legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 05/2015

 

Angel Baby

Gute Zeiten für gute Kriminalliteratur außerhalb der üblichen Formatschablonen: Zum Beispiel Richard Langes Angel Baby (Heyne). Keine besonders spektakuläre Geschichte, aber spektakulär gut erzählt: Die Frau eines mexikanischen Drogenlords hat die Schnauze voll und will nur raus aus dem goldenen Käfig, in der sie hält. Sie muss von Tijuana nach Los Angeles, um ihre Tochter zu holen und um vollständig verschwinden zu können. Als Fluchthelfer heuert sie einen heruntergekommenen, total versoffenen Gringo als Fahrer an, dem schon alles egal ist und der sich, wenn er sich mal wieder die Seele aus dem Leib kotzt, wünscht, "es wäre Krebs". Der Narco holt als Jäger einen als besonders effektiv und gnadenlos berüchtigten Killer namens Jéronimo aus dem Knast und hetzt ihn hinter seiner Frau her. Als Sicherheit nimmt er die Frau und Kinder des Killers als Geiseln. Und schließlich ist da noch ein fetter, weißer Ami von der Border Patrol, bis über die Ohren in Spielschulden bei den falschen Leuten steckend und so korrupt wie man nur korrupt sein kann. Das ist die Figuren-Konstellation, die Lange jetzt von Mexiko über die Grenze in die USA und wieder zurück jagen lässt. Und wenn Sie meinen, Sie wüssten jetzt schon, wie der Hase läuft... neeee, so läuft es nicht. Das liegt daran, dass Lange nicht von Stereotypen erzählt, sondern von echten, glaubwürdigen Menschen. Die sind nicht einfach gut oder böse, so wie ihr Rollenfach es vorschreiben mag. Aber sie sind auch nicht gut oder böse, weil die Rollenklischees etwa umgedreht wären. Sie sind einfach Menschen. Und über deren Denken, ihre Antriebe, ihre Motivation, über ihre Persönlichkeiten hat Lange einen brillanten Roman geschrieben. Zudem hat er ein genaues Auge und Ohr für die Soziotope, Milieus und Landschaften, in denen das Buch spielt - von Tijuana über San Diego bis nach Los Angeles. Eigentlich Don-Winslow- oder Robert-Crais-Land, aber von Lange viel präziser, durchdachter und klarer beschrieben. Spannend ist »Angel Baby« sowieso, eben weil der Roman nicht ausrechenbar ist.

Soro

Auch Soro von Gary Victor (litradukt) ist wuchtige, große Literatur. Der zweite Roman um den haitianischen Polizisten Dieuswalwe Azémar beginnt mit dem Erdbeben, das 2010 das eh schon politisch und ökonomisch gebeutelte Haiti noch schlimmer ins Unglück trieb, falls das überhaupt noch ging. Am 12. Januar, um 21:53h erwischt es Azémar, der es gerade in einer miesen Absteige mit der Frau seines Chefs treibt, die von dem zusammenfallen Gebäude zerquetscht wird. Alleine dieses erste Kapitel ist schlicht sensationell. Was dann folgt ist ein Höllentrip aus Gewalt, Wahnsinn, Suff - der Roman ist nach einer besonders wirksamen Schnapssorte benannt, eben Soro - Gier, Politik und Tod. Den Untertitel "Ein Voodoo-Krimi" hätte man, wie schon beim ersten Azémar-Roman »Schweinezeiten« weglassen können. Zwar kommt Voodoo vor (wie auch nicht in einer der Hochburgen dieser Religion?), spielen eventuelle Zombies und mehr oder weniger gefährliche bòkòs ihre angemessene Rolle, aber wichtiger sind die klarsichtigen Suff-Halluzinationen von dem einzigen nicht-korrupten Polizisten Haitis mit dem seltsamen Namen. Denn die zeigen deutlich, was eine von den USA und fundamentalistischen christlichen Freikirchen unterstützte Politik auf der Halb-Insel anrichtet. Die Beschreibungen der Naturkatastrophe und deren Folgen sind extrem eindrückliche Protokolle aus dem Inferno, dagegen sieht James Lee Burkes »Sturm über New Orleans« doch sehr bieder aus. Harter Stoff, grandios gemacht. Gary Victor gehört zu den wichtigsten Autoren von Kriminalliteratur und damit zu den wichtigsten Schriftstellern auf diesem Planeten.

Dope

Eine der aufregenden neuen Stimmen des Genres ist auch Sara Gran, was man spätestens seit ihren beiden Romanen um die geniale Privatdetektivin Claire de Witt (»Die Stadt der Toten« - auch das ein surreal-guter New-Orleans/Katrina- Roman - und »Das Ende der Welt«) weiß. Dope (Droemer) stammt schon von 2006, wurde sträflicherweise bis jetzt nie übersetzt und ist alles andere als ein Frühwerklein. Sara Gran tut zunächst so, als ob das Buch ein nettes, harmloses Pastiche von Chandlers oder Spillanes hard-boiled novels wäre. Die taffe Ich-Erzählerin ist Ex-Hure, Ex-Junkie und hauptberufliche Diebin und Betrügerin, die von einer gleißnerischen Klientel beauftragt wird, eine verschwundene junge Frau aus besseren Kreisen im Drogen- und Prostitutionsmilieu des New York Citys der 1950er Jahre zu suchen. Das Counter-Casting der Ich-Erzählstimme - aus dem Kerl wird eine Frau, die die Zentralperspektive behauptet - attackiert die Vorlagen, zeigt eine andere Wahrheit hinter den klassischen Konstellationen des Private Eye Romans dieser Zeit und vor allem damit dessen einvernehmliche Bindung an die Wertewelt jener Jahre. Selbst den anscheinend naiven Plot der Spillane und Co. persifliert Gran sarkastisch, in dem sie ihn letztendlich ins Bitterböse dreht. Das ist alles clever, sehr bösartig, witzig und gleichzeitig sehr tragisch-gut gemacht. Virtuos und mit einer salzsäureklaren Haltung zur Welt und zu der Literatur, mit der eine solche Welt konstituiert wird. Groß!

Eine dringend wichtiges Buch zum Thema ist Klaus Theweleits Studie Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust (Residenz), die sich mit dem Selbstverständnis und der Selbstinszenierung von Tätern beschäftigt, die sich an ihrem blutigen Tun ergötzen, was sich nicht unbedingt deckungsgleich mit ihren jeweiligen ideologischen Begründungsstrategien verstehen lässt. Theweleit arbeitet auch in diesem Buch erfreulich pointilistisch, ohne stringente Theorie im engeren Sinn, aber mit jeder Menge theoretischen Anknüpfungsmöglichkeiten. Wozu natürlich auch literarische Inszenierungen von Gewalt und Mord gehören. Womit wir beim Thema wären. Ein notwendiges, kluges, vieldimensionales Buch - Lektüre für Leute, die nicht plappern, sondern mitreden wollen.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

« Leichenberg 04/2015       Index       Leichenberg 06/2015 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen