legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 08/2004

 

Der Schwarm Jetzt, nachdem das grosse Medientrommelfeuer ein wenig abgeklungen ist, kann man sich den Top-Seller unserer Tage etwas genauer anschauen: Frank Schätzings Der Schwarm (KiWi). Der Mensch hat sich, wie er`s auch in der Literatur seit Jahrhunderten tut, mal wieder zu weit aus dem Fenster gelehnt - sich an der Natur versündigt, Gott versucht oder ist schlicht grössenwahnsinnig geworden. Dafür gibt`s seit Goethes »Zauberlehrling« oder Shelleys »Frankenstein« traditionellerweise gewaltig einen auf den Nüschel. Nature strikes back, diesmal in Gestalt durchdrehender Weltmeere und deren innewohnendes Viehzeug. Hummer explodieren in böser Absicht, tückische kleine Würmer nagen Kontinentalhänge klein, auf dass der ganze Klumpatsch ins Wasser rutscht und schicke Megagiga-Tsunamis produziert, Meeressäuger werden fies zu Menschen und zu guter Letzt hört der Golfstrom auf, zu zirkulieren. Das Ende ist nah. Aber nein, nur beinahe, denn unerschrockene Wissenschaftler haben in letzter Sekunde die berühmte rettende Idee... So weit, so banal, so garantiert erfolgreich. Und so plausibel mit wissenschaftlichen Recherchen unterfüttert, die alle richtig sein könnten. Das ist Schätzings wahre Kunst: Wir sind alle keine Spezialisten für Meeresbiologie, Tiefseegeologie, Zellchemie und andere hochqualifizierte Disziplinen, aber wir sind bereit, dem Autor alles zu glauben, weil er es so wunderbar plotgerecht aufbereitet hat: Spannend, folgerichtig, überraschend und trickreich. Immerhin hält der Sog 1000 Seiten, allein das ist eine grosse Leistung. Warum man dem Buch aber sofort internationales Niveau unterstellen wollte (was es zweifelsohne in der Tat hat - es tickt nach globaler Bestseller-Formel) hat, so fürchte ich, mit etwas ganz Fatalem zu tun: Der Schwarm ist in einer Prosa geschrieben, wie wir sie alle aus achtlos übersetzten US-Bestsellern kennen: »Ich schätze ...«, »Warum machst du nicht ...?« und statt des »Eisbärs« tummelt sich der »Polarbär«, der in der deutschen Sprache nicht vorkommt. Trotzdem, Der Schwarm ist ein klasse Stückchen Pop-und-Hopp-Literatur.

Ins Leben zurückgerufen Ein klasse Stück Literatur hingegen kommt wieder einmal von Reginald Hill. Ins Leben zurückgerufen (Europa) ist, wie immer bei ihm, ein scharfsinnig durchdachter, realitätstüchtiger Kriminalroman, in dem das Trio infernal Dalziel, Pascoe und Wield einen alten Fall aus dem Jahr 1963 wiederaufnehmen müssen, und gleichzeitig eine ironisch-maliziöse Reflexion des guten, alten Whodunnit als angebliche Genre-Norm. Hill ist schlichtweg fantastisch.

Weit in die fantastischen Welten von Robert Louis Stevenson, Saki, Conan Doyle und dem guten, alten Universal horror reicht Joann Sfars Professor Bell - Der Mexikaner mit den zwei Köpfen (avant-verlag), eine graphic novel mit Horror, Schock, Stil, sehr komischer Herzlosigkeit und einem netten Gespenst namens Eliphas. Sfar, der in seinem Heimatland Frankreich schon hoch gehandelt wird, könnte eine Hoffnung für den avancierten Comic werden, der mit Witz, Verve, galligen Pointen und opulenten Panels gegen den Flachsinn der Zeitgeistproduktionen angeht. Wir freuen uns schon sehr auf das nächste Abenteur von Professor Bell.

Rebell im Cola-Hinterland Und noch zwei nützliche Bücher seien angezeigt: Die überfällige Jörg-Fauser-Biographie von Matthias Penzel & Ambros Waibel: Rebell im Cola-Hinterland (Edition Tiamat), die nicht nur die hebephrene (danke, Willi Winkler, für das Wort in diesem Zusammenhang!) Stammklientel von Fauser erfreuen wird, sondern ein notwendiger Beitrag zur Deutschen Literaturgeschichte nach 1945 ist. Unverzichtbar auch die von Markus Mohr & Klaus Viehmann herausgegebene kleine Sozialgeschichte: Spitzel (Assoziation A). Vom Ur-Spitzel Judas (überflüssig und überbezahlt) bis zu modernster Spitzel-Hard- und Software für den engagierten Personalchef - hier findet man überlebenswichtige Hinweise. Und viel schrecklich-komische Fussnoten der Geschichte.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

« Leichenberg 07/2004 zurück zum Index Leichenberg 09/2004 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen