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Leichenberg 07/1996

 

Mit Formschwankungen rechnet man ja immer bei Elmore Leonard, aber so schwach wie bei Volles Risiko (Goldmann) war er schon lange nicht mehr. Die übliche Loser-Parade, verpackt in die dünne Geschichte einer verpfuschten Entführung, dümpelt so vor sich hin, man wartet dauernd auf den einen, den genialen Dreh, aber der kommt und kommt nicht. Nur manchmal, bei ein paar schönen Dialogpassagen und gelungenen Kapiteleinstiegen, blitzt Leonards Können glücklicherweise auf. Damit wir uns aber richtig verstehen: Wenigstens ein nach Elmore-Leonard-Standard schlechtes Buch geschrieben zu haben, würde für 80% seiner Kollegen und -innen in aller Welt immer noch den großen Wurf bedeuten.

Ein merkwürdiger Autor ist der Brite Philip Kerr. Er hat Ideen, einen ausgeprägten Sinn für Stories, einen gewissen grimmigen Humor, Verständnis für Schauplätze und ein Händchen für die Dramaturgie von Thrill & Suspense. All diese Vorzüge hat sein neuester Schocker, Game Over (Wunderlich) auf der Haben-Seite. Ein "intelligentes" Hochhaus dreht durch und metztelt Leute nieder, die sich gerade in dem Bau aufhalten. Prinzip: Lady Agatha und ihre zehn kleine Negerlein. Das ist passagenweise grandios gemacht und glücklicherweise auch vorauseilend komisch. Nur, wenn man mit dem Wälzer durch ist, hat man sich zwar ganz gut unterhalten, aber schon wieder alles vergessen. Was auch nicht weiter schlimm wäre, wenn Kerr nicht dauernd eine "höhere" Ebene massiv andeutete. Hier: Architekturkritik. Nicht sonderlich originell. Und: an Mike Davis, den Autor des Jahrhundertbuchs City of Quartz (siehe unten) sollte er zumindest Teile seiner Tantiemen überweisen. Und innerhalb dieses grellen Geisterbahnspektakels glatt vergeudet - denn die läppische Metapher des Computerspiels trägt nicht die bleischwere Metaphysik, mit der Kerr seine Action aufmotzen will, die aber nur lächerlich wirkt.

Wie souverän dagegen Lawrence Block, Der Privatclub (Haffmans bei Heyne)! Ein neuer Matt-Scudder-Roman, mit dem Block an seinem Projekt weiterbastelt, nach dem Ende aller verbindlichen Werte neue Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebens zu erfinden. Unhysterisch, wirklich cool und mit einem atemberaubenden Schlußdreh.

Apropos City of Quartz, nicht nur dieses absolute Meisterwerk (ein Standardwerk über Los Angeles, wie man es heute kompetenter kaum schreiben kann) ist in dem kleinen Verlag Schwarze Risse/Rote Straße/VLA erschienen, sondern auch - endlich - das Opus Magnum von Paco Ignacio Taibo II, Vier Hände. Polit-Thriller und Parodie eines Polit-Thrillers, Slapstick und Tragödie, Revolutionsfarce und Revolutionsemphase, tausend Geschichten und zehntausend Anspielungen, ein Kriminalroman von Leo Trotzki und eine Umdichtung von Salgaris Sandokan-Büchern, Reflexe auf Karl May und den Spanischen Bürgerkrieg, die CIA und Kubas Rolle im Drogenhandel, geile Zwerge und komische Killer, das alles und noch viel mehr fügt Taibo zu einem phantasmagorischen und magischen Roman zusammen, der ihn hoffentlich auch hierzulande endlich nicht nur als Verfasser der ebenfalls großartigen Serie um Héctor Belascoaran Shayne bekannt macht, sondern - weit über alle literarischen Schubladen hinaus - als einen der originellsten und kreativsten Autoren Lateinamerikas. Als Literaturpolitiker und Präsident der International Crime Writers Association war Taibos Rolle oft dubios bis fatal und ärgerlich. Beim Schriftsteller Taibo ist von ideologischer Sturheit und Borniertheit nichts zu spüren.

© Thomas Wörtche

 

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