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Leichenberg 02/2017

 

Die lachenden Ungeheuer

Die lachenden Ungeheuer, die dem neuen Roman von Denis Johnson (Rowohlt) den Titel geben, liegen irgendwo in der Region zwischen Uganda und der DR Kongo. Sie sind, könnte man meinen, einer klassischen Reise ins Herz der Finsternis entsprungen. Kaptajn Roland Nair vom Jydske Dragonregiment, HRN und der US-Special-Forces Deserteur Michael Adriko sind von Freetown, Sierra Leone aus auf dem Weg nach Ostafrika, weil Adriko dort, im Kreise seiner ursprünglichen Sippe heiraten will: Ausgerechnet die Tochter seines ehemaligen Vorgesetzen. Aber so einfach ist das nicht: Denn der Däne Nair, der für den Geheimdienst der NATO arbeitet, ist auf eigene Faust unterwegs. Er möchte Dokumente über die Informationslogistik der US Army in Afrika verticken, an den Höchstbietenden natürlich, und mit Adriko auch noch gefaketes spaltbares Material an den Mann bringen. Interpol, der Mossad und die CIA mögen das gar nicht. Und dann sind da auch noch die diversen Warlords, die allesamt nach Profit gieren. Nair ist ein bösartiger, entfernter Verwandter von Eric Amblers Arthur Abdel Simpson, der die Fronten und Seiten flugs wechselt und dem Verrat eine Art Charaktereigenschaft ist. Nur für Adriko empfindet er sowas wie Loyalität. Aber die Reise zu den Lachenden Ungeheuern ist nur ein Teil eines Zickzacks quer über den Kontinent und wieder zurück nach Freetown, von wo es vielleicht nach Kamerun oder in die Emirate geht - dort ist nämlich noch mehr Geld zu holen, als die hunderttausend Dollar, die Nair letztendlich zusammengerafft hat, kein allzu hoher Gewinn für so viel Verrat. Johnsons Roman ist die fiese Mutation eines Polit-Thrillers, der sich - getarnt durch Zynismen, gefiltert durch eine manchmal halluzinogene Sprache und einen zutiefst erratischen Erzähler - ohne rhetorisch-ideologische Beschwichtigungen zu den Kernen unseres Verständnisses von "Afrika" durchbohrt: Ein Kontinent, den niemand wirklich interessiert, und den man deshalb ohne Bedenken ausplündern kann. Das beschreibt den Status Quo, über die Konsequenzen oder die Zukunft spricht der Roman mal lieber nicht. Grandios ist das Buch trotzdem.

Winterwarnung

Erratisch war schon immer Isaac Sidel, der Cop mit der Glock, der jetzt zum Präsidenten der USA aufgestiegen ist - im zwölften Roman der Saga von Jerome Charyn: Winterwarnung (Diaphanes). Seit 1973 mordet sich Sidel nach oben, ob er das will oder nicht, und als er jetzt, 1989, endlich im Weißen Haus angekommen ist, hat er kaum noch etwas zu tun, außer sich, von seinem Apparat ins Dachgeschoss verbannt, isoliert und entmachtet, mit dem Geist von Abraham Lincoln (über den Charyn eine brillante Biografie - oder einen biografischen Roman - geschrieben hat) zu befassen. Bis ihn eine "Winterwarnung" aus den Tiefen der stalinistischen Gulags erreicht. Man hat eine Lotterie auf seinen Tod ins Leben gerufen, die derart wahnwitzige Geldmengen bewegt, dass das Währungssystem der ganzen Welt abzustürzen droht. Und so muss sich Sidel, umgeben von Feinden, Sykophanten und Figuren zweifelhaftester Loyalität, mit der Hilfe russischer, während Glasnost und Perestroika zu Regierungsehren gekommener Gangster und israelischen Ex-Politikern daran machen, die Welt zu retten. Oder wenigstens sich selbst. Auch wenn Winterwarnung ein klein bisschen plot-orientierter ist als manche andere Sidel-Romane, bleibt Charyn dem Konzept treu, das die Saga zu einem Meilenstein der zeitgenössischen Literatur gemacht hat: Er zerschreddert, komisiert, fraktalisiert, halluziniert und demontiert Realitäten, bis eine Art surrealer Hyperrealismus entsteht. Damit entgrenzt er auch die Poetik des Kriminalromans, ohne auch nur einen Millimeter des Genres aufzugeben. Großartig. Und by the way: Das Sidel-Universum der letzten 44 Jahre teleologisch auf Trump zu beziehen, ist aktualistischer Unfug.

Auf der Jagd

Genauso aktualistischer Unfug ist es, "Country Noir" als Verständnisfolie für Trump-Wähler zu begreifen. Und überhaupt die oft biedere Ästhetik des "Country Noir" (problematischer Begriff, anyway) zu irgendeiner relevanten Leitwährung von Kriminalliteratur zu machen. "Country Noir" ist gerade dabei, zu einem Marketing-Begriff (neben natürlich großartigen Romanen von Thompson bis Bassoff) für harmlose, notfalls schlichte und suspekt patriotische Textlein aus allerlei abgelegenen Regionen und ihrer putzig-knorzigen Bewohnern zu werden. Eine Art amerikanischer Regio-Grimmi mit vielen Schusswaffen und Meth-Kochern. Das geht gut, wenn Großmeister wie bei "Justified" am Werk sind, es geht schief, wenn es zur Routineformel wird. Aktuelles Beispiel: Auf der Jagd von Tom Bouman (ars vivendi). Dramaturgisch ungeschickt und in arg karger Prosa vermittelt rennt der Held, natürlich ein Veteran, durch Berg und Wald (diesmal im durch fracking verwüsteten Pennsylvania), bis wir bald jeden Baum und jedes Matschloch mit Vornamen kennen, redet seltsam sinnlos mit allerlei Leuten, fährt durch die Gegend, rennt wieder durch Berg und Wald, bis wir jeden Baum... Und so weiter und so fort. Aber schon richtig: Country Noir ist auch, wenn's in Berg und Wald zappenduster ist und man nicht die Hand vor Augen sieht. Weder ästhetisch noch sonst wie.

Winterwarnung

Der eher urban-intellektuelle, elitäre, dem Normalleser arrogant entrückte Theoriefreak darf sich ein warmes Herzensfeuerchen an Laurent Binets Die siebte Sprachfunktion (Rowohlt) entzünden. Den Umschlag ziert eine Déesse und wenn auch im Buch beklagens- und unverzeihlicherweise eine Déesse geschrötet wird, weiß der Alltagsmytholog schon, um was es geht. Natürlich ist Roland Barthes auf dem Rückweg vom Mittagessen mit François Mitterand am 25. Februar 1980 nicht einfach versehentlich überfahren worden. Nein, er wurde ermordet. Und das möchte der Gerade-noch-Präsident Giscard d'Estaing so nicht stehen lassen, zumal Barthes vermutlich die siebte Sprachfunktion (nach Roman Jacobson gibt es nur sechs, die aufzuzählen ich mir hier spare, weiß doch sowieso jeder) kennt, die politisch extrem brisant ist. Schließlich hat Mitterand dann die Wahl 1980 out of the blue gewonnen. Deswegen muss sich Kommissar Bayard mit einem zugeteilten Kenner der zeitgenössischen französischen Denker-Szene auf die Suche nach den Hintergründen dieses skandalösen Mordes machen. Und so treten sie - in bester book-about-books-Manier mit viel Klatsch & Tratsch - alle auf: Michel Foucault, Jacques Lacan, Julia Kristeva, Tzvetan Todorov, Jean-Paul Sartre, Sollers, Bernard-Henry Lévy, Jack Lang, Paul de Man, Frau Ajani und und und... Endlich wird auch enthüllt, warum Louis Althusser seine Ehefrau wirklich ermordet hat, was Foucault in der Schwulensauna treibt, warum Pierre Bourdieu böse ist. Bayard kann die ganze aufgeblasene Dummschwätzer-Bande nicht leiden, die frivolen Scherz und Frohsinn mit den Werten der anständigen Menschen treiben und damit auch noch mehr Geld verdienen als er. Ein fetter Identifikationsköder, den Binet da auswirft, wohl wissend, dass die Barthes-Foucault-Deleuze-Kenner - und für andere Leute ist die Lektüre wenig sinnvoll - den nur unter der Voraussetzung schlucken, dass dies dann schon wieder ein ironischer, dekonstruktiver Akt sei. Ein lustiges Buch also, das zwischen jargoninduzierter Langeweile, hübschen Dialogen - über Tennis, Fußball, Essen und die anderen Dingen, die die feinen Unterschiede noch bis heute ausmachen -, jeder Menge schmutziger Intima und blanker Denunziation, sich zudem noch hemmungslos über Konspirationstheorien (bulgarische Regenschirmmörder, James Bond etc.) lustig macht. Nachdenklich machen Details, wie wenn Binet schon 1980 Talibane agieren lässt. Aber historische Dekonstruktion ist halt auch mit im Paket.

Auf der Jagd

Ein ziemlich fieses Stück ist Tana Frenchs Gefrorener Schrei (Fischer Scherz). Wobei ich mir nicht sicher bin, ob die fiesen Dimensionen des Romans tatsächlich so gemeint sind: Detective Antoinette Conway von der Dubliner Mordkommission, die, weil nicht blütenweiß, sich von den Kollegen gemobbt fühlt, gräbt ehrgeizig und stur bei einer anscheinend schlichten Beziehungstat tiefer und fördert Dinge zutage, die niemand zu Tage gefördert haben möchte. So weit, so konventionell. Weniger konventionell ist die Rigorosität, mit der sie und ein sympathisierender Kollege, in ellenlangen, dramaturgisch nicht gerade gelungen ausbalancierten Verhörsequenzen, nicht nur Verdächtige, sondern auch Zeugen demontiert, bis weit in unerträgliche psychische Tiefen inquiriert und damit demütigt. Wenn's der Wahrheitsfindung dient - und auch man wenn diese Wahrheitsfindung als sadistische Machtausübung, legitimiert durch die Funktion "Polizei", lesen kann. Eine kleine Studie in totalitärem Denken? Nicht, dass ich dazu eine schnelle These hätte, aber die Feier der Rücksichtlosigkeit (por la causa) auf eventuelle Kollateralschäden ist ein neuralgischer Punkt eines bestimmten Typus von Kriminalroman. Deswegen ist »Gefrorener Schrei« ein zumindest unbehagliches Buch, das eher diskutiert als gefeiert zu werden verdient.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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