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Leichenberg 09/2016

 

Des Einen Freud

Es ist heiß in Perth, Western Australia. Idyllisch am Indischen Ozean gelegen, sind die Stadt und das ganze riesige Territorium ein El Dorado des Organisierten Verbrechens, ein "schmieriges kleines Reich von Räuberbaronen." Diese Feststellung trifft Sergeant Cato Kwong von der dortigen Polizei, der hier in der ihm gewidmeten Serie von Alan Carter seinen zweiten Auftritt hat: Des Einen Freud (Nautilus). Das geht natürlich nur, wenn auch die Polizei Teil des Problems ist. Und so hat es Kwong nicht nur mit der Hitze und unerfreulichen Seewespen und anderem Getier zu tun, sondern auch mit einem Bandenkrieg, einem üblen Serienmörder, einem netten kongolesischen Profikiller namens Dieudonné und vor allem mit Kollegen und Kolleginnen, von denen man grundsätzlich nie weiß, ob sie korrupt sind, wen sie decken, welche eigenen trüben Süppchen sie kochen, wer wen erpresst und wer mit wem nicht nur metaphorisch im Bett liegt. Die Polizeiführung und die Politik sind machiavellistische Weltmeister im Unter-den-Teppich-Kehren, Kategorien wie Legalität und Wahrheit sind Lachnummern. Polizeieinsätze geraten zur Farce oder gleich zur Katastrophe und besonders Cato bekommt es in diesem Buch voll ab: Man sticht ihm in den Bauch, er wird verprügelt, mit einer Nagelpistole bedroht und von missgünstigen Nachbarn angezeigt. Pleiten, Inkompetenz, Sabotage und permanentes Lügen durchziehen als blutrote Fäden das Buch. Bis auf leicht überplottete Elemente ist Carters Buch eine großartige, grimmige Cop Novel, die sich ziemlich radikal und mit böser Komik der moralischen Korrosion einer hemmungslos gierigen Gesellschaft annimmt, die mit schöner Rhetorik jede Abscheulichkeit als systemische Notwendigkeit, als alternativlos tüncht, und wenn noch so viele Menschen dabei vor die Hunde gehen. The world in a nutshell.

Zwei Sekunden

Um genau zwei Sekunden verfehlt eine Bombe die gepanzerte Limousine, in der die deutsche Kanzlerin und der russische Präsident auf Staatsbesuch vom Flughafen Tegel in die Berliner Innenstadt fahren. Stattdessen erwischt sie ein Auto, in dem ein unauffälliger "Assistent" der Kanzlerin und Sicherheitsleute sitzen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren perfekt, lückenlos und hoch professionell, ein Anschlag galt als theoretisch unmöglich. Was nur den Schluss zulässt, dass die Attentäter noch perfekter, noch professioneller waren. Aber warum haben sie dann den falschen Wagen erwischt? Und warum beginnt das große Töten dann erst so richtig? In Christian von Ditfurths Polit-Thriller Zwei Sekunden (carl's books) müssen seine Serien-Hauptfigur, Kriminalhauptkommissar Eugen de Bodt vom Berliner LKA, und dessen Leute auf Wunsch der Kanzlerin eine Art Paralleluntersuchung zu den üblichen Routinen aller zuständigen Dienststellen starten. Und auch die Russen von Putins Leibwache werden offiziell und inoffiziell auf deutschem Boden tätig, denn Putin ist ein klein wenig beleidigt, wenn der Anschlag nicht ihm gegolten hat. De Bodt und sein russischer Kollege kommen bald auf sehr unterschiedlichen Wegen zu dem Schluss, dass die Attentäter vielleicht doch nicht gepfuscht haben. Und die Attentäter erkennen, dass sie in de Bodt einen sehr ernstzunehmenden Widersacher haben. Das Katz und Maus Spiel beginnt. Zwei Sekunden ist ein sehr erfreulicher Polit-Thriller, nicht nur weil er schön actionhaltig, robust und schnell tickt, sondern weil er feine Ideen hat (eine wunderbare Drohnen Attacke, zum Beispiel), jede Menge fieses Denken feiert, auf die übliche Schurken verzichtet und zudem sich auf das plausibel Machbare beschränkt. Naja, bis auf de Boldt, der schon ein kleiner Super-Held ist und superschlau zudem. Aber das darf er auch sein, zumal der sarkastische Witz des Romans pathetische Überhöhung der Figuren und der Geschehnisse verhindert.

Gedankenjäger

Schon fast lustig im guten Sinne ist Iain Levisons Gedankenjäger (Deuticke). Eine winzige, geheime US-Behörde von beklagenswertem moralischem Standard manipuliert Individuen, die daraufhin die Gedanken der sie umgebenden Menschen lesen können. Allerdings werden diese Individuen ab einem gewissen Zeitpunkt wunderlich und müssen, wenn sie ihre Spionageaufträge erledigt haben, "zum Abendessen eingeladen" werden, was der Euphemismus für finale Entsorgung ist. Und weil ein schon zum Tode verurteilter Gedankenleser sich dessen entzieht und flieht, wird ein ebenfalls gedankenlesender Cop auf ihn angesetzt. Dieser Cop kapiert bald, dass auch er danach eine dieser netten Einladungen bekommen wird. Die charmante Killerin, die dafür zuständig ist, kann zwar keine Gedanken lesen, aber ihre eigenen Gedanken wiederum sind nicht lesbar. Bald türmen sich die Leichen, denn Cop und Beute tun sich zusammen und die Jagd wird zum Roadmovie. Lustig ist der Roman, weil Levinson, der schon immer für außergewöhnliche Bücher (zuletzt "Hoffnung ist Gift") gut war und deswegen sträflich unterschätzt ist, hier offen über die Erzählkonvention "Thriller" spottet. Denn diese Konvention funktioniert auch prächtig, wenn sie keine seriösen Themen verhandelt, sondern genauso gut, wenn sie ein völlig bescheuertes Handlungselement wie selbstverständlich der "Realität" hinzufügt bekommt. Außer natürlich, man will böse Geheimdienstexperimente wie "Gedankenlesen" als schwer symbolische Warnung vor dem verstehen, was finstere Mächte Menschen antun. Aber vermutlich würde Levinson es sehr komisch finden, wenn man sein rasantes, kleines l'art pour l'art-Stückchen als Alu-Hut-Prosa lesen wollte.

Fight Girl

Auch Fight Girl von Erika Krouse (Blumenbar) bedient nicht unbedingt die Vorstellungen, die der Titel assoziiert. Auf jeden Fall keine Vorstellungen die in Richtung Modesty Blaise oder Kill Bill gehen. Zwar verdient sich die Heldin Nina Black ihren Lebensunterhalt als Straßenräuberin und Diebin, die sich ihre Opfer - testesteronsatte Männchen - sorgfältig aussucht und sie zusammenschlägt, aber im Grunde lebt sie sozial isoliert im Unglück. Das ändert sich, als sie plötzlich auf einen überlegenen, wenn auch widerwärtigen Gegner stößt und zudem in Person ihrer verwaisten Nichte die Verantwortung für ein anderes Leben bekommt. Niederlage und ihr unbekannte Gefühle zwingen sie dazu, sich neu zu erfinden. Fight Girl ist Krouses Romandebut, vorher hatte sie mit Kurzgeschichten Furore gemacht, deswegen ist ihre von Teja Schwaner gut rübergebrachte Prosa besonders bemerkenswert - direkt, rau, mit Witz und Lakonie kommentiert sie die fatalen Verwerfungen der binnenamerikanischen Verhältnisse - das Buch spielt im Unterschichten-Milieu von Denver, Colorado -, die die Lebensumstände der Menschen anscheinend festgeschrieben haben. Dass man sich dem nicht ergeben muss, ist der utopische Moment eines Buches, das so gesehen mit Noir etc. gar nichts zu tun hat. Es lohnt sich, Erika Krouse auf dem Schirm zu behalten.

Wie wir heute sterben

Mit Wie wir heute sterben schließt der Alexander Verlag seinen Re-Launch des Hoke-Moseley-Quartetts von Charles Willeford ab. Plot-Konventionen spielen auch hier, wie in allen Romanen um den eigenwilligen, um nicht zu sagen skurrilen Moseley vom Miami PD keine große Rolle, sie sind erzähltechnischer free style. Atemberaubend lakonisch und cool, wie Moseley im Mittelteil undercover und illegal auf einen modernen Sklavenhalter in den Everglades angesetzt wird und das Problem ohne mit der Wimper zu zucken und ohne schlechte Träume danach erledigt oder mit einem von ihm einst in den Knast gebrachten Mörder umgeht, der nach seiner Haftentlassung ins Haus gegenüber zieht und sich an Moseleys seltsame Kleinfamilie heranmacht. Und gnadenlos sein Blick auf die Ökonomie, die das menschliche Dasein bis ins Detail bestimmt. Diese genialen vier Romane aus den 1980er Jahren haben einen gewaltigen Anteil daran, dass man "Krimi" oder Kriminalliteratur niemals nie und nimmer als "Format"-Literatur mit Regeln und Algorithmen betrachten kann.

Und dann ist da noch ein wunderbares Bilderbuch: Born des Bösen vom Großmeister der Schabkarton-Technik, Hannes Binder (Limmat). Ein ironisches, tiefschwarzes, anspielungs- und zitatenreiches Pandämonium der "Monster, Miezen und Mutanten", so der Untertitel eines DU-Heftes, in dem der Comic zuerst erschienen war, von "Batman", "Necron", "Sin City" und "Dylan Dog" bis zu "Spawn" mit Ausflügen zu Théodore Géricaults "Floß der Medusa". Alle verwandelt in Binders eigene Bildwelten, erkennbar und dennoch absolut eigenständig und ästhetisch überwältigend. Anschauen und staunen!

 

© Thomas Wörtche, 2016

 

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