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Leichenberg 12/2015

 

Die Unantastbaren

Cops haben ihre Dämonen, "Menschen, die während ihrer Zuständigkeit schamlose Verbrechen begangen hatten und ungeschoren davongekommen waren, weil man ihnen offiziell nichts nachweisen konnte". Diese Leute sind Die Unantastbaren, wie der deutsche Titel des neuen Romans von Richard Price (S. Fischer) lautet. Als allmählich das große Sterben und Verschwinden unter solchen Unantastbaren beginnt, für die allesamt eine Freundesclique von Cops und Ex-Cops des NYPD zuständig waren, stellt sich zumindest für Billy Graves, die Hauptfigur des Romans, die Frage, wie man mit einer solchen Problematik umgehen soll, kann und darf. Graves ist noch im Dienst, seine Familie wird von einem gefährlichen Stalker bedroht, deswegen ist er von der Solidarität seiner Freunde abhängig. Das verstärkt sein Dilemma noch. Soll er seine Freunde gegen jeden Korpsgeist und jedes Gerechtigkeitsempfinden der Staatsanwaltschaft ausliefern oder sind Freundschaft und Loyalität höherwertig, zumal die Unantastbaren allesamt ekelhafte, böse und widerwärtige Leute waren, die viel Leid und Unheil über unschuldige Menschen gebracht haben? Price, gefeierter Drehbuchautor u.a. für Martin Scorsese und maßgeblich an »The Wire« beteiligt, ist als Romancier (u.a. »Clockers«) für hochauflösende Prosa bekannt, mit der er auch hier einen atemberaubend guten, klassischen Cop-Thriller um ein ernsthaftes moralisches Problem erzählt. Zudem ist der Roman ein großartiges Porträt von New York City, aus der Perspektive der Nachtschicht, wenn der Irrsinn und die Gewalttätigkeit der Stadt im Dunkeln und im Kunstlicht noch deutlicher zu spüren sind. Die Komplexität der Handlung und der verschiedenen Subplots inszeniert Price mit brillanten Dialogen und in unzähligen, oft bizarren und komischen Vignetten und präzise beschreibenden Passagen. Der Erzählton ist lakonisch bis sarkastisch, die Pointen auf den Punkt gesetzt. Großstadtliteratur vom Feinsten, ein gewichtiger großer Roman.

Cop Town - Stadt der Angst

Eine Art Gegenstück ist Cop Town - Stadt der Angst von Karin Slaughter (Blanvalet). Die ansonsten nicht für besonders auffällige, wenn auch sehr erfolgreiche Metzel- und Schnitzelstandardware bekannte Slaughter wagt sich auf neues Terrain: »Cop Town« ist ein historischer Polizeiroman, angesiedelt im Jahr 1974 in Atlanta, also deep south. Dort geht ein Cop-Killer um, der Außenseiter innerhalb der Truppe exekutiert. Und Außenseiter ist man schnell in einer rassistischen, xenophoben, antisemitischen, homophoben, frauenfeindlichen und latent faschistoiden Gesellschaft. Dazu gendert Slaughter das alte Buddy-Motiv um - Hauptfiguren sind zwei weibliche Cops, die man per se im Korps nicht haben will. Eine etwas erfahrenere Frau aus einer Cop-Familie und eine Anfängerin aus "besseren" Kreisen, deren erste Tage der Roman beschreibt. Der soziale und politische Zeitgeist ist korrekt rekonstruiert - die Klassen- und Rassengesellschaft des Südens, die Soziologie der unterschiedlichen Stadtviertel, die alten patriarchalischen Strukturen, die sich umso mehr verhärten je mehr sie sich von den modern times (ein schwarzer Polizeichef, die Popkultur mit allen ihren politischen Implikationen) bedroht fühlen. Das alles ist lobenswert und ein paar großartige Streetscenes, der Cop-Talk und groteske, gewaltsatte Episoden aus dem Polizeialltag (Wambaughs cop novels lassen überdeutlich grüßen, allerdings von einem ganz anderen Niveau herab) sind auch ganz okay gelungen. Aber eine bessere Schriftstellerin wird Karin Slaughter deswegen nicht. Ihre ungelenke Dramaturgie tut schon fast weh, alles wird klitzeklein erklärt, die Redundanzen häufen sich. Viele Dialoge sind überflüssig wie ein Kropf, die Zeitstruktur wackelt, die Handlungslogik hat riesige Löcher und die Szenen aus der "guten" Familie der Anfängerin (im Gegensatz zu der "bösen" Familie der anderen Polizistin) zeigen, dass Slaughter in der Tat eine Trivialautorin ist. Ein Buch also, das man gern gemocht hätte, das aber nur mal wieder beweist, dass gut gemeint das Gegenteil von gut ist.

Exodus aus Libyen

Wie man schnell, schlank und präzise erzählt, ohne deswegen auf Komplexität zu verzichten, zeigt der lange auf dem deutschen Mark vermisste Tito Topin. Exodus aus Libyen (DistelLiteraturVerlag) spielt im Wahnsinn des Bürgerkrieges, als Gaddafi - der hier fast nur Pourriture (die Verderbtheit) genannt wird, zwar noch pro forma an der Macht, das Land aber schon längst das reine Chaos ist. Eine zusammengewürfelte Gruppe von acht Menschen versucht, aus Bengasi zu entkommen und gerät zwischen die unüberschaubaren Fronten. Diese acht Menschen sind sich untereinander nicht unbedingt grün. Nicht alle sind moralisch reinlich, manche geben sich immerhin Mühe. Selbst die lebensbedrohlichsten Situationen dämpfen weder Rassismus, Zynismus oder reine Gier, weder Betrug noch Verrat. Und nirgends ist ein gnädiger Gott in Sicht. Action und viel Atmosphäre werden bei Topin schon fast zu einer Parabel aus dem Geiste Albert Camus'. Ein wunderbarer kleiner Roman.

Leaving Berlin

Ganz klassischer Erzählmuster bedient sich Joseph Kanon. Sein neuer Roman Leaving Berlin (C. Bertelsmann) beschäftigt sich einmal mehr mit seinem großen Thema, den Jahren der Frühzeit des Kalten Krieges. 1949, während der sowjetischen Blockade Berlins und während der Luftbrücke, deren Flugzeugmotorengedröhn den Soundtrack des Romans bildet, schickt die CIA den ehemals aus Deutschland geflüchteten Schriftsteller in die SBZ, um dort den von der sowjetischen Militärverwaltung initiierten "Kulturbund" zu infiltrieren. So beginnt ein ausgefuchstes Spiel von Intrige- und Gegenintrige, mit Maulwurf, Idealisten, Mördern und Opportunisten. Unser Schriftsteller bringt eher versehentlich einen hohen Geheimdienst der Russen um und stößt auf die Sklavenarbeit mittels deren die Uranvorkommen im Erzgebirge ausgebeutet werden. Seine Position als Spion ist extrem gefährdet, die sich noch im Aufbau befindliche Stasi (noch heißt sie K-5) interessiert sich für ihn, der NKWD sowieso. Und die CIA ist nicht hilfreich. Also - leaving Berlin. Spannend ist der Roman, weil er das Repertoire des Polit-Thrillers traumwandlerisch gut spielt, aber auch weil Kanon sich in der Zeit wirklich auskennt. Deswegen sind Figuren wie Bert Brecht, Walter Janka, Helene Weigel oder Ruth Berlau (uva.) in dem Roman nicht nur Kulisse. Abstrakte Geschichte bekommt durch das Schicksal von Menschen, die nun mal so denken, wie man damals vermutlich gedacht hat, eine andere, differenzierte Dimension.

Apropos Bert Brecht. In dem vom Literaturforum im Brecht-Haus herausgegebenen Band Über Brechts Romane (Verbrecher Verlag) gibt es u.a. einen sehr interessanten Aufsatz von Sophia Ebert: Aktienrecht mit Brecht. Zur Zusammenarbeit von Brecht und Benjamin an einem Kriminalroman. »Tatsachenreihe« sollte das Projekt der beiden Schwergewichte aus dem Jahr 1933 heißen, das allerdings nie realisiert wurde. Vermutlich stand die Idee im Vordergrund, für Walter Benjamin eine willkommene Geldquelle zu verschaffen. Dennoch ist es spannend zu sehen, wie die beiden Herren das kommunikative Potential von Kriminalliteratur einschätzten und darüber nachdachten, wie man es für progressive Ideen nutzen könnte. Sie denken über "serielles" Schreiben nach, darüber wie man den Autor sozusagen in einem interaktiven Prozeß "auflösen" könnte. Aber vor allem darüber, wie man die "richtigen" Inhalte unterhaltsam unters Volk bringen kann, um dort kritische Erkenntnisprozesse auszulösen. Also das zu tun, was zwar Dashiell Hammett, den beide wohl nicht kannten, schon 1929 gemacht hatte, und was die Kriminalliteratur en general immer mal wieder versucht. Und auch der Pferdefuß einer solchen Konzeption (gilt nicht für Hammett, aber für viele spätere Versuche) wird bei dieser Diskussion deutlich: Das Primat der Didaxe und damit die Gefahr der Ideologisierung. Egal, viel wichtiger ist, dass Sophia Ebert diese Diskussion aufbereitet und damit für weitere Diskurse gesichert hat. Ein wichtiges Stückchen Literaturgeschichte.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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