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Die Schäbigkeiten am Rande

 

Betriebsbedingt gekündigt

Irgendetwas Seltsames ist um Iain Levison. Sohn deutscher Eltern, in Schottland geboren, in den USA aufgewachsen, schreibt auf Englisch - bis jetzt zwei Kriminalromane und ein Buch unbestimmten Texttyps. Das ist noch nicht seltsam.

Levisons Erstling, "Betriebsbedingt gekündigt" machte 2005 bei uns Furore. Der Roman eines Arbeitslosen, der keinen Job finden kann, bis er schließlich Berufskiller wird und wirtschaftlich prosperiert, stand in einem klar intertextuellen Verhältnis zu dem Roman von Donald Westlake: "Der Freisteller" (The Ax, 1997), der im deutschsprachigen Raum völlig untergegurgelt war. Wobei "klar intertextuell" auch euphemistisch heißen kann, dass "Betriebsbedingt gekündigt" die Cover-Version des "Freistellers" war oder die Raubkopie. An die Qualität, den Witz, den Biß und die Originalität von Westlakes großem Wurf kam Levisons eher ungelenker Roman keinesfalls heran. Weil Westlake aber damals nicht in einem feuilletonnotorischen Verlag erschien (heute, wo er unter seinem Pseudonym Richard Stark bei Zsolnay als große Entdeckung gilt, hätte es Levison nicht mehr so leicht), konnte Levisons Buch als Streich eines Originalgenies durchgehen und landete sogar auf der KrimiWelt-Bestenliste. Womit sich nicht nur die Mainstream-Kritik, sondern auch ein erklecklicher Prozentsatz der kriminalliterarischen Fachkritik ein klein wenig blamiert hatte. Milder gesagt: Sich der Möglichkeit begeben hatte, zu dem Thema und seiner verschiedenen Interpretation durch zwei sehr unterschiedliche Autoren spannende Gedanken zu entwickeln.

Abserviert

Ähnlich seltsam ging es beim zweiten Buch zu: "Abserviert. Mein Leben als Humankapital" von 2006. Da liegt die Verwirrung im Text selbst. Denn was ist das überhaupt? Ein Roman? Ein Sachbuch? Eine Reportage? Es prasselte Vergleichsgrößen - Günter Wallraffs Reports, der Recherchen von Barbara Ehrlichman, die Filme von Michael Moore. Man bemühte den Begriff "Satire" oder zeigte sich empört, über die wenig vorhandene politische Korrektheit des Autors, oder nur des Erzählers ... Da war man sich nicht so einig. Oder man las das Buch positiv als harten Tatsachenbericht aus der Arbeitswelt eines wildgewordenen Kapitalismus. Zwei Vergleichsgrößen blieben so ziemlich völlig außen vor: George Orwells "Down and Out in Paris and London", ein ähnlich authentisch gemeinter Selbstversuch eines Intellektuellen, in die Höllen der Niedriglohnarbeit einzusteigen. Und Upton Sinclairs "The Jungle", dessen Fleischhalden in den Schlachthöfen von Chicago Levison mit Fischströmen auf einem Fischereischiff in der eiskalten Beringsee analogisiert. Denn obwohl Levison seinen Ich-Erzähler in einer intentional arrangierten Reihe von entwürdigenden und demütigenden Arbeitsverhältnissen agieren lässt, also keineswegs eine "authentische" Sozialreportage simuliert, sind die einzelnen Episoden und die Details extrem verstörend. Denn dass Levison sehr deutlich auf seine Vorgänger verweist - also auf all das, für das die Namen Orwell und Sinclair etc. stehen - und sich damit in einer bestimmten Tradition von Literatur positioniert, mindert ja keinesfalls die Triftigkeit seiner Kritik an den schlimmen Verhältnissen, die er beschreibt.

"Abserviert" ist ein Katalog des alltäglichen brutalen Raubs, der Ausbeutung und des Betrugs. Ein Handbuch für Menschenfeinde, ein Manual der Kaltherzigkeit, eine Psychopathia kapitalis, ein Krafft-Ebing für Schweinebacken. Und das Ganze nicht individuell personifiziert, sondern der klaren Rationalität des profitorientierten Kapitalismus zugeschrieben. "Abserviert" ist auch deswegen so unbehaglich, weil es ein peinliches Buch ist. Es ruft weder zu demütiger Bescheidung, heroischem Widerstand oder zynischem Mitspielen auf, sondern benennt die kleinen fiesen Triumphe, die Schäbigkeiten am Rande, die totale Deformation, wenn sich etwa der Erzähler über ein paar arme Koreaner erhebt, denen es anscheinend noch viel mieser ergeht.

Die unangenehme Botschaft für die Leser ist: Wenn Ihr clevere Schnäppchenjäger sein wollt, wenn Ihr Dienstleistungen und Waren für Spottpreise haben wollt - dafür leiden andere Menschen. Wem das egal ist, der ist noch lange nicht aus dem Schneider, denn es erwischt einem blitzschnell selbst, und dann wird man von ganz schön fertigen Leuten noch fertiger gemacht. Sowas mag kein Mensch lesen. Höchstens als "Satire", aber lieber nicht als Literatur, weil das den momentanen Status von Literatur als Evasiv-Medium ein wenig ankratzt.

Tiburn

"Tiburn", der aktuelle Roman von Levison, hat nur auf den ersten Blick wenig mit den anderen Büchern zu tun. Er ist ein klassischer Kriminalroman. Ein flüchtiger Bankräuber, ein geiler, ehrgeiziger und skrupelloser Geschichtsprofessor und eine stockdumme FBI-Agentin bilden unfreiwillig eine Schicksalsgemeinschaft. Der Bankräuber, ein intelligenter und vermutlich netter Schwarzer namens Dixon muss nach einem verpfuschten Coup flüchten, immerhin mit der erheblichen Beute. Er besetzt gewaltsam das Haus und damit das Leben des Geschichtsprofessors. Der nun ist gerade damit beschäftigt, mit einem Krawall-Artikel unter dem jederzeit wieder dementierbaren Schlagwort "Hitler hatte recht" sich einen fetten Lehrstuhl an einer fetten Uni und nicht in Tiburn, New Hampshire zu er-skandalisieren.

Da steckt auch der Levison-Dreh: Die Grundkonstellation stammt von Joseph Hayes, "The Desperate Hours", einem Thriller von 1954, dessen Verfilmung "An einem Tag wie jeder andere" weltberühmt wurde. Flüchtige Gangster tyrannisieren dort eine brave Mittelstandsfamilie, bis Papi sich wehrt. Auch Levisons schmieriger, geschichtsfälschender Professor wird sich wehren. Damit am Ende die Ungerechtigkeit auf Erden vollständig gesiegt haben wird, baut Levison noch Denise Lupo ein, die unfähigste FBI-Agentin, die je die Seiten eines Kriminalromans belebt hat.

Aber schon wieder ist das nicht so einfach bei Levison: Denn Lupo ist nur nicht so omnipotent wie FBI-Agentinnen in mittleren Thrillern seit einiger Zeit nun mal sind, sondern eher völlig normal lebensweltlich unfähig. In der Kombination mit einem normal anständigen Verbrecher und einem normal wissenschaftsbetrieblich "rundgemachten" Professor ist die Katastrophe für den Outsider schon programmiert. Am Ende ist der Gangster tot, die beiden bürgerlichen Figuren - Staatsdienerin und Wissenschaftler - profitieren von ihrer Stellung im System und erpressen sich gegenseitig zu ihrem beiderseitigen Vorteil.

Auch hier gelingt es Levison, mittels Literatur eine außerliterarisch sehr unschöne Wahrheit zu formulieren. Das ist nicht satirisch. Es ist parodistisch gegenüber der Film/Roman-Vorlage, die komische Kritik daran mündet in eine korrekte, präzise beobachtete Feststellung über den Zustand der Gesellschaft, hier und heute. Recht kompliziert, nicht schön, aber ganz schön unterhaltsam. Und ziemlich seltsam, so wie der Autor Iain Levison.

 

© Thomas Wörtche, 2008
(Freitag, 17.10.2008)

 

Iain Levison: Betriebsbedingt gekündigt. (Since the Layoffs, 2003). Roman. Dt. von Hans Therre. Berlin: Matthes & Seitz, 2005, 219 S., 19,80 Euro (D).

Ders.: Abserviert. Mein Leben als Humankapital. (A Working Stiff's Manifesto, 2006). Dt. von Hans Therre. Berlin: Matthes & Seitz, 2006, 219 S., 19,80 Euro (D).

Ders.: Tiburn. (Dogs eats Dog, 2006). Roman. Dt. Von Hans Therre. Berlin: Matthes & Seitz, 2008; 256 S., 18,80 Euro (D).

 

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