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Wörtches Crime Watch 03/2002

Eduardo Mendoza: Niemand im Damensalon

 

Niemand im Damensalon Es ist zwar schon lange her, aber wir erinnern uns noch gut an ihn. 1978, in dem Roman Das Geheimnis der verhexten Krypta, kehrte er wieder froh in sein Irrenhaus zurück, nachdem er in erschröckliche Verbrechen verwickelt worden war: Eduardo Mendozas namenloser Held, der endlich im Jahr 2001 vom sadistischen und korrupten Anstaltschef Dr. Sugrañes an die Luft gesetzt wird und als Niemand im Damensalon neue Abenteuer zu bestehen hat. Der Sprung vom gerade postfranquistischen ins lange postolympische Barcelona bekommt ihm gar nicht schlecht. Sein nichtsnutziger Schwager, der Bruder seiner immer noch nicht "mit Reizen, Talent oder gesundem Menschenverstand" ausgestatteten Schwester Cándida, überlässt unserem Helden einen verkommenen Damensalon, der mit dem Slogan "Fa. Gegründet 1985 oder 86. Flinke Bedienung und guter Geschmack zu Schleuderpreisen" auch männliche Kunden anzieht, zum Beispiel die beiden Typen, die sich seit dreissig Jahren ein Toupet teilen. Unser Held pickt die Blutegel aus den Lockenwicklern, schleift die Scheren am Gehsteigrand und richtet sich ein. Alles ist gut, bis zwei "wohlgerundete Beine" mit einer Dame dran seinen Salon beehren und unser Held in einer Reihe grotesker und seltsamer Abenteuer gestürzt wird, die für ihn diesmal nicht wieder in der Geborgenheit des Irrenhauses enden werden. Sondern im echten Leben.

Eduardo Mendoza gehört zu den Autoren der Gegenwartsliteratur, die die Verwischung von Hoch und Nieder, von Seriosität und Unernst, von Genialität und Albernheit nicht nur stets freudig betrieben, sondern sie auch literaturgeschichtlich begründet und verankert haben. Auch in diesem Buch plündert er von Quevedo über Schnitzler bis zu den Keystone Cops und Leonardo Sciascia wieder alle Sprach- und Bildmaterialien, die er braucht, um mit literarischen Mitteln sein Thema zu orchestrieren: Barcelona. Den Aufstieg der katalanischen Metropole hatte er in Die Stadt der Wunder (1986) als raffinierte Kolportage-Saga inszeniert, ihren Wahnwitz und ihre Neurosen kommentiert er als Thriller in den Niemand-Romanen. Und richtet nebenher auch noch höchst vergnüglichen und produktiven Flurschaden für Schubladendenker an. Der Plot von Niemand im Damensalon ist strikt auf Verwirrung und Überkomplexion hin angelegt, als sei's ein Stück von Edgar Wallace. Wer wen wann warum betrogen, über den Tisch gezogen, reingelegt und umgebracht hat, um an ein paar kompromittierende Akten zu gelangen, die den Bürgermeister und eine Menge seriöser Geschäftsleute diskreditieren könnten, wer wen wann und wie geschwängert, beinahe geschwängert und dann doch nicht geschwängert hat und welche ehelichen, ausserehelichen und zwischenehelichen Vorkommnisse zu dem komischen Drama führen - das ist alles so kompliziert, dass jede kurze Nacherzählung scheitern muss. Ausserdem hat Mendoza, um die Verwirrung noch zu steigern, die beiden weiblichen Hauptfiguren aus guten Gründen mit dem gleichen Namen ausgestattet. Verraten sei nur, dass dieses Labyrinth am Ende aufgeht. Weil Mendoza den gordischen Knoten des Getüftelten, Gehäkelten und angestrengt passend Gemachten einfach zerschlägt. Er lässt die ganze Schweinebande sich gegenseitig umbringen. Basta. Das ist sein Kommentar zum "klassischen Krimi". Sein Kommentar zum Paranoia-Polit-Thriller ist ebenso drastisch wie pragmatisch: Die Oberranzbacke, der Bürgermeister, überlebt, weil ihm Kugeln nichts anhaben können. Sie fliegen rektal rein und kommen oral wieder raus und dazwischen ist nichts, was sie beschädigen könnten. Korruption und Machtmissbrauch sind eben nicht totzukriegen.

Deswegen und weil Mendoza auch sonst an keiner Stelle zögert, seine Fabulierkunst, seine Freude an schrägen Einfällen und unappetitlichen Details, seine running gags und seine Pastiches mit einem klaren, giftigen Blick auf die psychosoziale Verfassung der gesamten Stadt auszustatteten, entsteht das zwingende tertium aus Großstadtliteratur und Kriminalroman, in dem für beide Textsorten vermutlich immer noch die Zukunft liegt. Wie schon bei Robert Louis Stevenson, Gibert Keith Chesterton, Georges Simenon oder Chester Himes. Man muss nur Ernst damit machen, die literarischen Regeln (die man vorher alledings kennen muss) nicht ernst zu nehmen. Dann entsteht grosse Literatur.

Eduardo Mendoza: Niemand im Damensalon (La aventura del tocador de señoras, 2001). Roman. Dt. von Peter Schwaar. Frankfurt am Main, 2002: Suhrkamp. 364 Seiten, 22,90 Euro (D)

 

© Thomas Wörtche, 2002

 

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