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Leichenberg 05/2012

 

Tage des Bösen

Tage des Bösen (C. Bertelsmann) war der erste Roman von Peter Temple, den ich gelesen habe. Das war so ca. 2002, 2003, der Originaltitel meinte etwas leicht anderes »In the Evil Day«. Und ich war beeindruckt. Zehn Jahre hat es jetzt also gedauert, bis dieses grandiose Buch endlich ins Deutsche übertragen wurde und siehe, es ist kein bisschen gealtert und funktioniert immer noch mit der gleichen Wucht, mit der gleichen Dynamik, mit der gleichen Coolness. Auch die Geschichte ist heute so spannend wie damals: Es geht um eine gründliche Aufräumaktion, nachdem die sehr unappetitlichen Details einer konzertierten Aktion von US-Elite-Militärs, Pharmalobby und anderen interessierten Kreisen ans mediale Tageslichte zu kommen drohen. Man hatte damals versehentlich ein Dorf in Angola mit Biowaffen vernichtet, was in der Perspektive der Täter ein einfacher Kollateralschaden war, zumal man das falsche Dorf erwischt hatte, aber ooops, shit happens. Dumm nur, dass es Filmaufnahmen davon gibt. Mit deutlich identifizierbaren Leuten drauf, die sich jetzt anschicken, Karriere in der ganz großen Politik zu machen. Zentral werden dann ein südafrikanischer Söldner, Constantine Niemand, und der Ex-Journalist John Anselm, der für den seltsamen Informationsdienst Weidermann & Kloster mit Sitz in Hamburg arbeitet. Niemand ist der Gejagte, Anselm der unfreiwillige Jäger. Temple inszeniert die Geschichte radikal, ohne Erklärungen, aus sich selbst heraus, mit knappen, lakonischen Dialogen, Andeutungen, grimmiger Komik und Momenten explodierender Gewalt. Das ist absolutes Top-Niveau, erzählerische Ökonomie und bietet zudem subtile Charakterstudien der Hauptfiguren. Nach zehn Jahren immer noch ein Meilenstein des Polit-Thrillers!

Wilde Zeiten

Ein Polit-Thriller der ganz anderen Art kommt aus Haiti: Wilde Zeiten (litradukt) von Kettly Mars - ein Art Polit-Psycho-Thriller, der Anfang der 60er Jahre spielt, als sich die Diktatur von "Papa Doc" Duvalier auf Haiti allmählich stabilisiert. Die Opposition ist ausgeschaltet, seine Terror-Truppe, die tonton macoutes tyrannisieren die Bevölkerung und die USA machen höchstens Du-du-du. Mars seziert mit ultrascharfem Besteck das Leben in diesem Klima und erzählt die Geschichte einer Frau, die sich, um ihren verschleppten oppositionellen Gatten zu retten, mit einem Scheusal des Systems einlässt. »Wilde Zeiten« ist die Geschichte einer totalen Korruption unter totalitären Bedingungen, auf allen Ebenen, moralisch, politisch, psychologisch. Es geht um den Preis des Überlebens, auch um die Faszination von Macht, um Sexualität, auch um die problematische Dialektik zwischen Theorie und Praxis. Gleichzeitig nimmt Kettly Mars auch die Funktionsweise einer totalitären Persönlichkeit auseinander und stößt immer wieder auf erschreckend komplizierte Dimensionen von Rassismus, Ungerechtigkeit, Rache, Vergeltung und objektiver Verhältnisse. Literarisch komplex erzählt, ist die Story von Nirvah Leroy und dem Staatssekretär Raoul Vincent einer der eindrücklichsten und intensivsten Romane über die Verschränkungen des Privaten mit dem Politischen. Ein ganz großer Wurf!

Zeit der Wut

Schnell, kühl und virtuos knapp erzählen Giancarlo de Cataldo und Mimmo Rafele in ihrem ersten gemeinsamen Roman Zeit der Wut (Folio) von zwei italienischen Polizei-Truppen, die sich bis aufs Messer bekämpfen. Die eine will Terror und Chaos säen, um dann so richtig stramm aufräumen zu können. Die andere hat eher verfassungspatriotische Ziele. Die einen schüren die Angst der Menschen vor "Überfremdung", "Terror" und allem, was dem ordnungspolitisch schlicht gestrickten Charakter an der Moderne nicht ins Weltbild passt; die anderen versuchen, genau solche Strömungen zu dämpfen. Aber so schwarz und weiß tickt die Welt eben nicht, und schon gar nicht bei de Cataldo/Rafele - die Meister der Grauwerte. Sie legen sich erzählerisch mit der Realität an und finden in ihren kondensierten Szenen und der komprimierten Action den richtigen Dreh, den produktiven point-of-view!

Das Syndikat

Anders, aber auf internationalem Niveau auch Fran Rays Paranoia-Thriller Das Syndikat (Bastei). Eine Extrapolation realer Tendenzen, mit einem Schuss gesellschaftspolitischer Dystopie, die angesichts realer politischer Sympathien z.B. für das "chinesische System" (profitorientiert, sozial streng formiert) und dem Wahn der totalen, als benevolent verkauften Kontrolle über den Menschen so dystopisch dann doch gar nicht ist. Erzählt als kosmopolitischer Thriller, unmittelbar Realitätssplitter nutzend, robust, intelligent und glücklicherweise mit kleinen, eleganten Brechungen, die den Roman vor dem Kitsch des allzu bleiern Bedeutsamen bewahren.

Das Sachbuch des Monats - Andrew Feinstein: Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod. (Hoffmann & Campe) - ein Grundlagenwerk. Ernüchternd für Leute, die denken, sie seien nicht naiv, sie seien schon zynisch und würden ahnen, wie die Welt so läuft. Ach, ja, was für süße kleine Schwarmgeister...

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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