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Leichenberg 11/2015

 

Tigermann

Es hat sich ein bisschen eingebürgert, "Country Noir" als rein amerikanische Angelegenheit zu verstehen. Was sicherlich zu kurzsichtig wäre, haben doch u.a. Jean-Patrick Manchette oder Pierre Magnan mit ein paar sehr gewichtigen Romanen über die finstere countryside Maßstäbe für dieses Subgenre gesetzt. Definitiv nicht erwartet man einen lupenreinen country noir aus Java. Aber voilà - das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse, Indonesien, hat einen zu bieten: Tigermann von Eka Kurniawan (Ostasien Verlag). In einer Kleinstadt auf Java beißt ein junger Mann anscheinend grundlos einen nicht so netten Mitbürger tot. Er reißt ihm mit den Zähnen die Kehle heraus, zerfetzt ihm Adern und Röhren und behauptet dann, in ihm hause ein Tiger. Auch wenn Kurniawan ein von Comics und Horror-Stories beeinflusster Autor ist, haben wir es hier nicht mit einem Wer-Tiger-Roman zu tun, sondern mit einer Geschichte, die auf ästhetisch elegante und raffinierte Weise das Leben in einer Militärdiktatur symbolisch in einer Kriminalgeschichte vom Lande reflektiert. Das ist einerseits fremd und faszinierend, weil Rationalität hier kulturbedingt ein magisches Element hat, andererseits, weil das Buch direkt von Gewalt und Verbrechen handelt, ein erfreulich robuster und expliziter roman noir. Extrem empfehlenswert.

Der Tag der Lerche

Etwas ungewöhnlich ist auch die Inspector-Carmichael-Trilogie von Jo Walton, deren zweiter Band Der Tag der Lerche (Golkonda) gerade erschienen ist. Wir erinnern uns: Großbritannien hat nach Dünkirchen mit Nazi-Deutschland Frieden und Freundschaft geschlossen, die Gesellschaft und die offizielle Politik gleichen sich immer mehr der deutschen Politik an, Antisemitismus wird immer gesellschaftsfähiger. Im ersten Teil der Trilogie, Die Stunde der Rotkehlchen, hatte Inspector Carmichael, der, weil schwul, von den Mächtigen manipulier- und erpressbar, den aktuelle Premierminister von einem Mord reinwaschen müssen. Jetzt, im Jahr 1949, kommen Hitler und Himmler zum Staatsbesuch, und eine seltsame Koalition aus britischen Traditionalisten, Kommunisten und der IRA wollen bei einer Hamlet-Aufführung diese ganze unappetitliche Bande in ihrer Theaterloge in die Luft sprengen. Die grausige Ironie dabei ist, dass ausgerechnet der tragische Inspector Carmichael am Ende einen entsetzlichen Karriereschritt akzeptieren muss. Waltons What-If-Romane sind gemein gute und scharfsinnige Extrapolationen sowohl historisch realer Trends als auch heutiger Strömungen in angeblich demokratisch gefestigten Gesellschaften. Sehr unbehaglich. Unbehaglich leider auch, dass das Lektorat zumindest die deutschen Leser nicht von den kontextuellen Irrtümern des Originals befreit: Himmler war nicht "Reichsmarschall" (das war Göring) und bei der SS hieß gab es keinen Oberst, sondern höchstens einen Standartenführer..., klar, unwichtige Details, aber so'n bisschen Geschichtsbewusstsein...

Billy

Ein rätselhafter kleiner Roman ist Billy (Insel) von dem nur unter diesem Pseudonym bekannten Autor einzlkind. Zunächst ein Profi-Killer-Roman in der Tradition von Luis Sepúlveda (»Tagebuch eines sentimentalen Killers«), Patrícia Melo (»O Matador«) oder Jerome Charyn (»Paradise Man«) und anderer einschlägiger Narrative. Plus ein bisschen Traktat über Nietzsche plus ein paar hübsche popkulturelle Ausflüge bis hin zum »Tag, als Conny Kramer« starb. Die Apotheose eines schottischen Killers in Las Vegas, erratisch, aber vergnüglich und, was den Beruf der Hauptfigur angeht, völlig unspektakulär. Und damit ein Zeitkommentar.

Neue Hoffnung für die Toten

Völlig unspektakulär ist auch Hoke Moseley, der Detective Sergeant aus Charles Willefords gleichnamiger Tetralogie, deren zweiter Band Neue Hoffnung für die Toten im Zuge des Relaunchs der vier Romane um den bieder-bösartigen, herzensguten, hinterfotzig gemeinen, ein wenig rassistischen, ein wenig sexistischen, ein wenig xenophoben Cop aus Miami gerade im Alexander Verlag erschienen ist. Wenn der Unfug der angeblich von Leser und Buchhandel gewünschten Untertitelung als »Der zweite Hoke Moseley-Fall« (auf jedem Kriminalroman soll ja »ein Fall für...« draufstehen, als Orientierung zum damit als unmündig disqualifizierten Leser) je evident war, dann hier: Denn um den einen Fall geht es in diesem bizarr-komischen Roman (über die Entstehungsgeschichte informiert ein Nachwort von Jochen Stremmel) explizit nicht, sondern um eine Kette von Verbrechen, von Manipulation, von institutionalisierten Irrsinn, von dirty policing und um die strukturelle Gewalt einer an den (eh fiktiven) Wert von Immobilien gekoppelten Gesellschaft. Was Willeford hier als kleine politische Ökonomie in den 1980ern präzise und scharfsinnig seziert, führte dann in den 2000ern in die berühmte Immobilienblase. Und dann ist da natürlich Hoke Moseley, der in seiner ganzen Einfalt und seiner ganzen Intelligenz, seiner Naivität und seiner Klugheit, seines Sentiments und seiner Eiseskälte eine der großen, faszinierenden Figuren der amerikanischen Literatur ist.

Der rote Strich

Angesichts der Agatha Christies, Donna Leons und Henning Mankells, also angesichts der ganzen Schlichtformen von »Krimi«, wird gerne übersehen, dass es eine Strömung von Kriminalliteratur gibt, die man als »aus dem Geiste des DADAismus« geboren, verstehen kann, Stichwort Glauser, Fântomas, Marcel Duhamel. Ein ganz wichtiger Vertreter dieser Tradition ist Walter Serner, dessen Werk in schöner Regelmäßigkeit - ältere Menschen erinnern sich - immer wieder Renaissancen erlebt und dann wieder für ein paar Jahre vom Schirm rutscht. Die wunderbare Manesse Bibliothek der Weltliteratur bringt diesmal einen schönen Story-Reader auf den Markt: Der rote Strich. Format-freie Kriminalgeschichten voller Intelligenz, fröhlichem Zynismus, heiterer Anarchie, wollüstiger Subversion aller Arten von Ordnung und Sinn, voller Stil, Eleganz und diabolischer Freude an der Sabotage von Wertvorstellungen. Serner, Jahrgang 1889, ermordet irgendwo im Baltikum 1942, immerhin ein Zeitgenosse der Christie & Co., hat, wie Dashiell Hammett, gezeigt, wie eine Alternative zu den Zillionen der elenden, immer die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung im Auge habenden »Krimis«, hätte aussehen können. Deswegen kann es gar nicht oft genug Serner-Renaissancen geben.

Wenn es Nacht wird

Unsere Vorstellungen von Gewalt und Verbrechen sind wesentlich von Bildwelten geprägt. Wie speziell New Yorker Straßenkriminalität in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgesehen haben mag, haben wir anhand der Fotos des Kriminalreporters und Ikonographen der Bluttat, Weegee, schon fast internalisiert. Jetzt ist ein weiterer Baustein dieser Perzeptionsgeschichte auch bei uns verfügbar: Im Emons Verlag erschien gerade der grandiose, von Wilfried Kaute herausgegeben Fotoband Wenn es Nacht wird. Verbrechen in New York 1910 - 1920. Neben Mugshots und ein paar sehr eindrucksvollen Panoramen handelt es sich dabei um Tatort-Fotos des NYPD. Die Stilisierung, wenn auch nicht intentional künstlerisch, sondern nach untersuchungs- und gerichtsverwertbaren Parametern standardisiert, entwickelt dennoch eine eigene Ästhetik. Jedes Foto eine menschliche Tragödie. Die allerdings, auf den Fotos durchaus sichtbar, ihre Kontexte mit liefert: Armut, Rott, Überlebenskampf, Verbrechen, Politik und Ökonomie. Der ungebremste Kapitalismus der Zeit war kein schöner Ort, heruntergekommen, schäbig und eng für die Opfer. Die Pracht zeigen die Panoramen, die Details sind deprimierend.

Zum Schluss noch der Hinweis auf ein erschütterndes Enthüllungsbuch, das schonungs- und tabulos unsere Gesellschaft als schon lange verloren zeigt. Längst überflutet, unterwandert, sabotiert, an den Schlüsselstellen (Medien, Politik) hopsgenommmen und am Abgrund stehend. Oswald Spengler war ein heiterer Optimist dagegen. Die Apokalypse hat begonnen, aber wir wissen es noch nicht. Deswegen dringend: Volker Dornemann: Böse Pinguine (Lübbe). So sieht's aus.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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