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Leichenberg 08/1996

 

Die schlechte Nachricht zuerst: Da haben wir geschlagene zehn Jahre auf ein neues Buch von Tom Sharpegewartet, dessen gnadenlose Rüpelprosa einst immerhin das südafrikanische Apartheid-Regime dazu veranlaßt hat, ihn aus dem Lande zu werfen. Danach wurden seine Bücher etwas schwächer, aber nach der kreativen Pause durfte man eigentlich schon auf seinen Kommentar zum postthatcheristischen Großbritannien warten. Doch ach, sein neuer Wurf Ein dicker Hund (Goldmann) ist eher ärgerlich. Nicht weil er in bewährter Manier gegen alle Heiligtümer der political correctness  pöbelt (obwohl das auch schon wieder seriell ist), sondern weil der Roman so hundsgemein schlecht konstruiert ist und der Autor am Schluß einfach keine Lust mehr hat und husch, husch aus der Handlung aussteigt. Und ehrlich gesagt: Sehr originell ist die Story auch nicht mehr. Korrupte Bullen, durchgeknallte Reiche und zum Schluß das übliche große, bunte, laute Massaker - das haben wir in jedem schlechten Video inzwischen genauso. Schade.

Bleiben wir auf den Inseln. Erstmal in der Republik Irland. Dort, in Waterford, spielt der Erstling von Jim Lusby mit dem blöden deutschen Titel Eiskalte Abrechnung (rororo) - "Making the Cut" im Original - und zeigt, daß John Harveys Romane um Charlie Resnick Nachahmer finden. Wie Harvey hängt auch Lusby seine Handlung unsensationell niedrig, und legt statt dessen Wert auf die Ubiquität von Gewalt in allen lebensweltlichen Bereichen und auf die sorgfältige Zeichung seiner Hauptfigur, Carl McCadden. Manches ist noch etwas erstlingshaft-schräg, aber so, daß man Mr. Lusby wohlwollend im Auge behalten soll.

Von Süd- nach Nordirland, nach Belfast. Ähnlich wie in Pavel Kohouts "Sternstunde der Mörder" nutzt dort ein schwer gestörtes Kerlchen die öffentlich legitimierte und akzeptierte Gewalt für seinen eigenen Drang zum Killen. Was, weil (in diesem Fall für die prostestantische Seite) politisch opportun, zunächst prächtig ankommt. Victor Kelly, so heißt das Schätzchen, das metzelnd seine Blutspur durch den Roman Belfaster Auferstehung von Eoin McNamee (Rotbuch) zieht, lernt in seiner Umwelt, daß Töten eine allgemein anerkannte Kommunikationsform ist. Was er nicht kapiert, ist, daß politische Opportunität sich jeder menschlichen Disposition, und sei die noch so abscheulich, zu bedienen weiß. Und wer ausgedient hat, der kommt weg. McNamee macht daraus eine rästelhafte, vielschichtige und sehr intensive Parabel, die zu freudigem Optimismus über Homo Sapiens wenig Anlaß gibt.

Ebenfalls kein großer Menschenfreund war André Héléna (1919-1972), dessen Romans noirs die Edition Nautilus wieder ausgräbt. Dem lieben Gott ist es scheißegal heißt der erste Band. Hélénas Problem war, daß er noch hoffnungsloser, noch zynischer, noch rüder sein wollte als David Goodis & sein Kumpel Leo Malét (der der "Schwarzen Trilogie") und sich, man kann es an diesem Buch schön sehen, deshalb weit mehr für die Herstellung einer rabenschwarzen Atmosphäre interessierte als für andere Aspekte der Schriftstellerei. Das mag Fans des Noir  genügen, mir genügt es nicht. Dennoch ist die Edition philologisch und historisch gesehen sehr sinnvoll.

Georges Simenon hat seinen Zeitgenossen das Leben eben doch sehr schwer gemacht. Héléna braucht ein ganzes Buch, um einen Aspekt zu schildern, für den Simenon allenfalls zwei Seiten gebraucht hätte - und die zwei Seiten waren dann in der Regel auch noch komplexer und genialer.

© Thomas Wörtche

 

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