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Wörtches Crime Watch 04/2002

Nick Tosches: Dino

 

Dino Vor acht Jahren hat Nick Tosches einen wunderbaren Roman geschrieben: »Trinities«, der hierzulande unter dem dubiosen Titel »Die Meister des Bösen« sang- und klanglos unterging. Das war und ist schade, denn »Trinities« war ein witzig gemachter Mafia-Roman, der das Erzählskelett von Puzos »Godfather« einerseits in die 90er Jahre transponierte und sich andererseits fröhlich über ihn und die Welle der Mafia-so-wie-sie-wirklich-ist-Romane lustig machte. 1992 hatte Tosches sein Grundsujet la mafia entdeckt. Zehn Jahre später dürfen wir sein erstes Stück dazu auf deutsch lesen: »Dino. Rat-Pack, die Mafia und der große Traum vom Glück« gibt sich als Biografie aus, die erschröckliche Enthüllungen aus dem Leben des Barbiersohns Dino Crocetti aus Steubenville, Ohio, verspricht, der später als Dean Martin weltberühmt werden sollte. Die wirklich erschröckliche Enthüllung aber funktioniert etwas anders als man erwarten sollte: Tosches zeichnet zwar mittels einer beeindruckenden Materialschlacht die Karriereschritte von Dean Martin aus den provinziellen Niederungen Ohios über New York City, Chicago und Atlantic City nach Hollywood nach und beleuchtet dabei auch einlässlich die Anteile seiner künstlerischen Lebensabschnittspartner Jerry Lewis und Frank Sinatra, aber sensationell ist daran so gut wie nichts.

Ungewöhnlich ist eher die kritische Distanz, die Tosches seinem Objekt der Analyse gegenüber an den Tag legt: Man könne, schreibt er zum Beispiel über Martin & Lewis - die "Narrenkönige in einem Land, wo schon bald selbst das Lachen gefriergetrocknet und hohl konserviert werden sollte" - gar nicht mehr verstehen, was an ihren Darbietungen so lustig gewesen sein soll. Dean Martin, meint Tosches, wurde groß im »Zeitalter der Television, der mit Weißwandreifen und Heckflossen ausstaffierten Geistlosigkeit«. Mit anderen Worten: Tosches mag Dean Martin eigentlich nicht. Also muss der Punkt des Buches woanders liegen. Tosches schreibt ein weiteres Kapitel des noch relativ unerforschten Themenkomplexes, den ich mal "Die Geburt der amerikanischen Unterhaltungsindustrie aus dem Geiste der Mafia" nennen möchte. Laurence Bergreens Bücher über Al Capone und Louis Armstrong gehören dazu, Frederic Dannens Payola-Chronik »Hit Men« und Sally Denton & Roger Morris' große Geschichte von Las Vegas, »The Money and the Power« und noch ein paar andere Studien, die allmählich ernsthaft damit beginnen, die Dialektik von Kultur und Verbrechen an konkreten Beispielen zu rekonstruieren.

Eine Modellfigur ist Dean Martin. Anders als sein Kumpan Frank Sinatra, den Tosches als "malavita-groupie", als "mickriges Muttersöhnchen, das gerne den harten Burschen markierte", unter all den wirklichen Schwergewichten von Meyer Lansky, Sam Giancana, Bugsy Siegel und dem "West-Coast-Fürst der Finsternis" Johnny Roselli karikiert, gab Dean Martin den Coolen, den, dem alles am sprichwörtlich Allerwertesten vorbei geht. Diese coole Fassade konnte bis zum Ende vergessen machen, dass Dino Crocetti schon seine allerersten Schritte in Steubenville als mäßig talentierter Schnulzensänger mit Schlag bei Frauen unter der abenteuerlichen Obhut einer "Chop-Suey-Connection" tat, was Tosches zu der richtigen Überlegung bringt, dass man diesen Einfallswinkel des organisierten Verbrechens in den USA auch einmal näher untersuchen sollte. Ab da "gehörte" Dean Martin praktisch dem Outfit oder dem Mob, oder wie immer man diese italo-jüdische Organisation mit irischen Einsprengseln nennen möchte. Die Rat-Pack-Zeit mit Sinatra, Sammy Davis Jr., Peter Lawford & Co., in der die Parteispenden in Koffern vom Rat-Pack in die Schlafzimmer getragen wurden, in denen sich JFK gerade mit den Mädels vergnügte, die ihm die o.a. Firma zur Verfügung gestellt hatte, dieser Abschnitt ist nur der inzwischen bekannte Teil.

Immerhin, Dean Martin hat es zum Evergreen gebracht. Seine Biografie ist wesentlich die »Biografie« dershare- holder, denen heute grössere Teile der US of A gehören - und die, siehe Las Vegas, siehe Dean Martin, es geschafft haben, legal zu werden und dabei eine Kultur zu etablieren, die Millionen von Menschen in aller Welt bestens unterhält. Das nennt man Erfolgsstory.

Nick Tosches: Dino. Rat-Pack, die Mafia und der große Traum vom Glück. (DINO - Living High In The Dirty Business Of Dreams, 1992). Dt. von Fritz Schneider. München: Heyne TB, 704 Seiten, 12,95 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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