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Leichenberg 08/2016

 

Die himmlische Tafel

Man könnte Donald Ray Pollock mit einiger Berechtigung als Nachfolger von Jim Thompson bezeichnen. Pollocks neuer Roman Die himmlische Tafel (Liebeskind) erinnert wegen seines settings und wegen seiner einlässlichen und genüsslichen Thematisierung von Widerwärtigem, Ekelhaften und Schmutzigem an den Altmeister des Noir. Auch Pollocks Welt - die amerikanische Countryside im Jahr 1917 - ist bevölkert von brutalen, oft dummen, pathologischen, zutiefst ungebildeten, rassistischen und mörderischen Leuten. Viele sind bitterarm, der hygienische Standard ist mehr als beklagenswert, die Ernährung karg bis lebensgefährlich (krankes Schwein!), die Kleider oft nur Lumpen, der Sex extrem abstoßend. Ein tiefschwarzes, ein deprimierendes und auswegloses Szenario aus Blut, Körperflüssigkeiten und Exkrementen. Auch die Story ist alles andere als gutlaunig: Erzählt wird Aufstieg und Fall der "Jewett"-Bande, bestehend aus drei Brüdern, die nach dem Tod ihres veritabel irren Vaters beschließen, wenn sie schon nicht an die "himmlische Tafel" im Jenseits kommen, so doch wenigstens an die Fleischtöpfe des Hier und Jetzt. Und so beginnen sie höchst effektiv zu rauben und morden, was zumindest am Anfang ganz leicht zu funktionieren scheint... Ihr Weg kreuzt sich mit dem anderer wunderlicher und bizarrer Gestalten. Darunter ein todessehnsüchtiger, schwuler Leutnant, der vom heldenhaften Sterben in fast Jünger'schen "Stahlgewittern" schwärmt, ein sadistischer Serialkiller, ein Millionenerbe, der mit seiner Fokker aus der Luft Jagd auf die Banditen macht, einem buchstäblich in Scheiße wühlenden "Inspekteur für Städtische Sanitäranlagen" und ein schwarzer Gigolo mit einem Rasiermesser. Dazu jede Menge Kretins und Mordsgesindel, zu denen Pollock jeweils abwegige Hintergrundgeschichten liefert. Ein riesiges Figurenensemble also, das im Grunde genug Stoff für ein paar Dutzend weiterer Romane liefert. Und spätestens da enden die Parallelen zu Thompson: Pollock ist der bedeutend bessere Schriftsteller, der bei allem Mäandern die verschiedenen Fäden fest in der Hand hält. Und, noch wichtiger: »Die himmlische Tafel« ist ein großer, komischer Roman, eine Qualität, die Thompson völlig abging. Pollock inszeniert das Schlimme, Miese und Tragische seiner Geschichte als groteske, bizarre Komödie, gespickt mit wunderbaren Dialogen. Und ganz hoffnungslos ist die Angelegenheit dann doch nicht, denn mitten im Rott und Elend gibt es auch anständige Leute, wie das Farmer-Paar Fiddler, die zwar nicht die Hellsten in der Birne sind, aber das Herz am rechten Fleck haben. Zu zeigen, dass das auch im größten Dreck sein kann, macht unter anderem die Größe von Pollock aus. Ein Hammerroman!

Die Gejagten

Ganz anders dagegen die kühle, minimalistische Ästhetik von Lee Childs Jack-Reacher-Romanen. Die Gejagten (Blanvalet), der neueste auf Deutsch erschienene Band der Serie (inzwischen gibt es drei neue Original-Reachers) ist zwar ein wenig stagnativ, aber dennoch recht vergnüglich. Reacher wird aus verwickelten Gründen wieder bei der Militärpolizei eingezogen, um rechtlich für fiktive Verbrechen belangt zu werden, außerdem versucht man, ihm eine Tochter unterzuschieben. Deswegen muss er zusammen mit seiner neuen Liebe, Major Susan Turner, die auch in Schwierigkeiten steckt, den Apparat mit dessen eigenen Mitteln bekämpfen, was ihn letztendlich in eine viktorianisch-de-Quincy'sche Opiumhöhle führt. Auch wenn erstmal nichts auf einen derartig anachronistischen Scherz hinweist. Kartoffelchips-Lektüre zum Wegknabbern und Amüsieren.

Der stumme Zeuge

Zu irgendwas muss Olympia ja gut sein, und sei's als Fokus auf Romane aus Brasilien. Schmal und konzentriert, aber literarisch sehr geschmeidig erzählt Edney Silvestre in Der stumme Zeuge (Limes) die böse Geschichte vom Hausmeisterkind, das für den Sohn eines reichen, hochkriminellen Werbemenschen gehalten und an dessen statt entführt wird. Dass der Junge auch noch taubstumm ist, macht die Sache nicht besser. Wer will schon für einen Nobody zahlen? Silvestre seziert nicht nur die lateinamerikanische Entführungsökonomie, die kein hausgemachtes brasilianisches Problem ist - die Gangster hier kommen aus Chile und Argentinien und operieren auf dem gesamten Subkontinent -, sondern lotet auch die Sollbruchlinien von Anstand und Moral in einem systemisch brutalen gesellschaftlichen Umfeld aus, in dem Profit, Reichtum und Macht alle anderen sozialen Parameter endgültig außer Kraft zu setzen drohen. Kein sehr hoffnungsfrohes Buch, aber dennoch mit einem utopischen Moment.

Trügerisches Licht

Immerhin auf ein paar reformatorische Kräfte in Brasilien setzte Patrícia Melo in ihrem neuen Roman Trügerisches Licht (Tropen). Dafür steht Azucena Gobbi, Chefin der Spurensicherung der Zivilen Polizei von São Paulo, die sich mit der allgegenwärtigen Korruption, der Indolenz, den Todesschwadronen und der offenen Klassenjustiz ihres Landes nicht abfinden will, auch wenn es für sie lebensgefährlich wird. Als sich ein Telenovela-Star auf offener Bühne erschießt, fängt sie zu graben an und macht dabei ein paar Fässer mit sehr unappetitlichem Inhalt auf. Aus biographischen Gründen kennt sich Melo bestens in der hemmungslosen Trash-Medien-Szene ihrer Heimat aus und unterzieht sie ihrem gefürchteten satirisch-ätzenden Blick. Genauso böse geht sie mit den Hierarchien der Macht, dem Machismo (Gobbi hält sich einen Liebhaber, den sie den "Wegwerfpenis" nennt) und der ungeheuren sozialen Ungerechtigkeit des Landes um. An diesen Stellen schreibt sie gewohnt witzig, auf den Punkt und gnadenlos. Leider tappt sie in diesem Buch ein bisschen arg in die Whodunit-Falle und verwickelt sich, im Bemühen, die Verdächtigen, die die Pistole des Stars mit echten Patronen geladen haben könnten, durch zu deklinieren, in etwas zäh geratene Befragungen, Nebengeheimnissen und falsche Spuren. Deswegen schliddert »Trügerisches Licht« manchmal in die Nähe eines Häkelkrimis. Und den wollte Patrícia Melo eigentlich immer vermeiden. Leider ein schwächeres Buch der hochgeschätzten Autorin, aber das darf ja mal vorkommen.

Die Nacht von Rom

Wo »Suburra« aufhörte, fängt Die Nacht von Rom (Folio) an. Giancarlo de Cataldo und Carlo Bonini schreiben die chronique scandaleuse Roms als Profitmaschine für interessierte Kreise weiter und wirbeln dabei wie gehabt Staub auf. Ihre Recherchen zu "Suburra" wurden sogar als Beweismaterial in den Prozessen gegen den hartleibigen Verbund von Politik und Organisiertem Verbrechen zugelassen, bei denen zwar ein paar Schmutzfinken aus dem Verkehr gezogen wurden (wer sich für die Hintergründe interessiert, sei auf den einschlägigen Essay von De Cataldo/Bonini in dem von Tobias Gohlis und Thomas Wörtche herausgegebenen Band »Crime & Money«, Droemer 2016, hingewiesen). Strukturell hat sich jedoch nichts geändert und darum geht es in »Die Nacht von Rom«. Der Vatikan hat das "Heilige Jahr" ausgerufen, was neue, frisch Geld sprudelnde Finanzquellen auftut, an denen sich alle gütlich tun wollen. Auch die politischen Parteien, egal, ob "links" oder "rechts", beim Absahnen möchten sie alle dabei sein. Selbst wenn eine Seite die Muskeln spielen lässt und Rom im Müll erstickt. Die üblicherweise anfallenden Morde, die inszenierten xenophoben Lynchmobs, das Feintuning der verschiedenen Mafia-Gruppierungen untereinander, die Kollateralschäden - alles mit Blut und Elend verbunden - erscheinen dabei nur noch als business as usual, wenn es um wirklich fette Beute geht. De Cataldo/Bonini schreiben präzise maliziös, die Figuren sind sehr erkennbar verschlüsselt und werden angriffslustig auseinander genommen. Die beiden Autoren ziehen keinen Millimeter zurück, sie halten voll drauf und gehen dahin, wo es einer Gesellschaft weh tut. Nicht nur beim Beispiel Rom.

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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