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Wörtches Crime Watch 07/2007

 

Mike Davis: Eine Geschichte der Autobombe

 

Eine Geschichte der Autobombe Die gute alte Höllenmaschine, die explodiert, wenn man den Zündschlüssel umdreht, ist in Mike Davis' »Eine Geschichte der Autobombe« nicht gemeint. Die gehört zum inzwischen schon fast folkloristischen Attentatsbedarf und beschert uns höchstens im Kino feurige Momente, in Coppolas »Der Pate« etwa oder in Scorseses »Casino«.

Mike Davis hingegen geht es um die wesentlich wirkmächtigere »Luftwaffe des kleinen Mannes«, ein Terrorinstrument, das uns vermutlich derart unheimlich ist, dass sogar die Populäre Kultur bis jetzt noch relativ zurückhaltend mit ihm umgeht, »Spy Game« von Tony Scott ist m.W. einer der raren Filme, die einen Autobombenanschlag im Davis'schen Sinne thematisieren.

Nun ist das Auftauchen eines zeitgeschichtlichen Motivs in der Massenkultur noch kein Relevanzmaßstab an sich, aber signifikant scheint es mir doch, dass es in Davis' Buch keinen einzigen Hinweis auf fiktionale Verarbeitungen seines Themas gibt. Hatte der brillante Stadt-Soziologe doch sonst, wie in der Studie »Ökologie der Angst« etwa, systematisch die nicht-fiktionalen und fiktionalen Diskurse maliziös verschränkt.

Davis demonstriert sehr schön, wie der Entwurf »Autobombe« seit dem ersten, schrecklich effektiven Anschlag 1920 - verübt von einem womöglich bloß wirrköpfigen, womöglich grausam visionären »Anarchisten« namens Mario Buda gegen die Wallstreet mit 40 Toten und 200 Verletzten -, noch bis 1947 sozusagen brachgelegen hatte: Ab da wurde das Konzept der Autobombe zum Routineverfahren der radikalzionistischen »Stern Gang« und ihrer arabisch-britischen Gegenspieler im Palästinakonflikt jener Jahre, ab da bedeutet Autobombe den »Einsatz eines unauffälligen und in fast jeder städtischen Umgebung anonymen Fahrzeugs, mit dem sich große Mengen brisanten Sprengstoffs präzise in die Nähe eines bedeutenden Ziels transportieren lassen«.

Autobomben sind stark, laut, billig, leicht organisierbar, kollateralschadenintensiv, anonym und deswegen auch für »marginale Akteure« extrem attraktiv. Davis zeichnet ihre blutige Karriere nach, die diversen Eskalationsstufen und die unklaren Nahtstellen zwischen blank kriminellem und politischem Einsatz. Die Mafia und die narcotraficantes Kolumbiens gehören genauso zu den Autobombern wie die OAS, die CIA, die IRA und E.T.A., der SAS, die Hisbollah, die Hamas und viele, viele mehr - kurz, die Liste der üblichen Verdächtigen bei gnadenlosem, kalt kalkuliertem Blutvergiessen und Massakern auf diesem Planeten.

Dennoch, die »Autorität der Supermächte« während des Kalten Krieges hielt, laut Davis, den Schaden noch einigermassen in Grenzen, die Büchse der Pandora öffnete sich erst in dessen Agonie und während der schlimmsten Sündenfälle: Afghanistan, Beirut und die Folgen. Saudisches Geld, pakistanische Strukturen, US-amerikanische Skrupellosigkeit, Größenwahn und Inkompetenz, sowjetischer bzw. russischer Opportunismus und Zynismus, Staatsterrorismus und religiös-politischer Fanatismus jeglicher Couleur arbeiteten und arbeiten bis heute an der schauerlichen Globalisierung der explodierenden Autos. Von Oklahoma City bis Bagdad, mit und ohne Selbstmörder, relativ gezielt oder blank auf nackte Zernichtung von Menschenleben und -leibern aus.

»Die Pforten der Hölle« sind geöffnet, eine Gegenstrategie ist nicht zu haben - wie sollte sie aussehen? Die Autobombe greift direkt die urbanen Strukturen an, auf dem Lande ist sie relativ sinnlos. Große städtische Areale sind nicht zu schützen. Zu schützen werden nur die kleinen Eliten in fast totaler Isolation sein.

Die Autobombe verschärft und pointiert somit auch die sozialen Gegensätze in den sich immer mehr verdichtenden menschlichen Großansiedlungen. »Planet der Slums« hieß das letzte Buch von Davis, dessen apokalyptisches Panorama mit der »Geschichte der Autobombe« noch ein weiteres bedrohliches Kapitel hinzu bekommen hat.

Noch ist es unser Luxus, Slums und Autobomben und überhaupt die wirklich bedrohlichen Vektoren der demographischen und sozialen Entwicklung auf diesem Planeten als ferne Phänomene betrachten zu können. So ferne, wie vor 30 Jahren der Bericht des Club of Rome schien. Aber eines ist totsicher: Wenn das Thema Autobombe breit in den Populären Kulturen auftaucht, ist es vermutlich mitten in unseren Städten angekommen.

Mike Davis: Eine Geschichte der Autobombe. (Buda's Wagon. A Brief History of the Car Bomb, 2007). Aus dem Amerikanischen von Klaus Viehmann. Deutsche Erstausgabe. Berlin u. Hamburg: Assoziation A, kartoniert, 232 S., 20.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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