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Leichenberg 04/2014

 

Die Tote von San Miguel

Es gibt sie noch - die fiesen, kleinen bösartigen Kriminalromane, die sich von den inzwischen unter schwerem Hoch-Literaturverdacht ächzenden und vor Ambition bebenden Hauptwerken à la David Peace oder Jan Costin Wagner abheben. Neo-Pulp, wenn man so will. Dazu gehört zum Beispiel ganz klar Jonathan Woods' Die Tote von San Miguel (Aufbau Taschenbuch). San Miguel ist eine Kleinstadt irgendwo in Mexiko, in der sich US-amerikanische Bohème angesiedelt hat, weil die Lebenshaltungskosten dort immer noch sehr niedrig sind. Die örtliche Polizei, fröhlich korrupt und nicht allzu sehr bemüht, die Dinge in ihrem natürlich Lauf zu behindern, muss sich dann doch aufraffen, als eine besonders hübsche und anscheinend promiske Amerikanerin hingeschlachtet wird. Alles sieht nach Ritualmord und Serial-Killer aus. Das ist Inspector Hector Diaz aber viel zu viel Klischee, denn auch in Mexiko wird mit guten Gründen gemordet. Woods amüsiert uns (und sicherlich auch sich selbst) mit einer Mischung aus umgedrehten Standardsituationen (die Mexikaner sind die Cleveren) und mit freudigem Einsatz aller Mittel, die Kriminalromane einst von der Hoch-Literatur absetzten - let's get physical - Gewalt, Sex und andere körperliche Vorgänge, mit denen homo sapiens so zu tun hat. Und einen robusten Plot mit Sinn und Verstand bietet der Roman sowieso.

Fette Ernte

Große Literatur ohne Hochliteraturanmutung kam und kommt schon immer von Ross Thomas. Den zwölften Band in der großartigen Gesamtedition seines Werkes beim Alexander Verlag, Fette Ernte, kann man getrost als "neues" Buch lesen, denn die vollständige Fassung von »Money Harvest« aus dem Jahr 1975 gab es noch nicht auf deutsch. »Fette Ernte« dreht sich um so spröde Themen wie Warentermingeschäfte und Spekulation mit Lebensmitteln, die nach fast 40 Jahren immer noch aktuell sind. Aber noch faszinierender ist die schriftstellerische Eleganz, mit der Ross Thomas Zufall und Kontingenz einzelner Ereignisse (die Untaten eines schäbigen Mörder-Duos etwa) in eine komplexe Handlung umsetzt. So lakonisch und präzise auf den Punkt gebracht, gleichzeitig so gnadenlos sarkastisch und mit Dialogen ausgestattet, die bei aller Kürze wahrhaft so vielschichtig sind, dass sie bis heute Maßstäbe setzen. Und nebenbei parodiert Ross Thomas auch noch ein paar angebliche "Regeln" des Genres, beziehungsweise Texte, die sie anwenden. Ein must!

Der Goldene Schwarm

Sehr schräg ist Der Goldene Schwarm von Nick Harkaway (Knaus) - eine faszinierende Mischung aus Polit-Thriller, Abenteuerroman, Steam Punk (irgendwie schon), Fantasy und Martial Art-Getöse. Mit Einsprengseln von Richard Sennetts Thesen zum Handwerk, nebst einigen Reflektionen zu dem Klassiker-Thema "Väter und Söhne". Dazu freudiges Herumgespiele mit dem Themenfeld "Künstliche Menschen" von der Antike bis Villiers de L'Isle-Adams "Eva der Zukunft". Mit Bernard Mandevilles Bienen und Thomas Pynchon. Und das sind nur ein paar Bezüge - aber keine Angst: Harkaway kann schreiben und erzählen wie der Teufel. Nicht nur die Welt muss nämlich in diesem Roman gerettet werden, sondern das ganze Universum. Ein größenwahnsinniger Oberschurke namens Shem Shem Tsien droht, alles Bekannte vermittels einer furchtbaren Wahrheitsmaschine zu vernichten (ganz grob gesagt), aber anständige, gute, ehrliche englische Gangster haben entschieden etwas dagegen. Das irdische Verbrechen als Garant der Spezies, das hat schon was. Und weil Harkaway ein Sohn von John le Carré ist, gibt es wunderbare Vater & Sohn-Variationen, so wie sie der Senior anhand seiner Vater & Sohn-Konstellation in »Ein blendender Spion« und in »Single & Single« immer wieder thematisiert hat. Was auch immer »Der Goldene Schwarm« ist - auf jeden Fall ein wollüstig-opulenter Thriller.

Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter

Etwas kleinformatiger geht es bei Malcolm Mackay zu: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter (Fischer) - der erste Teil einer Trilogie um den Berufskiller Calum MacLean aus Glasgow. Lobenswert die knappen, kurzen Sätze, die intellektuell barrierefrei sind, außerdem die nette Grundkonstellation: Killer muss sich entscheiden, ob er "frei" oder lieber festangestellt und sozial abgesichert für ein nettes kleines lokales Syndikatchen arbeiten möchte. Das steht fest in der Tradition des Gangsterromans im UK seit Ted Lewis bis Howard Linskey. Etwas nervig hingegen die Manie des Erzählers, alles und jedes zu erklären, wie das so läuft bei Gangsters und Killers und Cops, warum wer wie was macht und sagt. Eine Art Lehrbrief für Gangster-Azubis, aber bis jetzt durchaus charmant - warten wir auf die nächsten beiden Bände.

Parker - Das Syndikat

Gangster pur und ohne Schnickschnack gibt es bekanntlich in den Parker-Romanen von Richard Stark - und in den wunderbaren Comic-Adaptionen der Stark-Romane von Darwyn Cooke: Parker - Das Syndikat (Eichborn) heißt ein neuer Band, in dem Parker mit dem "Syndikat", das meint, ihn reinlegen zu können, aufräumt. Raffiniert. Gradlinig und effektiv. Cookes Comic erzählt extrem variabel, mit und ohne feste Panels, baut Prosa-Passagen ein, Gebrauchsanweisungen und nützliche Erklärungen, wechselt blitzschnell in den Bildern zwischen "naiver" Illustration und anspruchsvollem Artwork. Ganz große Klasse!

Ähnlich grandios die Jean Vautrin-Adaption Der Mann, der sein Leben ermordete von Moynot (Edition 52). Ein noir-Comic der ganz dunklen Sorte - die Rachestory eines Mannes, der sich, aus dem Knast entlassen, an allen, wirklich allen seinen Peinigern rächt, und die Story eines abgehalfterten Privatdetektivs, der gar zu gerne kriminell würde und auch das nicht hinkriegt. Das zufällige Zusammentreffen der beiden Durchgeknallten ist dynamisch. Französische Comic-Kunst in düsteren Tönen, sarkastisch, blutig, néo-polar. Und nebenbei auch noch ein bisschen politisch - ideal.

 

© Thomas Wörtche, 2014

 

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