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Leichenberg 05/2014

 

Roter Mond

Es ist völlig egal, was für eine Sorte Roman Roter Mond von Benjamin Percy (Penhaligon) eigentlich ist - er ist ein Polit-Thriller über den Umgang unserer westlichen Wertewelt mit ihren Außenseitern. Die heißen in diesem Roman Lykaner, das Wort "Werwolf" fällt an keiner Stelle, und sie sind auch keine albernen Horrorgestalten, sondern Menschen, die "anders" sind. Percys 640-Seiten-Epos beschreibt, wie aus mehr oder weniger friedlicher Koexistenz Misstrauen wird und wie Misstrauen in die Katastrophe führt, wenn sich die jeweiligen "Radikalen" oder Fundamentalisten einmischen und ihre Macht-Interessen als Wahrheit und "alternativlos" durchpowern, koste es, was wolle. Terror und Gegen-Terror, Genozid und Verwüstung, Ideologie und Profitstreben setzen Dynamiken in Gang, die keine Vernunft stoppen kann. Percy inszeniert eine Welt, deren Aufklärung an ihrem wichtigsten Stress-Test gescheitert ist: An dem Umgang mit ihren Minderheiten. Percys USA unterscheiden sich nicht wesentlich von den USA, wie wir sie kennen. Nur ihre Minderheiten, ihre Moslems, Schwulen, Atheisten, Schwarze, ihre illegal aliens und Immigranten oder wen auch immer wir uns auf dieser Position vorstellen wollen, sind eben Leute, die Lykaner-Gene haben. Es gibt sogar eine eigene Republik für Lykaner, irgendwo hinter Finnland und Russland, wo es kalt und unwirtlich ist, aber wo wichtige Bodenschätze gewonnen werden, weswegen die US-Army vor Ort schon gar nicht mehr vorgibt, Demokratie und Freiheit zu schützen, sondern nur strategische Rohstoffe. Und dann beginnen eines Tages die Attentate...
»Roter Mond« erzählt von kalten und unwirtlichen Gegenden, von Blut und Elend und Gewalt, von Kalkül und Exzess - sein Lichtmilieu ist düster, seine Hauptpersonen sind allesamt beschädigt, orientierungslos, gehetzt und immer existentiell gefährdet. Und die meisten wünschen sich doch nur ein "normales" Leben. Ein brillantes, düsteres Buch, eine Dystopie von Rang.

Die Tunis Affäre

Elegant kommt ein ganz und gar klassischer Polit-Thriller daher: Die Tunis Affäre von Charles Cumming (Goldmann). Hier wird nicht die Welt gerettet oder Megaverschwörungen aufgedeckt. Cumming beschreibt lediglich süffisant und maliziös eine miese, kleine Operation unter Freunden. Die Franzosen mögen es nicht, dass die Brits im Zug der diversen arabischen Frühlinge sich auf Spielplätzen breitmachen, die die Franzosen als Ex-Kolonialmacht als die ihren betrachten. Und insofern kann eine kleine, schmutzige und sehr persönliche Diskreditierungsaktion gegen die neue designierte Chefin des MI6 nicht schaden. Und die ist clever genug, einen alten, in Ungnade gefallenen Profi die Gegenmaßnahmen erledigen zu lassen. Cumming erzählt diese Geschichte ganz gelassen, ohne schrillen Töne, mit leisem Witz und beiläufiger Brutalität. Große Klasse!

Wespennest

Viel Spaß und Freude hatte deutlich Lee Child mit seinem 15. auf Deutsch erschienen Jack-Reacher-Roman Wespennest (Blanvalet). Reacher legt sich in Nebraska mit einem Clan von lokalen Tyrannen an, was ja an sich nichts Neues ist. Aber Nebraska ist nicht nur ein unerfreulicher, flacher Landstrich, wo nächstens Autoscheinwerfer wirken wie Linien auf konstruktivistischen Bildern, Nebraska hat auch den Anschluss an die große globale Welt des Organisierten Verbrechens gefunden. Und als Reacher den Lokaltyrannen auf die Zehen tritt, bringt er eine Menge mehr Dinge ins Laufen, als ihm bewusst ist. Drei hierarchisch gestaffelte Gangsterorganisationen schicken jeweils ein Killerpärchen (m/m) in die Wildnis, die erst Reacher umlegen sollen und dann die jeweiligen anderen auch. Und so geht es bald robust zu in den Great Plains und an Ende hat man einen perfekten Gangster-Roman aus der Provinz gelesen.

Die Erbin

Immer gut für feine Skizzen aus der amerikanischen Provinz sind die Südstaaten-Romane von John Grisham. So auch Die Erbin (Heyne). Einfacher Plot: Exzentrischer weißer Millionär hängt sich an einem Baum auf, enterbt seine ganze unnütze Bagage von Familie und vermacht seiner schwarzen Haushälterin satte 24 Millionen Dollar, was 1988 - da spielt der Roman - eine unglaubliche Summe war. Und los geht's: Neid, Missgunst, Gier, Rassismus und Güte, Souveränität, Stil, Haltung und Format geraten sich heftig in die Haare und dann baut Grisham noch eine giftige historische Pointe ein. Das ist, wie immer, bei Grisham, extrem lesbar, bei aller Popularität nie populistisch und mit dem Herzen am richtigen Fleck. Man lächelt gerne bei dem Begriff, aber Grisham ist ein veritabler Volksschriftsteller, für den sich kein Volk schämen muss.

Wespennest

Vor zehn, fünfzehn Jahren erfreuten sich die Hap & Leonard-Romane von Joe R. Lansdale großer Beliebtheit. Ein schwarzer Schwuler und sein White-Trash-Buddy, die Ost-Texas aufmischen, ein paar sehr rustikale Gewaltszenen (wie es sich für einen gelernten Horror-Autor wie Lansdale gehört) und pausenlos Wisecracks und flockige Sprüche brachten dem drolligen Duo viele Freunde und Fans ein. Und sie waren ja auch ganz witzige Kerlchen. Jetzt gibt es Nachschlag bei Golkonda: Machos und Macheten, im Original »Captain Outrageous« aus dem Jahr 2001. Man kann natürlich sagen, Lansdale überzieht Klischees bis zur Kenntlichkeit, aber die Mexiko-Klischees dieses Romans sind einfach Klischees: Muchomacho Typen mit Macheten, heißblütige, böse Frauen, ultraböse Narcos, ultraultraböse psychopathische Killer und mittendrin pausenlos plappernd Hap & Leonard. Ach ja... , für Fans, die das Immergleiche zur Sedierung in den aufgeregten Zeiten von hier und heute brauchen, sicher immer noch sehr unterhaltsam. Sonst für Freunde lückenloser Roman-Serien.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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