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Leichenberg 08/2015

 

Killer Instinct

Zu den spannendsten kriminalliterarischen Projekten der letzten Jahre gehört Howard Linskeys David-Blake-Trilogie. Nach »Crime Machine« und »Gangland« ist soeben der letzte Teil erschienen: Killer Instinct (Droemer). Der Clou von Linskeys Zyklus ist die Beschreibung der Organisierten Kriminalität als Geschäft wie jedes andere. Und zwar nicht nur im globalen Rahmen, sondern auch regional betrachtet. Am Anfang war Blake nur der consigliere der lokalen Organisation, die das nordenglische Newcastle-upon-Tyne kontrollierte, am Ende gehören auch Teile von Glasgow und Edinburgh zu seinem Herrschaftsbereich, den er sich - Anfangs nolens volens, dann von der systemimmanenten Dynamik getrieben - auch mit roher Gewalt angeeignet und gesichert hat. Zu Nutz und Frommen aller, wie Linskey sarkastisch zeigt. Zufriedene Kunden, gedämpfte Straßenkriminalität, überschaubare Machtverhältnisse, mit denen, durch ein feines Netz der Korruption und Vorteilnahme eingebunden und profitierend, auch die Polizei und die hohe Politik gut leben können. Natürlich ist so ein Job im Top-Management nicht ganz ohne Schwierigkeiten zu haben und so wird aus dem netten Yuppie ein knallharter Machiavellist. In »Killer Instict« baut Linskey eine wunderbar clevere Hommage an Fritz Langs Klassiker »M - Eine Stadt sucht einen Mörder« ein und konfrontiert Blake dann doch mit der ganz großen Politik, die bekanntlich sowieso in alle Verästelungen von Gesellschaft hineinregiert. Blake bekommt es mit einem durchgeknallten russischen Oligarchen zu tun, der aus dem UK gegen Putins Russland aufrüstet und allerhöchste politische Protektion genießt. Mit Geld ist da nichts zu machen, wohl aber mit Intelligenz und radikaler Brutalität. Der großartige Abschluss einer Trilogie, die wegen ihrer analytischen Schärfe und ihrem sardonischen Witz in die Annalen der Kriminalliteratur eingehen wird.

Die sieben Leben des Arthur Bowman

Mit den Anfängen des globalen Kapitalismus beschäftigt sich Antonin Varennes Die sieben Leben des Arthur Bowman (C. Bertelsmann). Der bei uns noch relativ unbekannte französische Autor greift direkt die heroischen Gründungsnarrative über diese Zeit - wie sind im mittleren 19. Jahrhundert - an. Sein Buch ist ein Hybrid aus Abenteuerroman, Polit-Thriller, historischem Roman, Western und last not least Serialkiller-Roman. Bowman ist Sergeant bei der Ostindischen Kompanie, derjenigen Privatarmee, die die britischen Kolonialinteressen mit nackter Gewalt durchsetzte. Bei einem Geheimeinsatz, der einzig dem Profitstreben einiger Investoren dient, werden er und zehn Mann in Burma von einheimischen Kriegern gefangen und bestialisch gefoltert. Jahre später, der an Körper und Seele verwüstete Bowman tut Dienst als Wachschutz in den Londoner Docks, taucht eine Leiche auf, die dieselben Folterspuren am Körper trägt wie Bowman, der unter Verdacht gerät. Er macht sich an die Verfolgung des Täters, der inzwischen auch eine Blutspur durch die USA zieht. Und wird immer mehr mit sich selbst konfrontiert. Ein Roman von düsterer Wucht, mit einer nirgends auch nur ansatzweise sympathischen Hauptfigur, der aber die gemeinsamen Wurzeln all der genannten Narrative und damit deren Themen akzentuiert: Die Gewalt. Und insofern ein bitterer Kommentar zu unserer heutigen Zeit. Das Konzept des Romans ist wahrhaftig episch, düster und in teilweise grandiosen Tableaux erzählt, wenn auch total ungebrochen und komikfrei. Beeindruckend.

Die unglaublichen Verbrechen des Dr. Petiot

Leider damals (2006) durchgerutscht, aber dennoch dringend erwähnenswert und Pflichtlektüre eines der abgedreht-grausigsten Bücher ever: Die unglaublichen Verbrechen des Dr. Petiot. Chronik eines Serienmordes von Thomas Maeder (Semele). Dr. Petiot war ein Massenmörder, der im besetzten Frankreich der 1940er Jahre hunderte von Menschen mit dem Versprechen, er könne sie außer Landes schaffen, anlockte, ausraubte und tötete. Wie er dann die Polizei, die Besatzer und die Résistance gegeneinander ausspielte, war von diabolischer Genialität. Maeder seziert diesen Fall, weit über dem Niveau von True Crime as usual, und erzeugt dadurch ein horribles Unbehagen, indem er eine Menge Vektoren aufzeigt, die das Morden in gewissen historischen Konstellationen auch für Privatleute zur ganz normalen Einkommensquelle machen können. Maßstabsetzend für True Crime, Capote-Klasse.

Die Verbrannten

Um die Ausbeutung und Abschlachtung noch der ärmsten aller ärmsten Teufel dreht sich Antonio Ortuños Roman Die Verbrannten (Kunstmann). In einem Durchgangslager im Süden Mexikos werden Migranten aus Mittel- und Südamerika massenweise verbrannt, nachdem man sie vergewaltigt, um die allerletzte Habe gebracht und nach allen Regeln der Kunst gedemütigt hat. Die offizielle Politik reagiert mit Abwiegelung, Kriminalisierung der Opfer, mit Vertuschung und Propaganda, was deutlich zeigt, wie sehr die Interessen von Großdealern, Schleppern, Menschenhändlern und kleinen und großen Politikern verflochten sind. Mitten drin die Sozialarbeiterin La Negra, die versucht, diese Hölle ansatzweise transparent zu machen. Eine Momentaufnahme mexikanischer Verhältnisse, die alles andere als nur mexikanische Verhältnisse sind. Kühn und multiperspektivisch erzählt, einen grausamen Realismus mit surrealen Passagen erzielend, wütend und rasend. Ein Hammer-Buch, dessen Intention ästhetisch voll und ganz gedeckt ist und das deswegen nicht als Betroffenheits-Prosa diskreditiert werden kann. Das ist der state of the art politischer Kriminalromane.

Zum Schluss noch ein paar vergnügliche Causerien vom Großmeister dieses kriminalliterarischen Sub-Genres, Gisbert Haefs. Zwischenfälle (KBV) heißt eine neue Sammlung von Geschichten um den Universaldilettanten und Hobby-Detektiv Balthasar Matzbach. Die Texte stammen aus verschiedenen Jahrzehnten und verstreuten Quellen, darunter auch das unsterbliche Gedicht »Der Eremit im Pfälzer Welt» und bestechen durch abgedrehten Wortwitz, schräge Kalauer, Absonderlichkeiten, hin und wieder aufblitzenden politischen Furor, seltsame Figuren und bizarre Stories. Ganz wichtig allerdings: Don't try this at home!

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

(*) Eine deutsche Übersetzung soll unter dem Titel »Drogen. Die lange Geschichte eines Krieges« Ende November 2015 bei S. Fischer erscheinen.
(Anm. der Redaktion)

 

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