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Cream of Crime 1/1996

Charles Higson: Das Alphabet der Gewalt

 

Vermutlich wird man, wenn man all den in England spielenden Büchern von Ruth Rendell, P.D. James, Colin Dexter, Martha Grimes oder Elizabeth George auch nur die geringste Information über Land und Leute glaubt, ein groteskes Bild von der Insel bekommen. Kleine, aparte Morde, begangen von und an honetten Menschen in zivilisierter Umgebung. Gerade auch dann, wenn der Zeitgeist die Verbrechen à la mode diktiert: Triebtäter, Kinderschänder, Sudelkram - bei den genannten Autoren und Autorinnen garantiert das soziologische, geographische und politische Großklima des jeweiligen Schlauplatzes noch immer das Entzücken des britischen Tourismusverbandes. Denn kleine, putzige Ungeheuerlichkeiten sind ja bekanntlich schick. Und haben hierzulande anscheinend ein anhängliches Massenpublikum.

Eine ähnliche Chance dafür wird einer anderen Tradition britischer Literatur hier selten geboten. Seit Ted Lewis' Zeiten - also den frühen Siebzigern, als er mit seinen rüden Büchern der Inseldarstellung jede Romantik ausgetrieben hatte - gab es auch im United Kingdom eine Reihe von Autoren, die das geschrieben haben, was man in Frankreich "roman noir" nennen würde (Simenon nannte die seinen "romans durs") und seinen Urspung bei den Amerikanern Jim Thompson, David Goodis oder Cornell Woolrich hatte. Engländer wie Donald Carter (d.i. Wilbur Wright) oder G.F. Newman wurden genausowenig kompetent präsentiert wie der bedeutendste Vertreter dieser Richtung, Derek Raymond (d.i. Robin Cook), dessen Spätwerk allerdings in eine andere Richtung ging. Sie alle blieben unsichtbar, weil sie unter der in Deutschland notorisch schlechten Behandlung seitens gleichgültiger oder seltsamer Verlage litten.

Dieses Schicksal nun droht auch Charles Higson. Mit dem Titel geht es los: "Das Alphabet des Grauens" - wer will etwas lesen, wo so was Lächerliches vorne draufsteht? (Zur graphischen Gestaltung des Einbands nur so viel: Wer will so was im Regal stehen haben?) Das Buch, um das es geht, heißt schlicht "Full Whack" und erzählt eine einfache Geschichte von kleinen, schäbigen, nicbt direkt liebenswerten Menschen, die keineswegs cultivated sind und im wirklichen England leben, das auch am Rand keineswegs idyllisch ist. Dennis Pike, so heißt die Hauptfigur, war vor zehn Jahren ein schlimmer Finger, ein kleiner Schläger und Ganove, der zu weit gegangen war und jetzt verzweifelt versucht, sich selbst zu resozialisieren. Dann wird ihm sein Erspartes geklaut und er muß wieder zu den Mitteln greifen, die er sich verboten hatte: Zu schlichter, banaler, häßlicher und vor allem völlig unspektakulärer Gewalt. Higson inszeniert seine Story als Road-Movie der ziellosen Bewegungen, der endlosen Gespräche während nächtlicher Autofahrten und, unauffällig kunstvoll komponiert, als kleines Panorama des Wahnsinns, der im biederen Outfit von Trainingshose und T-Shirt stecken kann. Denn hinter Pike und seinem Sidekick ist ein an spießiger Muffigkeit und gewalttätiger Dumpfheit kaum zu überbietendes zweites Duo her, das alsbald eine Blutspur durchs Land legt. Letzteres wirkt wie von einer schmierigen Fettschicht überzogen, freudlos. Ein Land, das die Typen, die durch den kleinen Roman irren, produziert hat.

Trotz der bemühten, aber steifen Übersetzung (ein Problem des Honorars?) merkt man, wie intelligent Higson mit knappen, ökonomischen Mitteln erzählt, wie wenig sensationsgeil und wie deeskaliert er von der allgegenwärtigen Gewalt, die nicht nur physisch ist, berichtet. Das ist gut so: Denn daß etwas traurig ist, heißt noch lange nicht, daß es sensationell ist. Sensationen sind langweilig.

© Thomas Wörtche

 

Charles Higson: Das Alphabet der Gewalt.
(Full Whack, 1994).
Roman. Deutsch von Birgit Dederichs-Bain.
Bergisch-Gladbach: Bastei 1995.
347 Seiten, DM 9,90

 

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