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Leichenberg 03/2017

 

Madrid, Mexiko

Madrid, Mexiko von Antonio Ortuño (Kunstmann) ist ein Buch, das mit einem Mord anfängt und mit einem Mord aufhört und in dem die Gewalt nie aufzuhören scheint. Das liegt unter anderem an den Zeiten und Orten, in denen dieser kapitale Roman spielt. Seine Handlung mäandert von Madrid 1922 bis nach Guadalajara 2014. Der Spanische Bürgerkrieg ist zentral und die Erfahrungen, die die exilierten Spanier in ihrer neuen Heimat Mexiko machen. Und Mexiko selbst hat seine autochthonen Gewaltszenarien, die in diesem Fall weniger mit den Drogenkriegen zu tun haben, sondern mit der harschen Klassengesellschaft, mit Ausbeutung und Verarmung. Auch Santo Domingo und das Frankreich des 2. Weltkriegs sind in Ortuños Roman wahrlich keine gewaltfreien Zonen. Recht eigentlich geht es um die Geschichte der Familie Almansa aus Madrid, die den Anarcho-Syndikalisten angehört und nach dem verlorenen Bürgerkrieg versucht, in Mexiko Fuß zu fassen. Von Widersachern verfolgt, denen sich die Almansas robust entledigen, gerät in der Gegenwart ein Nachfahre, Omar Almansa, in eine ganz eigene Mordgeschichte, die das Kontinuum von Gewalt auf einer privaten Ebenen fortschreibt, als ob es aus dieser Klammer von Blut- und Mordtaten keinen anderen Ausweg gebe, als diesen Weg auch zu gehen. Ortuño erzählt eine Familiensaga, eine Exil-Geschichte, die immer wieder eine Kriminalgeschichte ist und eine Kriminalgeschichte, deren Wurzeln in jener Exilgeschichte stecken. Gespickt mit Dutzenden von Nebenstories, die allesamt je einen eigenen Abenteuer-Roman verdient hätten, wie zum Beispiel die vom Raub der Goldreserven der katalonischen Anarchisten, entsteht so ein Panorama der europäisch-mexikanischen Beziehungen, in dem Mexiko für einmal nicht als Emigrations-, sondern als Immigrationsland sichtbar wird. In seinem Erstling, Die Verbrannten war Ortuños Erzählhaltung noch Wut und Empörung über die Behandlung zentralamerikanischer Migranten durch den Staat Mexiko, hier, im geschichtlichen Riesenpanorama, erzählt er cool, mit sarkastischen Kommentaren und angesichts der Fülle der Handlungsebenen bewundernswert ökonomisch und glasklar. Seine spanisch-mexikanischen Wurzeln und seine Thematik gleichen denen seines Kollegen Paco Ignacio Taibo II, aber wo Taibo barock ausschweift und die jeweiligen populären Mythen in seine Erzählungen miteinbezieht, konzentriert sich Ortuño streng auf seine Storys. Glasklar, auf den Punkt, konzentriert, auf die Realien reduziert. Eine Art neue "Neue Sachlichkeit" (unterstrichen von dem wunderbaren Cover) und ganz klar ein großer Roman.

Satans Spielfeld

Riskant ist Ute Cohens Satans Spielfeld (Septime), auf den ersten Blick eine inverse Variante von Nabokovs »Lolita«, erzählt aus einer strikt weiblichen Perspektive. Im erschreckend genau geschilderten Franken der 1970er Jahre gerät die 12jährige Marie in die Fänge eines kinderschänderischen Bauunternehmers und muss, weil ihre Umfeld partout weggeschaut und nichts bemerken will, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, eine Art Identifikation mit dem Aggressor entwickeln und versuchen, die erotischen und sexuellen Machtverhältnisse umzudrehen. Aber die reale Macht der Geschlechtsverhältnisse, wirtschaftliche Macht und ein keinesfalls emanzipatorischer Katholizismus, gepaart mit provinziellem Muff und Autoritätshörigkeit engen das Spielfeld ein. Natürlich kennt Cohen die einschlägigen Narrative zu Thema und flicht sie, wie Batailles Auge zum Beispiel, elegant ein, aber ihre psychologisch feinst ziselierte Perspektive, engt die Optionen ihrer Hauptfigur immer mehr ein - Hoffnung auf Hilfe zerstäubt, übrig bleibt Verzweiflung. »Satans Spielfeld« ist der Roman einer unbarmherzigen Zerstörung, die auch durch die kulturhistorische Absicherung (Nabokov, Balthus, Hamilton) nicht irgendwie ästhetisch gerettet werden kann. Ein ziemlich gemeiner, radikaler, unversöhnlicher Psycho-Thriller sui generis, der wehtut und der hoffentlich für viel Wirbel sorgen wird.

Illegal

Um böse Realitäten geht es auch in Max Annas' drittem Roman Illegal (Rowohlt). Kodjo muss rennen, denn er hat einen Mord beobachtet, er ist dem Täter bekannt und der schreckt vor gar nichts zurück. Problem: Der junge Ghanaer ist illegal in Berlin, die Polizei kann er nicht rufen, auch vor ihr muss er sich verstecken, Und wenn Berlin auch ein Netzwerk für Sans Papiers hat, ist er, auf Grund seiner Hautfarbe grundsätzlich gefährdet. Und so sehen wir unsere Hauptstadt aus ganz anderen Augen - als gefährliches Labyrinth, als Ort ohne dauerhaften Schutz. Racial profiling durch Jedermann ist sekündliche Wirklichkeit. Und wie schon in seinen beiden anderen Romanen, Die Farm und Die Mauer löst der zweifache Krimipreisträger Annas gesellschaftliche und politische Verhältnisse in Action und Tempo auf, comme il faut für erstklassige Kriminalliteratur.

Die Kraft des Bösen

1925 gingen Siegfried Kracauer und Theodor W. Adorno zusammen auf eine Italienreise. Eine Station war Neapel und der dort vorherrschende Tuffstein, den die beiden Masterminds bewunderten, bescherte der auch heute noch avancierten philosophisch-soziologischen Theoriebildung den Begriff der "Porosität". Es ist ein netter ironischer Reflex, wenn Fabio Paretta in seinem Erstling Die Kraft des Bösen (Penguin) seinen Helden, den Commissario Franco de Santis in Neapel beinahe im porösen, tuffsteinigen Untergrund der Stadt krepieren lässt. Paretta ist übrigens das Pseudonym eines deutschen Autors, der mit diesem Buch eine neapolitanische Serie startet. Bei aller Skepsis gegenüber solchen Konstruktionen (man denke mit Schaudern an Herrn Bannalec und seine Fake-Bretagne) - hier geht es gut: Man merkt, dass der Autor sein Neapel wirklich gut kennt und mag. Deswegen vermeidet er auch alle üblichen Camorra-Klischees, alle schaurigen Höllenvisionen, die die medialen Narrative der Stadt am Golf prägen, ohne sie jedoch zur Idylle auszurufen. »Die Kraft des Bösen« ist ein erfreulich solider, gut gemachter Kriminalroman um den Tod eines Priesters, der in einer ausgefuchst theologischen Begründung für Mord und Totschlag endet. Bevölkert von plausiblen Figuren, mit wunderbaren Schilderungen des oft problematischen Stadtlebens, gespickt mit realen Sauereien des italienischen "Systems" und vor allem mit einem sehr wachen Blick für Nuancen und Differenzierungen. Man kann, vor allem auch weil das Buch glücklicherweise nicht vor literarischer Ambitionitis bebt, das Ganze für leicht altmodisch halten, aber das ist egal: Es ist einfach ein sehr guter Kriminalroman.

Das Zweite Leben des Nick Mason

Sehr gute Kriminalromane waren wir von Steve Hamilton gewohnt, Der Mann aus dem Safe war sogar ziemlich genial. Das kann man leider von Das Zweite Leben des Nick Mason (Droemer) nicht behaupten. Im Grunde ein ziemlich ödes Pastiche aus allen möglichen einschlägigen Gangster-Romanen und -Serien über einen im Grunde netten Gangster, der seine Seele (in diesem Fall seine Existenz) einem Supergangster verschreibt, überraschend aus der Haft entlassen wird, im Luxus leben darf, und im Gegenzug unschöne Dinge tun muss, also Leute umbringen und so. Faust in Chicago, um's auf den Punkt zu bringen. Man kennt alle Figuren: Den Obergangster (warum sitzt er eigentlich noch selbst im Knast, wenn er so omnipotent ist?), seinen knorzigen Handlanger, die gute Frau (mag Tiere), die nicht so gute, das liebe Kindelein des Helden, der böse Cop, der nicht so wirklich böse Cop und alle anderen. Das ist ziemliches posing, ohne große Überraschungen und ohne große Substanz und vor allem total unoriginell. Und gerade letzteres ist doch Hamiltons Stärke. Schade.

Ragdoll

Zumindest interessant ist, wie viele gute Ideen, gute Figuren und gute Einfälle man verballern kann, wenn man die x-te "Irre-Serial-Killer" erzählen möchte, aber im Grunde eine riesige Albernheit zum Roman aufplustert. So geschehen bei Ragdoll von Daniel Cole (Ullstein). Die wirre Mär vom Rächer, der aus Gründen, die wir hier nicht erörtern wollen, verschiedene Leichenteile verschiedener Leute zu einer Art Gesamtleiche zusammen tackert, Bürgermeister entflammt und andere Gräueltaten am Fließband begeht, ist dramaturgisch blendend gemacht. Spannend gar. Polizei-Arbeit im Irrsinnsmodus, nette Medienschelte, böse Aperçus zu homo sapiens, der alten Schweinebacken, alles fein. Aber eben auch sowas von an den Haaren herbeigeschleift und albern. Wird sicher als Mini-Serie ein großer Erfolg.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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