusammen, versuchte mich dadurch zu retten, aber wissen Sie, an jenem Abend konnte ich meine tote Mutter hören: Sie rief meinen Namen.
    Da schlenderte Mouse herbei.
    Junior drohte ihm mit einem Stuhl, aber Mouse hielt nur besänftigend die Hand in die Luft. Ich schwöre, dass er nicht zu Juniors Stirn hochkam, aber er sagte: »Mann, der hat seine Lektion gekriegt, jetzt musste ihn leben lassen, damit er was draus lernen kann.«
    »Zieh lieber...«, konnte Junior noch sagen, bevor Mouse sein Stilett im Unterleib des Landarbeiters versenkte, etwa einen Zentimeter tief.
    Ich lag zwischen ihnen. Ich konnte Mouse lächeln sehen, und ich konnte sehen, wie Juniors Gesicht bleich wurde. Mouse packte Junior blitzschnell mit der freien Hand am Nacken und sagte: »Lass lieber den Knüppel fallen, sonst rühr ich die Suppe um, Junge.«
    Ich glaube, ich hätte lieber Prügel bezogen, als das zu sehen oder zu riechen.

Also hörte ich Mouse mit großem Respekt zu.
    »...aber weißte, Easy, das is alles vorbei. Ich bin nich die Sorte Mann, die wo nachtragend is. Arme Leute können sich das nich leisten. Scheiße! Is schwer genug für nen Armen, durchs Leben zu kommen.«
    Er gab mir einen Klaps auf das Knie und lehnte sich im Stuhl zurück. Als er das Bein über die Armlehne warf, wusste ich, dass ich in Sicherheit war.
    »W-was is jetzt mit deinem Stiefdaddy?«, fragte ich.
    »Yeah.» Mouse starrte lächelnd an die Decke. »Haste die Zigarette fertig?«
    Ich fing wieder mit dem Drehen an. »Yeah, mein Stiefdaddy hat irgendwo da draußen auf der Farm nen Riesenhaufen Geld. Nen Riesenhaufen.«
    »Will er dir was davon abgeben?«
    »Na ja, wir stehn nich grad gut miteinander, Daddy Reese und ich. Weißte, der is bis runter zu den Eiern einer von ner Farm, und der sieht alles so, wien Farmer die Welt nun mal sieht. Wenn ich komm, denkt der sich deshalb, dass ich der Mickerling vom Wurf bin und endlich in nem Sack im Fluss versenkt wern sollte.«
    Mouse lächelte, schien aber nicht glücklich.
    »Quatsch, Mann! Auch n Farmer liebt seine Kinder.«
    »Ich bin nich von ihm. Meine Momma hat mich gekriegt, wo sie noch auf freiem Fuß und gut drauf war. Daddy Reese is später angetanzt gekomm.«
    »Und warum soll er dann dir und Etta helfen?«
    Mouse zog sich das Hosenbein hoch, lehnte sich zurück und gab mir wieder einen Klaps auf das Knie. Er sagte: »Genau das hab ich mir überlegt, Easy. Wann mir son reiches altes Landschwein hilft, obwohl er mein Gesicht nicht ausstehn kann. Hab tagelang drüber nachgedacht. Ich hab beim Einschlafen drüber nachgedacht, und dann isses mir beim Aufwachen auch nich aus dem Kopf gegangen. Weißte, ich bin runter nach Galveston gefahrn, weil Etta gewollt hat, dass ich mich nach Arbeit aufn Docks umseh. Kannste dir mich in dem dreckigen Wasser vorstellen? Scheiße! Aber ich bin runtergefahrn, weil de deine Frau respektiern musst.«
    Das war typisch Mouse. Kinder liebten ihn, genau wie ihre Mütter.
    »War da unten aufn Docks, hab n Sandwich gegessen und den Jungs dort zugeschaut. Die ham da so ein Spiel gespielt. Weißte, an heißen Tagen kriechen die Schiffsratten rauf auf die Holzstapel, damit se was von der Sonne abkriegen. Die liegen bloß da in der Sonne und schmoren, und ihre langen Ringelschwänze hängen runter und streichen über die Baumstämme. Iiih! Is eklig. Aber egal, die Jungs schleichen sich ran an die Ratten und warten ganz ruhig direkt neben den Schwänzen.«
    Mouse setzte sich auf und klatschte in die Hände. Es klang wie ein Schuss.
    »Dann packen se den Schwanz und schleudern die Ratte durch die Luft, bis die auf die Pier knallt. O Mann, das war toll! Ich hab denen lange zugeschaut, wie se das gemacht ham. Mensch, die müssen zwanzig von den Viechern erledigt ham ... Dann hab ich mich von nem Gemüselaster mitnehmen lassen, der wo nach Houston zurückgefahrn is. Ich hab immer noch an die Jungs gedacht, und da isses mir eingefallen. Ich hab immer wieder dran gedacht, wie die Jungs kein Moment nich gezögert ham, weil, so ne Ratte beißt dich gleich, wenn de se anfasst, und weißte, noch schlimmer als n Rattenbiss is bloß n Biss von nem Menschen.«
    Mouse setzte sich zurück und bleckte die Zähne.
    Ich reichte ihm die Zigarette, und er zündete sie an. Er lehnte sich zurück und nahm einen langen Zug.
    Es sah aus, als sei er fertig, deshalb fragte ich: »Na und, Mann? Was willste wegen dem Geld machen?«
    »Ich fahr nach Pariah und hol's mir, das is, was ich mach.«
    »Und wie willste das machen?«
    »Weiß nich, Easy. Kann dir bloß sagen, dass ich kein Moment mehr zögern werd.«
    Mouse wollte etwas von mir, und er wollte, dass ich ihn fragte, was es war. Aber ich war zu stur, mich darauf einzulassen. Also zog er an seiner Zigarette, und ich beschäftigte mich mit meinem Glas. Wenn er mich anschaute, erwiderte ich einfach den Blick. Mouse hatte hellgraue Augen.
    Schließlich sagte er: »So, Easy, was biste denn grade am Arbeiten?«
    »Gärtnern für die Familie Lewis. Der Mann is krank.«
    »Du kannst doch n Auto fahren, oder?«
    »Yeah.«
    »Ich sag dir was. Ich geb dir fünfzehn Dollar, wenn de mich für n paar Tage nach Pariah fährst.«
    »Scheiße!«
    »Yeah, Mann, ernsthaft.«
    »Zeig mir das Geld.«
    Mouses Miene wurde wieder misstrauisch, und er sagte mit ruhiger Stimme: »Ich hab dich noch nie gebeten, mir was zu beweisen, Easy.«
    Da wusste ich gleich, dass er einen Tauschhandel wollte. Er würde das mit mir und Etta vergessen, wenn ich ihn für einen Schuldschein im Wert von fünfzehn Dollar nach Pariah fuhr. So war Mouse, das mit mir und seiner Frau war ihm eigentlich gleichgültig. Mouse wurde überhaupt nur wütend, wenn man mit seinem Geld herumspielte oder ihn bei einer Lüge ertappte. Das hier war schlicht und einfach nur ein Geschäft.
    »Was haste fürn Auto?«
    »Sechsunddreißiger Ford. Läuft so gut, dass de glaubst, du sitzt in nem Boot.«
    »Wo haste denn son Auto her, wenn de nich mal fahrn kannst?«
    »Otum Chenier will, dass ich mich drum kümmer, solang er unten is am Lake Charles.« Mouse grinste und rieb sich das Kinn. »Anscheinend is einer von seinen Leuten krank.«
    »Und wann willste fahren?«, fragte ich.
    «Vielleicht ne halbe Stunde, bevor's hell wird.«
    »Morgen?«
    »Komm schon, Easy, es is spät. Ich hab im Süden was Geschäftliches zu erledigen, und ich zahl dich auch dafür. Hab keine Zeit zu vergeuden.«
    »Ich hab Arbeit, Mann.«
    »Easy, wenn de drei Wochen für die schuftest, haste Glück, wenn de fünfzehn Dollar kriegst. Sobald denen ihr Mann wieder da is, kriegste nen Tritt in den Hintern, weißte. Und ich hab was zu essen, Whiskey und Geld fürs Benzin. Ich kenn alle hübschen Mädchen in Pariah. Und, Mann, Etta hat ne gute Hochzeit verdient, weil se was Besondres ist weißte.« Er zwinkerte dabei.
    Ich wollte fahren. Ich wusste es von dem Augenblick an, an dem er auf meiner Schwelle gestanden hatte. Ich war damals ein junger Mann, gerade neunzehn Jahre alt und allein auf der Welt. Mouse war mein einziger richtiger Freund, und obwohl er verrückt und wild war, wusste ich, dass ihm etwas an mir lag ­ auf seine Weise. Er machte mich manchmal wütend, aber das haben gute Freunde und Verwandte so an sich.
    Ich war nicht wütend, weil Mouse Etta bekommen hatte. Ich war wütend, weil ich meinen besten Freund an seine Frau und seine Familie verlieren würde, wenn sie heirateten. Das war das letzte Mal, dass wir gemeinsam die Straßen unsicher machten. Ich wäre auch ohne die Drohungen und den Schuldschein mit ihm gefahren.
    »Ich will meine fünfzehn Dollar, Mann«, sagte ich. »Weißte, das tu ich nich für meine Gesundheit.«
    »Mach dir keine Sorgen, Easy. Für uns beide springt was dabei raus.«

Mouse hatte sich wie ein kleiner Junge auf meinem abgenutzten Polstersessel zusammengerollt. Das Licht, das durch die zerschlissenen Vorhänge und die Türritzen sickerte, erzeugte im Zimmer alle möglichen Grauschattierungen. Mouse schlief ein, sobald die Lampen draußen ausgingen, aber ich wachte genau dann auf. Ich lag im Dunkeln und dachte daran, wie Mouse mir das Leben gerettet hatte.
    Ich erinnerte mich daran, wie Junior das durchblutete Hemd an sich drückte und aus der Bar rannte. Dann dachte ich daran, was Mouse gesagt hatte, als ich versuchte, mich bei ihm zu bedanken.
    »Scheiße, Mann, ich hab dich nich gerettet. Ich hab den Jungen bloß stechen wolln, weil, er hält sich für so nen harten Kerl... Mal sehn, was er jetzt denkt...« Und wir sprachen nie wieder darüber.

 

Aus dem Amerikanischen von Dietlind Kaiser
© Knaus Verlag, 2001
Alle Rechte vorbehalten!

 

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