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Leichenberg 07/2004

 

Shutter Island Eine der unerfreulichsten Konsequenzen der Krimi-Boom-Jahre ist es, dass ein für allemal festgeschrieben scheint, ein Kriminalroman habe der Erzähllogik eines labbrigen und unverstandenen Realismus zu folgen, wie ihn die Leons & Co. pausenlos zelebrieren. Vermutlich deshalb schlugen Dennis Lehanes Shutter Island (Ullstein) erhebliche Irritationen entgegen. Denn Lehane erzählt die Geschichte eines psychisch instabilen, traumatisierten Weltkrieg-II-Soldaten, der 1954 als US-Marshall in einer psychiatrischen Versuchsanstalt eine verschwundene Patientin finden soll. Das Institut, eine Art »Insel des Dr. Moreau« im psychiatrischen Wettrüsten des Kalten Krieges, liegt Shutter Island vor Boston. Ein Hurrikan setzt die physische Welt ausser Kraft, die Psyche unseres Helden destabilisert sich zunehmend wie überhaupt die ganze erzählte und dargestellte Realität. Das ist grandios gemacht, rätselhaft, in seiner Unlogik sehr logisch und vor allem konsequent, weil Lehane auch am Ende nichts realistisch auflöst. Ob man allerdings dabei auch die Geschichte ein wenig beugen sollte wie Lehane das mit seinen Szenen von der Befreiung des KZs Dachau tut...?

Das Messer im Sumpf Solche Subtilitäten brauchen uns bei Jonathon Kings Everglades-Abenteur Das Messer im Sumpf (Knaur) nicht umzutreiben. Der Roman ist ein solide und spannend gemachter Thriller, thematisch und atmosphärisch zwischen Carl Hiaasen und James Lee Burke. Ein Ex-Cop, der sich aus selbsttherapeutischen Gründen in die Einsamkeit der Sümpfe gezogen hat, muss einen Killer schnappen, der aus ökoterroristischen Motiven Kinder umbringt. Das ist allerbeste Stangenware, aber nicht mehr, weil King weder den Witz und den bösen, kritischen Drive von Hiaasen hat, noch die existentialistischen Dimensionen von Burke. Aber es ist schon okay so zum Wegknabbern.

Ein erfreulich schnelles, elegant erzähltes, raffiniertes und gemeines Buch ist Fotofinish von Jac. Toes (grafit), das nicht umsonst den holländischen »Gouden Strop« 1998 gewonnen hat. Ein cleverer Yuppie-Anwalt denkt, die Welt läuft wie er will, statt dessen läuft er, wie jemand ganz anderes möchte. Gelaufen wird viel in diesem Buch, die ganz Ausgeschlafenen aber laufen nicht. Sehr vergnüglich!

Schattenreich Sehr gerne wiederhole ich mich an dieser Stelle auch: Joseph Hansen gehört zu den ganz Grossen der Kriminalliteratur und damit auch zur US-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Werkausgabe bei Argument in den von Robert Schekulin sorgfältig überarbeiteten und rekonstruierten Übersetzungen schreitet fort - Band 6, Schattenreich, ist soeben erschienen. Hier geht Hansen, wie sein grosser Vorgänger Ross Macdonald, die amerikanische Gesellschaft direkt über die Familie an - Väter und Söhne, Väter und Töchter, Männer und Frauen, Männer und Männer. Und die puritanisch induzierte Homophobie, auch im angeblich toleranten Kalifornien, richtet viel Elend an, das Hansens Held, der schwule Versicherungsdetektiv Dave Brandstetter, nicht verhindern, nicht mildern kann. Er kann höchstens froh sein, dass er die Seinen, wenn auch beschädigt und verletzt, aus dem äusseren und inneren Inferno retten kann. Hansens Brandstetter-Zyklus gehört auch deshalb in den Pantheon der Grossen, weil er souverän, autoritativ und offen schwul ist.

Am Ende sei noch nachdrücklich auf eine lehrreiche, nützliche, unterhaltsame und realitätstüchtige Aufsatzsammlung hingewiesen: Sie heisst Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte und wurde von Markus Mohr und Klaus Viemann herausgegeben (Assoziation A). Ein nettes Vademecum für den Alltagsparanoiker, ein Begleiter für den Realpolitiker und ein Memento für allerlei Schwarmgeister.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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