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Leichenberg 01/2003

 

Nichts gegen Neuausgaben. Es sind genügend wichtige Bücher vom Markt verschwunden - und zumindest der Kernbestand des Genres sollte in unserer Alzheimer-Kultur bewahrt werden. Zu einem solchen Kernbestand gehört ohne Zweifel Didier Daeninckx' Meurtres pour mémoire aus dem Jahr 1977 resp. 1984: Der Kriminalroman als politisches Angriffsinstrument gegen Geschichtsklitterung, hier gegen das kollektive Schweigen in Frankreich über das Massaker am 17. Oktober 1961, als hunderte Demonstranten gegen den Algerienkrieg einfach umgebracht wurden. Bei Erinnerung Mord heisst jetzt die deutsche Fassung, die bei Distel erschienen ist. Wir erinnern uns aber auch, dass dieser vorzügliche Roman durchaus schon auf Deutsch zu lesen war. Nämlich unter dem Titel Karteileichen. Erschienen Ende der 80er bei Rotbuch. Das steht nirgends in der Distel-Ausgabe. Ausgerechnet bei dem Thema!

Ebenfalls nichts gegen Wiederbelebungen. Viele wichtige Autoren sind irgendwann und irgendwie »dem Markt« zum Opfer gefallen. Zum Beispiel der immer sträflich unterschätzte Bill Pronzini, dem stets der Ruch des leicht Epigonalen anhing. Dabei ist er ein glänzender Handwerker der Spannung, der völlig ohne Ambitionitis auskommt. Jetzt ist er wieder da. Mit SchattenNächte (Fischer Tb), ein perfekt auf Pointe geschriebenes Buch über etwas, das wie ein berechtigter Rachefeldzugs eines armen Schweins gegen seinen reichen Peiniger aussieht. Anklänge an The Executioners (resp. Cape Fear) von John D. MacDonald sind nicht zu verleugnen, aber der Twist, den Pronzini dem Buch in den letzten Zeilen gibt, ist eine Klasse für sich.

Technisch grosse Klasse ist bekanntlich auch Jeffery Deaver. Unter dem Pseudonym William Jefferies (das offenbar nicht mal sein Verlag, Blanvalet, bewahren will - auf dem Umschlag prangt: »Jeffery Deaver schreibt als William Jefferies«) hat er, fertil wie er ist, noch eine neue Serie gestartet. Hauptfigur von Feuerzeit ist der Dokumentarfilmer mit anrüchiger Vergangenheit John Pellam, der sich hier mit einem irren Brandstifter in Hell`s Kitchen rumschlagen muss. Das ist teilweise brillant gemacht, atemberaubend und überraschend. Und teilweise unplausibel (die dickliche und frustrierte Sozialarbeiterin als master mind) und grössenwahnsinnig (unterm Abfackeln von halb Manhattan tut es Deaver nicht), und vor allem von einem etwas penetranten historischen Sendungsbewusstsein: Deaver tut so, als ob er die Geschichte von Hell`s Kitchen gepachtet hätte, so als habe es die grossartigen Romane von Thomas Adcock nie gegeben, die eben dort spielen, weil Adcock eben dort wohnt und sich wirklich dort auskennt, während Deaver nur viel darüber gelesen hat. Diesen Unterschied merkt man bei jedem Satz.

Ebenfalls technisch up-to-date ist Chris Rogers. Schneesturm heisst ihr erster Roman über die Kopfgeldjägerin Dixie Flannigan (Scherz). Gute Figuren, guter Plot (Mutti killt eigene Kinderchen, weil eifersüchtig), aber umrahmt von schauderhaft eindimensionalen Menschen. Böse ist böse, gut ist gut. Ach ja, »der Markt« wird´s danken!

Nicht danken wird`s vermutlich der deutsche Markt dem gemeinsten, scharzhumorigsten und intelligentesten Autor, den das UK seit langem hervorgebracht hat: Bill James. Tote schreien nicht (Rotbuch), ein neuer Band der Harpur-&-Iles-Serie, verlangt nach dem kompetenten Leser, der an diesen beiden megazynischen Polizisten seine helle Freude haben wird. Das ist verlegerisch bemerkenswert tapfer in Zeiten des kriminalliterarischen Biedersinns.

 

© Thomas Wörtche, 2003

 

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