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Leichenberg 12/2002

 

Irgendwas entkommt immer. Das Monster Dr. Frankenstein, der irre Killer dem psychatrischen Krankenhaus oder ein Klumpen Partikel dem Geheim-Labor. Dann richtet es viel Unheil an und wird, eine Sekunde, bevor der Planet verloren ist, vernichtet. So geht es halt zu, in der schlichten, kuscheligen Welt des Horror-Romans oder HighTech-Thrillers oder wie man auch immer Romane mit was Entweichendem drin nennen mag. Bei Michael Crichtons neuestem Designer-Produkt Beute - Prey (Blessing) belagert ein bösartiger Schwarm entwichener Nanopartikel wie einst im Western die Indianer ein Wissenschaftsfort in Nevada und killt alles, was ihm in die Optik gerät. Weil die garstigen, klitzekleinen Racker, obschon ganz schön fies und gemein, doch auch putzige Viechlein sind, wollen sie immer wieder zurück zu Mama. Die aber ist die Gattin des Helden, der dem ganzen mörderischen Resultat menschlicher Hybris (wow!) ein Ende macht. Und also auch der Frau Gemahlin. Das ist natürlich traurig. Ein richtig netter, albener Ex-und-Hopp-Roman, aus dem sicher bald ein netter, alberner Ex-und-Hopp-Film wird. Ist schon okay. Wunderlich ist aber die grosse Geste, mit der solch schnurrige Büchlein medial als warnende Zeigefinger vor Technologie, Fortschritt, Wissenschaft und allem Übel dieser Welt gehandelt werden.

Im sehr positiven Sinn verwunderlich ist die epische Kraft von Jacques Tardis neuem Projekt: Die Kanonen des 18. März (Edition Moderne) heisst der erste Teil (von dreien) seiner Comic-Barbeitung von Jean Vautrins grossem Roman »Le Cri Du Peuple«. Vautrin hat auch das Comic-Szenario für Tardi geliefert; das gemeinsame Werk heisst als Trilogie »Die Macht des Volkes«. Eine komplexe Kriminalhandlung über Rache und Mord inmitten der Pariser Commune 1871 (jüngere Menschen: bitte im Geschichtsbuch nachlesen!) und ihrer diversen grossmassstäblichen Gräuel. Tardis schwarz-weisse Panels wimmeln nicht nur so von historischen und kunsthistorischen Anspielungen, sie rekonstruieren mit virtuoser Penibilität den Geist jener Tage - stets zwischen Nahaufnahmen und grossen Panoramen hin und her pendelnd. Das ist verwirrend, spannend, unterhaltend und ästhetisch beinahe erschlagend gut. Angeblich haben ja solche komplexen Konzepte von Comic keinen Markt mehr. Allein die Vorstellung, dass dies so sein könnte, ist ungeheuer öde.

Und noch eine Überraschung: Outback von Manuela Martini (Bastei-Lübbe); ein Roman, dessen Vorzeichen nicht ungünstiger sein könnten. Eine deutsche Autorin, die sich an einer angelsächsischen Cop-Novel mit Serial-Killer versucht, der in Australien, inclusive Kängurus und Aborigines, spielt. Aber bis auf ein paar Stolprigkeiten, die man hätte ausbügeln müssen, ist Martini, die in Australien gelebt hat (und manchmal noch lebt) ein komplexer, manchmal tragischer und immer spannender Roman gelungen. Sie kann Figuren zeichnen, Atmosphäre machen, weiss mit Geschichten etwas anzufangen, kennt die Klischees und die Klischeefallen des Genres. Trotz aller Bedenken gegenüber deutschen Kopien ausländischer Erfolgsrezepte: Dieses Buch funktioniert, die Autorin wollen wir uns merken.

Napule heisst der neue Tschonnie-Tschenett-Roman von Kurt Lanthaler (Haymon). Sein leichter Erzählton, der auf genial verschrobene Weise Hesiod und Berlusconi zusammenbringt, kann genauso wenig wie das opulente Schwelgen in Kulinaria Lanthalers politische Klarsicht und Angriffslust verdecken. Wenn diese Art heiter-komplexer Prosa so etwas wie eine neue deutschsprachige Krimi-Kultur entfachen könnte ... ach, das wäre schön.

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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