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Leichenberg 07/2007

 

Gottes Mühlen

1957, die Südpfalz, nahe der französischen Grenze - Pfaffenbronn. Ein Kind wird ermordet, Kommissar Friedrich Gontard von der Mordkommission in Ludwigshafen übernimmt. Er ist, wie alle Figuren des Romans Gottes Mühlen von Lilo Beil (Conte Verlag) von Krieg und Nachkrieg traumatisiert; die Wunden eitern immer noch, besonders im deutsch-elsässischen Grenzgebiet. Die Atmosphäre jener Jahre und der Gegend, an die ich mich selbst noch gut erinnern kann, stimmt - so hat sich das alles damals wohl angefühlt. Ich sehe die Leute vor mir, besonders die Figur einer (Ex-BDM-)Lehrerin, die Lilo Beil nebst anderen Zeittypen präzise porträtiert - genau so eine hatte ich in der Schule, in einem badischen Städtchen ein paar Kilometer östlich, ein paar Jahre später. Das alles ist ehrenwert, sympathisch, liebenswert gar. Die Krimi-Geschichte, naja, ein bisschen aufgeblasen und kompliziert, aber ok. Schade nur, dass der Roman vor Redundanzen strotzt, vor dramaturgischen Ungeschicklichkeiten, steifen Dialogen und andern Tölpeleien, die man hätte vermeiden können, ja müssen.

Brüderchen komm stirb mit mir

Bleiben wir noch im Südwesten, in Mannheim. Dort spielt der Roman von Rainer Martin Mittl: Brüderchen komm stirb mit mir (Emons). Ein überzwercher Plot - eine Rachegeschichte, so kompliziert wie sie nur ein armchair detective ausknobeln kann -, kombiniert mit erzählerischer Didaxe und lediglich behauptetem Lokalkolorit (als Exilant finde ich meine Stadt nicht sehr genau gezeichnet) ergeben einen »Regionalgrimmi«, der sicher nichts Übles ist. Aber auch sonst nichts.

So etwas ist, damit wir uns nicht falsch verstehen, keine spezifisch deutsche Untugend. Marcos M. Villatoro zum Beispiel hat mit Furia (Knaur) einen Krimi aus der Latino-Community von Nashville, Tenn. (demographisch interessant!) vorgelegt, in dem ein Latina-Polizistin tapfer einem narcotaficante nachstellt - in pausenlos aufklärender, erklärender, hinweisender und verdeutlichender Prosa, für die vielleicht ein Publikum dankbar sein mag, das »an die Hand genommen« sein will. Der Rest wendet sich mit Bedauern.

Tod einer Strohpuppe

Wenigstens nur abwegig, und nicht auch noch sprachlich bescheuert ist die Mär, die uns ein schreibender »Unternehmer« (was soll uns diese Information, wenn nicht ein paar seltsame Wertungen der englischen Zeitgeschichte according to M. Thatcher rechtfertigen?) namens Patrick Lennon aufbinden will: Tod einer Strohpuppe (dtv) geht davon aus, dass ein englischer Polizeiapparat hilflos zusieht, wie bis an die Zähne bewaffnete Russen ein nettes Landstädtchen tyrannisieren. Du meine Güte, was für ein Quatsch!

Schnitt, Schluß mit dem Unfug - ab hier nur noch erste Qualität! Auch ohne Rücksicht auf Aktualität:

Der Ausschlachter. Ein Criminalroman von Robert Louis Stevenson (dtv), den Co-Autor Lloyd Osbourne, Stevensons Stiefsohn, sollte man bitte nicht unterschlagen. Jorge Luis Borges hielt das Buch um ein Wrack voller geldwerter Geheimnisse für Stevensons bestes. Naja, Vorsicht bei Superlativen, aber dieser Roman über Kunst und Geschäft, über Gier und Menschlichkeit, über Gewalt und Moral ist in der Tat grandios. Zumal er auch als Frühform der »Poesie pragmatischer Sujets« gelesen werden kann, die bei Eric Ambler und Ross Thomas zur schönsten Blüte gelangt ist.

Tod einer Strohpuppe

Noch ein Re-Issue: Zufallscode von Robert Littell (Knaur) ist der neue deutsche Titel des wunderbaren Romans »The Visiting Professor« von 1993, den es 1995 schon mal als »Der Gastprofessor« gab. Ein heiter-bösartiger Roman über serialkiller, Geheimdienste, Literatur, das Leben und die Liebe, spannend, intelligent und so tricky, dass man über Littells Bücher, wenn man sie mit dem Durchschnittszeugs (s.o.) aus aller Welt vergleicht, schon fast sagen kann: Ein anderer Planet.

Ein definitorischer Albtraum für Schubladendenker ist Philip K. Dicks A Scanner Darkly. Alles wird nicht gut. (Schirmer/Mosel). Dicks Roman von 1977 ist ein brillantes Buch über die Verwicklungen, undercover zu leben und zu fühlen. Diese Version hier ist ein Comic nach dem gleichnamigen Film von Richard Linklater. Der Film war digital mit graphischen Texturen überlagert worden; die Filmstills werden hier im Buch als Panels mit Sprechblasen kombiniert - aus dem spannenden Text über Identitäten wird ein merkwürdig anonymes (wer hat die Arrangements von Bild und Text getroffen?), aber faszinierendes Verwirrspiel mit den Identitäten von Kunstformen und Genres. Große Klasse!

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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