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Leichenberg 10/2000

 

In die Kategorie der Klassiker mit langem Haltbarkeitsdatum gehören bekanntlich die Romane von Jean-Patrick Manchette. Jetzt kündigt der kleine Distel Verlag endlich wieder Neuausgaben an. Mit Volles Leichenhaus aus dem Jahr 1973 startet diese erfreuliche Retrospektive, die den eher parodistisch überzeichnenden und mit leichter Hand spottenden Manchette zeigt als den grimmigen der "Nada"-Periode. Eugène Tarpon, der heruntergekommene und versoffene Ex-Gendarm und Privatdetektiv, war Manchettes Figur für seine skeptischen, melancholischen Romane, die im direkten Zusammenhang des Post- 68er-Katzenjammers standen. Tarpon, der aus politischen Gründen bei der Polizei ausgestiegen ist, möchte zurück aufs Land und stolpert statt dessen in eine blutige Familiengeschichte, die auch eine giftige Umkehr von Chandlers "Kleiner Schwester" ist. Die Neuübersetzung bringt Manchettes Erzählton, seine kleinen Anspielungen und Bosheiten der Zeit sehr schön frisch und lebendig rüber. Dass das Buch schon 27 Jahre alt ist, merkt man nur an den Details.

Schon seit 1952, also volle 48 Jahre, ist Evan Hunter alias Ed McBain im Geschäft. Neuauflagen seiner klassischen Romane um das 87. Polizeirevier der fiktiven Metropole Isola wären zwar auch sinnvoll, aber nicht vordringlich. Denn McBain schreibt und schreibt und schreibt. Er ist neben Simenon vermutlich der produktivste Autor und hat zwar stärkere und schwächere, aber kaum wirklich schlechte Bücher geschrieben. Big Bad City (Europa Verlag) gehört deutlich ins vordere Mittelfeld. Steve Carella und seine Kollegen haben es diesmal mit einer ermordeten Nonne zu tun, die verblüffenderweise Brustimplantate hat, mit einem Einbrecher, der gerne Schokoladenplätzchen backt, aber plötzlich in eine arg blutige Klemme gerät, und mit einem Typen, der sich sozusagen präventiv an Carella rächen will. Entscheidend wie immer bei McBain ist auch hier der Chronik-Charakter. Die Romane spielen im Hier und Jetzt und kommentieren es ohne den Sicherheitsabstand des Historischen. Realitäten kommen roh und direkt aufs Tapet.

Ein eher schwieriges, aber sehr gutes Buch kommt von dem notorisch unterschätzen Richard Price ("Clockers") - Das Gesicht der Wahrheit. (Goldmann) Der weisse Schrifsteller Price bringt es fertig, die Dunkelheit, die Enge, die Gewalt und die ganze rassistische Verfahrenheit eines schwarzen Ghettos in beklemmende Prosa zu übersetzen. Die traurige Geschichte von der weissen Frau, die behauptet, ihr Sohn sei von einem Schwarzen entführt worden, und mit dieser Lüge viel mehr Unheil anrichtet, als der schwarze Cop Lorenzo Council wieder wegräumen kann, ist ein grosser, buchstäblich atemberaubender Erzählwurf.

Auch Kolumbien wird als Schauplatz immer interessanter. Nach Santiago Gamboa jetzt also Fernando Vallejos Die Madonna der Mörder (Zsolnay) der in krasser Inkongruenz dieses gewaltgeschüttelte Land zu schildern versucht. Ein alternder Roué zieht mit seinem Lustknaben, der ein minderjähriger Auftragsmörder ist, blutspritzend und metzelnd durch Medellín. Dem real-banalen Elend der Gewalt setzt Vallejo mit erlesenen, feinsinnigen Gedanken und köstlichen Reflexionen zu. Ob man für diese Methode gleich Genet oder Céline im Klappentext aufrufen muss, weiss ich nicht genau - gewiss aber macht das Buch frösteln. Ob als Methode oder als Resultat, bemerkenswert ist es auf jeden Fall. Und in gewisser Weise abstossend.

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

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